Wochenanzeiger Herford Online ,
23.01.2011 :
"Wir lebten in einer Oase des Friedens … " / Ausstellung verlängert
23.01.2011 - 10.09 Uhr
Herford. Die Ausstellung "Wir lebten in einer Oase des Friedens … " - Die Geschichte einer jüdischen Mädchenschule und ihrer Herforder Schülerinnen 1926 bis 1938 wird um eine Woche verlängert und ist daher bis einschließlich Samstag 5. Februar in der Gedenkstätte Zellentrakt zu sehen. Die Ausstellung ist Samstag von 14 bis 16 Uhr geöffnet und kann von Gruppen / Schulklassen nach Vereinbarung zu anderen Zeiten besucht werden.
Die multimediale Ausstellung dokumentiert die Geschichte einer jüdischen Mädchenschule in den Jahren zwischen 1926 und 1938. Diese vom jüdischen Frauenbund Wolfratshausen (Bayern) gegründete Hauswirtschaftsschule war eine besondere Schule in einer besonderen Zeit. Ursprünglich sollten hier Mädchen lernen, einen jüdischen Haushalt nach rituellen Regeln zu führen, und sich auf weiterführende wirtschaftliche, soziale und pädagogische Berufe vorbereiten. Während der NS-Zeit entwickelte sich die Schule dann zu einem Zufluchtsort. Junge Frauen aus dem gesamten Deutschen Reich kamen hierher, um sich vor Anfeindung und Ausgrenzung zu schützen oder sich auf ihre Auswanderung vorzubereiten. Die landwirtschaftliche Ausbildung, die in Wolfratshausen einen besonderen Stellenwert einnahm, wurde später für viele Schülerinnen geradezu überlebensnotwendig, bildete sie doch eine der Voraussetzungen für ein Visum ins rettende Ausland. Am 9. / 10. November 1938 wurden in der Reichspogromnacht alle Schülerinnen und Lehrerinnen gewaltsam vertrieben. Die Schule wurde geschlossen.
Die Ausstellung
Die Ausstellung thematisiert das Schicksal jüdischer Familien in der NS-Diktatur aus der besonderen Sicht der Frauen und Kinder. Im Zentrum stehen dabei die Erinnerungen ehemaliger Schülerinnen, die in Israel, USA, England und Kanada mit der Kamera aufgezeichnet wurden. Ihre Lebenswege und Geschichten vermitteln einen bewegenden, sehr persönlichen Eindruck von der damaligen Zeit. Erinnert wird aber auch an all die Schülerinnen, die von den Nazis ermordet wurden. Seit Sommer 2002 erforscht ein ehrenamtliches Team des Historischen Vereins Wolfratshausen unter der Leitung des Historikerin Dr. Sybille Krafft und der evangelischen Pfarrerin Kirsten Jörgensen die Geschichte der Schule und hat dazu die letzten noch lebenden Schülerinnen interviewt. Das Projekt wurde im April 2008 mit dem renommierten Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet.
Die Herforder Schülerinnen
Auch aus Herford schickten jüdische Familien ihre Kinder nach Wolfratshausen: Ruth und Inge Obermeier, Ruth Goldmann und Gisela Ruben besuchten die Schule in den Jahren 1929 bis 1936 jeweils für ein Jahr. Ihre Schicksale und die schulische Situation für jüdische Kinder und Jugendliche nach 1933 werden in der Herforder Ausstellung präsentiert.
Ruth Lilli Goldmann
Ruth Lilli Goldmann wurde als Tochter des Herforder Rabbiners Siegmund Goldmann und seiner Frau Else 1912 in Herford geboren. Ruth besuchte bis 1929 die Höhere Töchterschule (das heutige Königin-Mathilde-Gymnasium) in Herford, 1930 bis 1931 die Schule in Wolfratshausen und ab 1931 das Kindergärtnerinnenseminar am Froebel-Seminar in Berlin. Bis 1939 arbeitete sie als Kindergärtnerin im Raum Berlin und kehrte danach wieder nach Herford zu ihrer Mutter zurück. Der Vater war am 30. Januar 1935 in Herford verstorben. Zusammen mit ihrer Mutter wurde sie am 28. März 1942 zum "Arbeitseinsatz Ost" nach Warschau deportiert. Ruth wurde im Alter von 31 Jahren 1943 in Riga, Lettland ermordet.
Ruth Obermeier - untergetaucht in Holland
Ruth Obermeier wurde 1912 als Tochter des Fabrikanten Adolf Obermeier und seiner Frau Elsa in Herford geboren. Sie lebte mit ihrer Familie in der Villa Lübbertorwall 18 in Herford. Ruth besuchte in den Jahren 1929 bis 1930 die jüdische Haushaltungsschule in Wolfratshausen, lebte danach wieder in Herford und schloss 1933 ein Examen als staatlich geprüfte Diätassistentin ab. Sie erhielt nach der NSDAP-Machtübernahme keine Anstellung. 1936 heiratete sie und emigrierte nach Holland. Sie und von ihr getrennt ihre beiden Kinder tauchten 1942 in Holland unter. Ruths Vater starb im April 1942 in Herford, ihre Mutter wurde im Juli 1942 nach Auschwitz deportiert. Sie wurde dort unmittelbar in der Gaskammer umgebracht. Ruth überlebte im Versteck. Nach Zusammenführung mit ihren Kindern 1945 kehrte Ruth im Oktober 1947 nach Herford zurück. Wegen ihrer verfolgungsbedingten körperlichen und seelischen Schäden war sie in ständiger Behandlung. Ruth Obermeier verstarb 1960 bei einem Aufenthalt in den Niederlanden.
Inge Obermeier in Wolfratshausen
Inge Obermeier - die jüngere Schwester von Ruth - wurde 1920 in Hannover geboren. Inge besuchte ab 1930 das Herforder Oberlyzeum (das heutige Königin-Mathilde-Gymnasium) und verließ die Schule 1936 wegen rassistischen Anfeindungen. Inge besuchte danach die jüdische Haushaltungsschule in Wolfratshausen und eine jüdische Handelschule in Berlin. Inge gelang es, am 4. Mai 1939 zunächst nach England zu flüchten. Am 15. Januar 1941 konnte sie in die USA auswandern. Inges Vater starb im April 1942 in Herford, ihre Mutter wurde im Juli 1942 nach Auschwitz deportiert. Sie wurde dort unmittelbar in der Gaskammer umgebracht. Sie ist die einzige noch lebende Augenzeugin unter den Herforderinnen in Wolfratshausen. Über ihren Aufenthalt in Wolfratshausen berichtete sie 2010 in einem Interview, das in der Ausstellung zu hören sein wird.
Inge Obermeier und Gisela Ruben
Gisela Ruben wurde 1921 als Tochter des Fabrikanten Hugo Ruben und seiner Frau Erna in Herford geboren. Sie lebte mit der Familie in einer Villa an der Goebenstraße nahe beim elterlichen Betrieb, Herrenkleiderfabrik (Abraham) Ruben in der Luisenstraße. Gisela besuchte bis 1937 die Höhere Töchterschule (das heutige Königin-Mathilde-Gymnasium) und schloss diese mit dem 1-Jährigen (der Mittleren Reife) ab. 1937 bis 1938 war sie in Wolfratshausen und begann danach eine Schneiderlehre in Frankfurt/Main. Sie emigrierte am 2. März 1939 mit einem Kindertransport nach Holland und ging im Dezember 1939 weiter in die USA, wohin auch ihre Eltern und ihr Bruder Herbert sich retten konnten. Sie ist dort verstorben.
Neben den Portraits der Herforder Schülerinnen in Wolfratshausen wird auch über die schulische Situation der Herforder jüdischen Kinder und Jugendliche nach 1933 informiert.
Die Ausstellung ist Samstag von 14 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung für Schulklassen und Gruppen geöffnet. In der Ausstellung sind das Begleitbuch und umfangreiche pädagogische Materialien erhältlich.
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