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Bad Oeynhausener Anzeiger und Tageblatt / Westfalen-Blatt , 18.11.2010 :

"Jüdische Schüler sind zu entlassen" / Mendel-Grundmann-Gesellschaft erinnert an das Schicksal von Kindern und Jugendlichen an der Luisenschule

Von Jürgen Gebhard

Bad Oeynhausen (WB). Marianne Loeb hatte inständig gehofft, an der Luisenschule in Bad Oeynhausen akzeptiert zu werden. Doch auch hier war sie 1937 und 1938 als Jüdin unerwünscht. Schon nach einem Jahr verließ die Heranwachsende aus Vlotho wieder die höhere Mädchenschule in der Nachbarstadt.

Das Schicksal jüdischer Kinder und Jugendlicher stand diesmal im Mittelpunkt der Veranstaltung, zu der die Mendel-Grundmann-Gesellschaft am Jahrestag der Zerstörung der Vlothoer Synagoge eingeladen hatte. Als Mitwirkende nahmen auf Einladung dieses Vereins, der sich um die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte Vlothos kümmert, Rico Quaschny, Stadtarchivar aus Bad Oeynhausen, sowie 14 Schüler des Vlothoer Weser-Gymnasiums teil.

"Hinter jedem einzelnen der ungezählten Opfer des Holocausts stehen ein Name und ein Schicksal. Oftmals sind es Namen und Schicksale von Kindern und Jugendlichen", begrüßte Pfarrer Ralf Steiner, zugleich Vorsitzender der Mendel-Grundmann-Gesellschaft, die mehr als 60 Anwesenden im Gemeindehaus Exter.

Wie sehr Schüler jüdischen Glaubens ausgrenzt wurden, machte anschließend Rico Quaschny deutlich. Vor zwei Jahren hatte er ein Buch zur "Geschichte der höheren Mädchenbildung in Bad Oeynhausen" herausgegeben. Aus dem Kapitel "Diese Zeit hat unsere Jugend vergiftet" stellte er bei dieser Veranstaltung die Schicksale jüdischer Schüler aus Vlotho an der Schule in Bad Oeynhausen vor.

"War der Wechsel an die Luisenschule für Marianne Loeb der hoffnungsvolle Strohhalm, der Isolierung zu entkommen?", fragte Rico Quaschny und zeigte auf, dass es der 15-Jährigen in Bad Oeynhausen auch nicht besser als in ihrer alten Schule erging. In Vlotho werde sie "von den übrigen Schülerinnen" misshandelt, hatte der Vater geklagt. Der Rektor der Luisenschule habe mit der Aufnahme gezögert und zunächst auf einen Erlass verwiesen, wonach die Anzahl der neu aufgenommenen jüdischen Schüler 1,5 Prozent der Neuaufgenommenen beziehungsweise 5 Prozent der Gesamtschülerzahl nicht überschreiten solle.

Marianne Loeb, die Schwester des späteren Vlothoer Ehrenbürgers Hans Stephan Loeb, durfte schließlich doch die Schule wechseln. "Aber auch an der Luisenschule musste ihr schnell bewusst geworden sein, dass sie nicht willkommen war: In der Zeit ihres Schuleintritts wurde im April 1937 eine Ausstellung zum Thema `Erbgut und Rasse` eröffnet. Schon nach einem Schuljahr verließ Marianne Ostern 1938 die Luisenschule", berichtet Rico Quaschny in seinem Buch, aus dem er an diesem Abend Auszüge verlas.

Doch auch noch im Jahr 1938 gab es andere jüdische Familien aus Vlotho, die ihre Töchter auf die Schule nach Bad Oeynhausen schicken wollten. Eines dieser Mädchen war Lore Juchenheim. Zunächst wurde sie trotz bestandener Aufnahmeprüfung abgelehnt. Dann intervenierte die Mutter: Mit dem "Ehrenkreuz für Frontkämpfer" ihres Ehemannes überzeugte sie den Direktor.

Eine dritte jüdische Schülerin aus Vlotho war Gerda Mosheim, die wie Lore Juchenheim seit Ostern 1938 die Luisenschule in der Nachbarstadt besuchte. Bereits nach einem halben Jahr resignierte die Mutter und teilte dem Direktor mit: "Hiermit melde ich meine Tochter ab. Sie ist in der letzten Zeit von ihren Mitschülerinnen so wenig kameradschaftlich behandelt worden, dass ihr die Schulzeit zu einer Qual wurde."

"Diese wenigen Zeilen dokumentieren eindringlich, dass von einzelnen heranwachsenden Schülerinnen der Luisenschule ein alltäglicher Antisemitismus praktiziert worden ist", bewertet dies Rico Quaschny.

Die Lage spitzte sich noch weiter zu: Nach der Zerstörung der Synagogen ordnete ein Erlass aus dem Reichsministerium in Berlin an: "Juden ist der Besuch deutscher Schulen nicht gestattet. So weit es noch nicht geschehen sein sollte, sind alle zur Zeit eine deutsche Schule besuchende jüdischen Schüler sofort zu entlassen."

Im Jahresbericht der Luisenschule für das Schuljahr 1938/39 vermerkte der Direktor lapidar: "15.11.1938: Die beiden jüdischen Schülerinnen der Anstalt werden entlassen." Im Anschluss an den Vortrag des Stadtarchivars verlasen Schüler des Weser-Gymnasiums aus den Jahrgangsstufen 9 und 13 verschiedene Texte und Dokumente zum Schicksal aller jüdischen Kinder Vlothos.

"Die Luisenschule, zur Geschichte der höheren Mädchenbildung in Bad Oeynhausen", herausgegeben von Rico Quaschny. Verlag für Regionalgeschichte. Bielefeld, 2008.

Bildunterschrift: Ralf Steiner (Mitte) begrüßt als Vorsitzender der Mendel-Grundmann-Gesellschaft die Gäste, rechts Vorstandsmitglied Manfred Kluge, links Rico Quaschny, Stadtarchivar aus Bad Oeynhausen, im Hintergrund eine Zeichnung der Vlothoer Synagoge.

Bildunterschrift: Schüler des Weser-Gymnasiums stellen Texte und Dokumente zum Schicksal jüdischer Kinder vor.


oeynhausen@westfalen-blatt.de

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