Neue Westfälische ,
02.08.1990 :
Schlepper bringen sie / Bürger wehren sich / Verwaltungen hilflos /Zustrom von Roma und Sinti
Von Christoph Birnbaum
Herford/Bad Salzuflen (Eig. Ber.). Die Autobahnpolizisten staunten nicht schlecht. Als sie am späten Samstagnachmittag einen Ford Transit auf der A 30 unweit von Kirchlengern (Kreis Herford) stoppten, kletterten 38 Rumänen aus dem kleinen geschlossenen Kastenwagen. Am Steuer des Kleinlasters mit Duisburger Kennzeichen: ein 22-jähriger Landsmann. Er gab den Beamten an, seine Landsleute zu Verwandten nach Duisburg, Bonn und ins benachbarte Bad Salzuflen bringen zu wollen. Dort halten sich zur Zeit 239 registrierte Rumänienflüchtlinge auf. Vorwiegend Roma und Sinti. Im benachbarten Herford sieht es nicht viel besser aus. Ein Zelt soll Platz schaffen für mindestens 100 Rumänienflüchtlinge - gegen den massiven Protest von Anwohnern in beiden Städten.
Der Zufallstreffer der Autobahnpolizei belegt, was viele Sozial- und Ordnungsamtsleiter vor Ort und Experten im Düsseldorfer Sozial- und Innenministerium vermuten: Illegale Schlepperorganisationen sind für den jüngsten Zustrom von Rumänienflüchtlingen in Ostwestfalen-Lippe verantwortlich. Über Ungarn, die Tschechoslowakei und die DDR kamen sie nach Ostberlin. Ob es sich bei ihnen um die 5.000 Rumänienflüchtlinge handelt, die vor wenigen Wochen nach der Aufhebung des Visumzwangs und der Öffnung der rumänischen Grenze in Ostberlin Zuflucht suchten, ist ungewiss. Vieles spricht dafür, beweisen lässt es sich nicht. Ohne Papiere, ohne Gepäck und ohne Sprachkenntnisse erschienen sie in größeren Gruppen, Familien mit ihren Kleinkindern, in ostwestfälisch-lippischen Innenstädten. Eindeutige Schwerpunkte: die Städte Herford und Bad Salzuflen.
Und die sind voll. Wie viele sich derzeit neben den seit Juli registrierten 239 Roma und Sinti im Staatsbad und in städtischen Notunterkünften aufhalten, weiß Wolfgang Vögeding, stellvertretender Sozialamtsleiter, nicht. "Wir haben den Überblick verloren." Zusammen mit libanesischen und kurdischen Asylbewerbern sind sie in der ehemaligen Erich-Kästner-Schule im benachbarten Schötmar untergebracht - mehr schlecht als recht. Anwohner drohen der überforderten Verwaltung mit der Aufstellung einer "Bürgerwehr" und mieten Bauzäune an, um ihre Grundstücke zu schützen. Eine außerordentliche Hauptversammlung, von SPD und CDU für den nächsten Montag einberufen, soll klären, ob Salzuflens größtes Übergangswohnheim geschlossen wird: wegen unzumutbarer hygienischer Zustände.
Nicht besser sieht es im benachbarten Herford aus. Dort lässt Sozialdezernent Dr. Max Willebrand im Ortsteil Diebrock, weit draußen vor der Stadt, ein großes Wohnzelt aufschlagen - für rund 100 Rumänienflüchtlinge. Und auch hier wehren sich die Anwohner. Mütter äußerten Angst um ihre Kinder, Hauseigentümer befürchten Verwüstungen in Gärten. Schriftlich musste Sozialdezernent Willebrand den aufgebrachten Bürgern vor Ort versichern, das es sich nur um eine kurzfristige Maßnahme handelt.
Morgen wollen Stadt- und Gemeindedirektoren im Herforder Rathaus Staatssekretär Wolfgang Riotte vom nordrhein-westfälischen Innenministerium angesichts des verstärkten Zuzugs von Asylbewerbern ihr Leid klagen. Riotte wird ihnen wenig Tröstendes sagen können. Die Kommunen sind gezwungen, für die Zeit des Asylverfahrens die Flüchtlinge aufzunehmen. Allenfalls bei der "Entlastungsverteilung", der Weiterleitung von Asylbewerbern auf andere, weniger stark frequentierte Städte und Gemeinden, kann er ihnen Hoffnung machen.
Ernst Meihöfer, Herfords zweiter Mann im Sozialamt, hat einen eigenen Ausweg gefunden: Er hat 21 Rumänienflüchtlingen, die gleich wieder zurückreisen wollten, eine Fahrkarte in die Hand gedrückt: 2. Klasse Herford - Bukarest.
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