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Josef-Mohren-Fraktion ,
22.11.2000 :
Keinen Fußbreit den Nazibanden!
Anlass für diese Demonstration war der Anschlag auf ein griechisches Restaurant am 6.November, bei dem Hakenkreuze und rassistische Sprüche gesprüht wurden. Nun behauptet die Kriminalpolizei, dass dieser "Anschlag" vom Besitzer selber inszeniert wurde. Unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht, war dieses Ereignis nur der Anlass, der Grund ist ein anderer. Denn die Neonaziszene in Bad Salzuflen ist in den letzten Jahren so enorm gewachsen, dass sie zu den größten in Ostwestfalen-Lippe zählt. Entfalten konnte sie sich in einem städtischen Jugendtreff in Ehrsen, der jahrelang Anziehungspunkt für Neonazis auch aus dem Umland war. Hier wurde staatlich organisierte akzeptierende Jugendarbeit betrieben, die es ihnen mit Hilfe eines Sozialarbeiters erst ermöglichte, solche festen Strukturen zu entwickeln, wie sie heute existieren.
Vor fast einem Jahr legten am Volkstrauertag in Bad Salzuflen Mitglieder aus einer sog. Freien Kameradschaft Kränze nieder, vor wenigen Wochen gab es einen Brandanschlag auf ein türkisches Reisebüro und am 20.Oktober belagerten fast 70 organisierte Neonazi-Skins ein "Rock gegen Rechts"-Konzert.
In der Tat ist Bad Salzuflen keine Ausnahme, wenn sich dort wöchentlich etwa 30 Neonazis aus der Umgebung treffen. Überall in der Bundesrepublik gibt es diese Orte, an denen Ausländer, Juden, Obdachlose, Punks, Homosexuelle und Linke einer ständigen Bedrohung durch Nazis ausgesetzt sind. An den deutschen Ostgrenzen hilft die ortsansässige Bevölkerung kräftig mit illegale Einwanderer zu ergreifen und sie dem BGS zu übergeben. Die ausländerfeindliche Hetze wird zuvorderst von demokratischen Parteien betrieben, wie z.B. die CDU- Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder die Green Card-Debatte um "nützliche" und "ausnutzende Ausländer" zeigt. All das ist für uns Grund genug, diese Normalität anzugreifen.
Wenn wir die rassistische und antisemitische Normalität angreifen wollen, so bedeutet das nicht, dass wir mit Nazis reden wollen, wie etwa die Gruppe "Ratschlag" aus Bad Salzuflen, die lauthals in der Lippischen Landes-Zeitung verkündet, sie wolle reden, "vor allem mit denjenigen, die rechte Parolen verbreiten". Das wollen wir nicht! Nazis wissen, warum sie Nazis sein wollen. Sie sind keine Opfer, sie sind Täter, die aufgrund ihres Rassismus und Antisemitismus Menschen umbringen wollen. Mit Nazis reden würde bedeuten, dass man ihre "Argumente" für rational diskutabel hält, denn Unvernunft mit Vernunft begegnen zu wollen, käme dem Versuch gleich, einer Amöbe das Sprechen beibringen zu wollen. Derzeit beklagen sogar die reaktionärsten Politiker, dass Rassismus und Antisemitismus zum Alltagsgeschäft in Deutschland gehören. Dies nicht etwa, weil die Zahl der Anschläge und tätlichen Angriffe so drastisch zugenommen hätte, sondern weil die Deutschen auf einmal, wie schon 1992, den guten Ruf Deutschlands im Ausland gefährdet sehen. Um die Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalttaten geht es ihnen dabei nicht. Warum auch, wenn sie zugleich zielsicher zu jeder Wahl die Partei wählen, die verspricht, noch mehr Ausländer abzuschieben. Wenn es um die "Homogenität des deutschen Volkes" (E. Stoiber) geht, sind sich Mob und Elite einig: Ausländer müssen raus! Was die deutschen Demokraten an den Nazis stört ist nur, dass sie so "unzivilisiert" gegen Ausländer vorgehen und nicht auf dem sauberen, demokratischen Weg. Selbstbestätigung als geläuterte Antifaschisten finden die autoritären deutschen Bürger in dem Ruf nach harter Bestrafung für Nazitäter. Dabei geht es ihnen aber nur darum sich als nationales Kollektiv gegen die Verlierer der Gesellschaft zu stellen. Mitleid mit den Opfern ist hier nicht zu finden.
Da sich Demokratie und Rassismus keinesfalls ausschließen, sondern im Gegenteil Rassismus erst aus der Existenz von Nationalstaaten entsteht, ist revolutionärer Antifaschismus mehr als "gegen Nazis". Nationale Kollektive, die sich vermittels der Installation souveräner Herrschaft bilden, bestehen erst durch die Abgrenzung gegenüber Nichtmitgliedern der Nation. Indem die einzelnen Staatsbürger in der kollektiven Identifizierung mit dem Souverän praktisch zur "Volksgemeinschaft" werden, schließen sie notwendigerweise Menschen aus ihrer Gemeinschaft aus, die eben nicht dazugehören. Rassismus ist die Grundlage jeder nationalen Identität. Somit muss die Kritik am Rassismus zugleich auch immer die Kritik an der Nation sein. Die Entstehung von Nationalstaaten und die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise fielen historisch zusammen, beide bedingen einander.
Der Kapitalismus ist nichts anderes als die Ausbeutung von Menschen durch Menschen und somit ebenso abstrakt wie irrational. Daher kann er nicht verstanden oder durchschaut, sondern nur kritisiert und letzten Endes abgeschafft werden. Der Kapitalismus ist seinem Wesen nach immer krisenhaft aber anstatt den Kapitalismus revolutionär zu beseitigen, weil er Leid, Elend und Tod bedeutet, wird er in negative und positive Seiten auf gespalten und personifiziert. Der Staatsbürger begreift sein Kollektiv stets als das ursprüngliche, gute, welches die "ehrliche Arbeit" leistet. Mit der negativen Seite wird das "jüdische Finanzkapital" personifiziert, das angeblich die Krise bringt und damit das Kollektiv um den Ertrag seiner ehrlichen Arbeit betrügt. Auf den Einfall zukommen, dass der Kapitalismus nicht dazu da ist die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern nur Profit zu maximieren, kommt niemand, weil das schon die Kritik an den Verhältnissen würde. Die Juden werden solange Sündenbock des "Volkes" für dessen eigene projizierte Mängel und Wünsche bleiben, wie es Kapitalismus und Nationalstaaten gibt.
In Deutschland hat die Nationenbildung eine besonders gefährliche Ausprägung. Die Einigung der Kleinstaaten zum "Deutschen Reich" 1871 vollzog sich nicht etwa durch eine bürgerliche Revolution wie in Frankreich, sondern die Deutschen verstanden sich als Schicksalsgemeinschaft, die "natürlich" zusammengehörte, weil sie dasselbe Blut hatte. Deshalb war die deutsche Nationsbildung nie etwas mit politischem Willen, sondern sie kam einer mythologischen Mission gleich. Weil aber die Naturhaftigkeit von Nationen nur Ideologie ist, die Juden jedoch als natürliche Blutsgemeinschaft halluziniert wurden, projizierten die Deutschen ihre eigenen Wünsche nach dem starken, ursprünglichen Kollektiv auf die Juden. Die Juden wurden zur ideologischen "Gegenrasse" der Deutschen. Daraus erklärt sich auch die starke antisemitische Kontinuität vom Kaiserreich bis heute. Die Gründung des deutschen Staates und seiner Nation ging einher mit dem Hass auf die Juden, was in der Vernichtung der europäischen Juden ihren konsequenten, schrecklichen Ausdruck fand. Auch nach der Vernichtung der europäischen Juden ist der Antisemitismus in Deutschland konstitutives Element. Denn der Nationalsozialismus wurde zwar besiegt, aber die kollektive Identifikation der Deutschen mit ihrer Nation besteht fort. Der positive Bezug auf Deutschland schließt immer auch den Massenmord ein. Deutschland denken, heißt Auschwitz denken. Zwar wurde die Vollendung des Massenmordes an den europäischen Juden von den Alliierten kriegerisch verhindert, aber die Grundlage auf der der deutsche Antisemitismus gedeihen konnte, ist auch Grundlage des postfaschistischen deutschen Staates. Wie die Deutschen sich im Nationalsozialismus als Opfer einer imaginierten "jüdischen Weltverschwörung" begriffen, wurde das nationale Kollektiv nach 1945 durch das Vertuschen des gemeinsam begangenen Massenmordes begründet. Die Deutschen fühlen sich wieder als Opfer, dieses Mal als das Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Damit sprechen sie sich nicht nur von jeglicher individueller Schuld frei, sondern das nationale "Wir" der Volksgemeinschaft ist in die Demokratie hinübergerettet.
All die Befürchtungen, die radikale Linke zur Einigung der beiden deutschen Staaten äußerten, sind noch harmlos gegenüber der jetzigen Wirklichkeit. Deutsches Großmachtstreben steht nicht nur bevor, sondern ist angesichts des Angriffskrieges gegen Jugoslawien und den Umbau der Bundeswehr zur deutschen Vormachtsstellung innerhalb der Europäischen Union Realität geworden. Mit der Machtübernahme von Rotgrün begann die Phase des "neuen Selbstbewusstseins" (G. Schröder). Wie immer, wenn Deutschland zu sich selbst kommt, heißt das: Hass auf die Juden. Nicht nur die fortwährenden Anschläge auf jüdische Einrichtungen sind ein Ausdruck dieses virulenten Antisemitismus, sondern gerade die Debatten deutscher Intellektueller. Vom Historikerstreit über die Goldhagen-Kontroverse bis hin zum Streit zwischen Martin Walser und Ignatz Bubis, diese Debatten haben gezeigt, dass die Deutschen sich nicht schuldig fühlen wollen. Mit dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung und dem Bombardement Jugoslawiens ist Deutschland seinem Ziel näher gekommen, zivilgesellschaftliche Normalität zu erlangen. Deutschland soll "endlich" wieder eine normale Nation sein, da sind sich Joschka Fischer, Martin Walser und Ernst Nolte einig. Dass aber Normalität in Deutschland etwas anderes bedeutet als in anderen westeuropäischen Ländern, beweist die Existenz der braunen Schläger auf der Strasse. Die Nazi-Skinheads, die täglich durch die Presse geistern, sind nur die Oberfläche der mörderischen Normalität in Deutschland, aber sie sind die, die das Bild Deutschlands im Ausland bestätigen. Wenn sich der deutsche Staat und seine Bürger über Nazis empören, so heißt das nur, dass die Nazis ihnen bei ihrer sonst so schmierlosen Rückkehr zur Großmacht im Weg stehen.
Auch kein Widerspruch besteht zwischen zivilgesellschaftlicher Normalität in Deutschland und der Parteinahme gegen den israelischen Staat. Einst gegründet von Überlebenden der Shoah, müssen sich jetzt die Israelis vor aller Welt rechtfertigen, warum sie das Recht auf einen eigenen Staat haben sollen. Linke und bürgerliche Presse sind sich darin einig, dass Israel der Aggressor ist, und die Palästinenser das zwar gewaltbereite, aber irgendwie doch verständniswürdige Opfer ist. Die Projektion der Deutschen auf die Palästinenser, die auch aus "ihrer Heimat" vertrieben wurden, ermöglicht es den linken und liberalen Deutschen ihren Antisemitismus in Form von scheinbar objektiver Kritik an Israel herauszulassen. Finanzielle und andere Zuwendungen des deutschen Staates an die Palästinenser, wie z. B. die Zusage von fast 500 Millionen Mark für das kommende Jahr oder die Tatsache, dass palästinensische Pässe und Briefmarken in der Bundesdruckerei hergestellt werden, belohnt Yassir Arafat mit einem Orden für Gerhard Schröder. Deutschland ist der erste europäische Staat, der diplomatische Beziehungen zu dem erst noch zu gründenden palästinensischen Staat aufgenommen hat und dafür eigens ein sogenanntes "Vertretungsbüro" in der palästinensischen Autonomiezone eröffnet hat. Damit besteht die Kontinuität antijüdischen Ressentiments auch in der Außenpolitik und wird hoffentlich nicht - wie im Falle Jugoslawiens - zu einem Krieg von Seiten Deutschlands führen. Aber das Problem ist, dass man von den Deutschen nie genau sagen kann, was sie mit Sicherheit nicht tun werden. Eines steht jedoch fest: Wenn Rassismus und Antisemitismus von dieser Welt verschwinden sollen, muss als erstes Deutschland verschwinden. Denn Deutschland bedeutet nach wie vor "Mord und Totschlag"!
Sagen wir den Nazis und ihren rassistischen und antisemitischen Volksgenossen den Kampf an. Erklären wir uns solidarisch mit denen, die alltäglich rassistische und antisemitische Gewalt und Hass zu spüren bekommen, weil sie in einem Land leben, in dem sie nicht willkommen sind. Kämpfen wir für eine revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse, so dass jeder Mensch leben kann wo er will und wie er will.
Josef-Mohren-Fraktion
(Josef Mohren war ein deutscher Kommunist, der während des Nationalsozialismus in verschiedenen Widerstandsgruppen gegen Deutschland gekämpft hat und nach 1945 Totengräber war, um den gefallenen amerikanischen Soldaten ein würdiges Begräbnis zu verschaffen.)
mail@gwg-koeln.com
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