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Lippische Landes-Zeitung , 22.07.2000 :

Empörung / "Staatsschutz bleibt bei Kinder-Version", LZ vom 3. Juli

Mit Empörung lasen wir den Artikel über die "Schändung" des jüdischen Friedhofs und die Reaktion des Staatsschutzes.

1. Bei den erwähnten Flugblättern der Polizei handelte es sich unseres Wissens nur um eine Aufforderung, zehn- bis zwölfjährige Kinder zu melden, die in Frage kommen, den Friedhof zerstört zu haben. Nicht mit einem Wort wird die Bevölkerung dazu gefragt, ob sie Hinweise auf einen vielleicht doch rechtsextremistischen Hintergrund habe.

2. Wenn Rechte "immer" einen schriftlichen Hinweis hinterlassen, wie der Leiter des Staatsschutzes behauptet, heißt das, dass einige Tausend rechtsextremistisch motivierte Straftaten nie begangen worden seien. So gab es doch auch keinen schriftlichen Hinweis beim Überfall einiger rechter Bundeswehrsoldaten auf ausländisch (aussehende) Menschen 1997 in Detmold; und wenn jüdische Mitmenschen von Deutschen als "Judensau" beschimpft werden, hinterlassen die Täter für gewöhnlich ebenfalls keine schriftlichen Hinweise.

Nur so lässt sich die Behauptung des Staatsschutzes, man könne einen rechtsextremistischen Hintergrund ausschließen, da es in der Region keine rechtsextreme Szene oder Vorfälle gäbe, erklären. Immerhin wird in einer Studie der Uni Potsdam herausgestellt, dass laut Polizei bei der Zerstörung jüdischer Friedhöfe (in Deutschland im Schnitt zwei bis drei pro Woche) nur von einem politischen Motiv ausgegangen wird, wenn die Täter erstens gefasst werden und ihnen zweitens die Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen Organisation nachgewiesen werden kann.

3. Skandalös ist, dass ein Leiter des Staatsschutzes offenbar nicht einmal weiß, weshalb er ermittelt, wenn er sagt: "Nur muss man sehen, dass es sich rein faktisch um eine Sachbeschädigung handelt, wenn auch um eine schlimme." Abgesehen von der ungeheuren Verharmlosung der Tat, weiß er offensichtlich nicht einmal, dass es sich laut Paragraph 304 StGB um eine "gemeinschädliche Sachbeschädigung" handelt und missachtet konsequent die Existenz des Paragraphen 168 Absatz 2 StGB ("Störung der Totenruhe"), die gerade im Falle der Zerstörung eines jüdischen Friedhofes besonders zum Tragen kommt.

4. Um was für Erfahrungen des Staatsschutzes muss es sich handeln, wenn Herr Ettler behauptet, Schmierereien, wie sie kürzlich in Detmold aufgetaucht sind, seien " ... spontan. Die sind nicht geplant, sie kommen insofern nicht als Teil einer Kette von Straftaten in Frage. Das machen Leute, wenn sie von einer Fete nach Hause gehen ... "? Uns ist völlig schleierhaft, was man unter Spontanität versteht, wenn wenigstens drei Leute bereits mit etwa drei Spraydosen zu einer Fete gehen, um anschließend eine über drei Kilometer lange Route zurückzulegen, auf der gezielt überwiegend türkische Einrichtungen mit inhaltlich gezielten Sprüchen versehen werden.

Der Staatsschutz schafft es mit diesen Argumentationen offensichtlich, einerseits das allseits gewollte falsche Bild vom friedlichen Detmold zu wahren, andererseits aber auch aktive Schützenhilfe für Neonazis zu leisten und den alltäglichen Rassismus und Antisemitismus zu leugnen.

Matthias Kelle
Kulturinitiative Detmold e.V.
Bielefelder Straße 3
Detmold

22./23.07.2000
Detmold@lz-online.de

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