WebWecker Bielefeld ,
04.08.2004 :
Ehemalige Zwangsarbeiter im September zu Besuch
Endlich: Anfang September kommen circa 25 ehemalige ZwangsarbeiterInnen zu Besuch nach Bielefeld. Es war ein langer, schwieriger Weg, bis die Stadt die Mittel zur Verfügung stellte. Jetzt, wo die Planung konkret wird, sucht das DRK noch Rollstühle für einige der TeilnehmenInnen, die überwiegend um die 80 Jahre alt sind.
Von Manfred Horn
Bereits seit 2001 bemüht sich die Bielefelder Sektion des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie" darum, ehemalige ZwangsarbeiterInnen nach Bielefeld einzuladen. Es war ein langer Weg mit Verhandlungen im Hintergrund. Die Stadt zierte sich, kostet ein solches Besuchsprogramm doch Geld. Doch Anfang 2004 gab es dann endlich grünes Licht: Der Rat segnete 50.000 Euro für den Besuch ehemaliger ZwangsarbeiterInnen ab.
Treibende Kraft war dabei die Bielefelder Sektion des Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie", der gleichzeitig unter dem Namen "DGB-Arbeitskreis zur Zwangsarbeit" firmiert. Er kümmert sich seit 2001 um den Kontakt zu ehemaligen ZwangsarbeiterInnen im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, nahm Kontakt mit der Memorialstiftung in Moskau auf und bekam auf diesem Weg 800 Adressen von noch lebenden Zwangsarbeiterinnen vorwiegend in der Ukraine. 150 von ihnen hat der Verein angeschrieben, circa ein Drittel antwortete. Eine kleine Zahl, wenn man bedenkt, dass circa 16.000 Menschen während des zweiten Weltkriegs unfreiwillig vorwiegend in der Rüstungsindustrie und Landwirtschaft Bielefelds schufteten.
Aber daraus sind Kontakte entstanden. Mehr war für den ehrenamtlich tätigen Verein auch gar nicht möglich. Qualitativ ist die Arbeit nicht hoch genug einzuschätzen. Das Thema Zwangsarbeit erfüllte sich durch die Briefe, die die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen schrieben, mit Leben. Ein Teil der Briefe wurde im vergangenen Jahr im Theater am alten Markt vorgelesen. Zwangsarbeit war endlich Thema in der Stadt, wenn auch sehr spät.
So sei der für September geplante Besuch von circa 25 ehemaligen ZwangsarbeiterInnen auch sehr wichtig, "komme aber leider zehn Jahre zu spät", wie Tanja Schuh vom Verein feststellt. Denn viele der ehemaligen Arbeitssklaven des Dritten Reichs sind inzwischen verstorben, andere nicht mehr reisefähig. Die Jüngsten sind über 70 Jahre alt, die meisten um die 80. Viele von ihnen haben das Geschehen in Bielefeld nicht vergessen, es ist als unbearbeiteter Teil ihrer Jugend in den Köpfen hängen geblieben. In den Träumen kommen die Erinnerungen.
So berichtete Wladimir Timofejew bei seinem Besuch im Juni, er träume noch heute von den Menschen, die ihm damals geholfen haben. Trotz aller Qualen und Entbehrungen sehen sich viele ZwangsarbeiterInnen auch irgendwie als BielefelderInnen und wollen noch einmal die Orte sehen, an denen sie damals leben mussten.
Nun kommt eine kleine Zahl von ihnen tatsächlich. Wieviele es genau werden, ist noch nicht bekannt, da auf Grund des Alters bis zum Abreisetag noch Absagen möglich sind. Es werden circa 25 Personen werden, plus einer Begleitperson. Die 50.000 Euro der Stadt reichen nicht für eine Woche Unterbringung und Programm, private Sponsoren und ehrenamtliche Arbeit sind nötig, um das Unterfangen zu ermöglichen. Einen Monat vor Beginn der Besuchswoche sind zum Glück einige Bielefelder Unternehmen bereit, Unterstützung zu leisten. Mit dabei ist auch das Deutsche Rote Kreuz. Es öffnet seine Kleiderkammer, damit sich die BesucherInnen einkleiden können. Denn die meisten von ihnen leben in bitterer Armut. Und das DRK stellt einen Fahrdienst zur Verfügung für diejenigen TeilnehmerInnen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind.
Damit verknüpft ist die Aktion "Rollstühle für ehemalige Zwangsarbeiter". Denn einige der BesucherInnen werden einen Rollstuhl benötigen, wenn sie in Bielefeld sind. "Wir suchen nach gebrauchten, gut erhaltenen Rollstühlen, die klappbar sind", erklärt Michael Beimdiek, Geschäftsführer "Soziale Dienste" des DRK. Die
BesucherInnen haben dann auch die Option, die Rollstühle mit in die Heimat zu nehmen. Sollten bei der Sammelaktion mehr zusammenkommen als benötigt, dann würden sie aufbereitet und über die GAB (Gesellschaft für Arbeits- und Berufsförderung mbH Bielefeld) in die Dritte Welt gespendet.
Bis zum Tag der Anreise am 5. September gibt es noch viel zu tun: Zunächst einmal muss geklärt werden, wer denn nun wirklich kommt. Dann wird noch mit einigen Unternehmen verhandelt: Nicht alle, die ehemals ZwangsarbeiterInnen beschäftigten, sind bis jetzt bereit, ihre Werkstore zu öffnen. Wer sich bis dato weigert, darüber schweigt sich der Verein aus. Dabei ist der Besuch der ehemaligen Arbeitsstätte ein zentraler Moment in der Reise der BesucherInnen. "Wir werden weiter dran arbeiten, gehen auch über den Betriebsrat", erklärt die stellvertretende Sprecherin des Vereins Merret Wohlrab. Für sie ist klar: Die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen müssen ihren Betrieb von damals sehen können.
Das Programm steht jedenfalls schon. Es wird den BesucherInnen einen Einblick in das Bielefeld der Gegenwart und der Vergangenheit ermöglichen. Sie werden in Kontakt kommen mit der Bevölkerung, in Schulen vortragen, werden aber auch die Stätten ihrer Fronarbeit besichtigen. Hinzu kommt ein kultureller Teil und ein Kontakt mit der ukrainischen Gemeinde in Bielefeld. "Allerdings ist alles freiwillig. Niemand der Teilnehmer wird zu etwas gezwungen", erklärt Petra Krasa vom Verein und Stadtarchiv. "Im Gegensatz zu den Holocaust-Opfern sprechen die Zwangsarbeiter zum ersten Mal über ihre Geschicht." Eine Aufarbeitung in ihrer Heimat fand kaum statt, im Gegenteil wurden die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen in der ehemaligen Sowjetunion häufig schikaniert, da ihnen "Deutschenfreundlichkeit" unterstellt wurde.
Der Verein ist interessiert an BielefelderInnen, die sich an ZwangsarbeiterInnen, deren Leben und Arbeitsstätten erinnern können. Bitte melden bei: Petra Krasa, Stadtarchiv, Telefon: 0521 - 518 594.
Die Rollstuhlaktion läuft über das Deutsche Rote Kreuz. Wer einen Rollstuhl abgeben will, melde sich bitte unter der Telefonnummer des DRK-Fahrdienstes 0521 - 52 99 898.
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