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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 02.08.2004 :

Einzelne Tränen und jubelnde Menge / Beginn des Ersten Weltkrieges vor 90 Jahren / Menschenmassen versammelten sich auf dem Jahnplatz

Bielefeld. "Weltwende!" Mit diesem Wort leitete die Westfälische Zeitung, Vorgängerin der Neuen Westfälischen, in ihrer Sonderausgabe zum Beginn des Ersten Weltkrieges ihre Aufmachung ein. Am Samstag, 1. August 1914 um 17.15 Uhr hatte Kaiser Wilhelm I. die Mobilmachung Deutschlands angeordnet. Seit dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger am 28. Juni 1914 in Sarajevo, das als Kriegsauslöser gilt, war der Bevölkerung die drohende Gefahr eines Krieges bewusst. Wie in allen deutschen Städten wurde die Verkündung der Mobilmachung nach einer spannungsgeladenen Vorlaufzeit auch in Bielefeld von vielen Menschen bejubelt.

Heute – auch nach den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg – ist es kaum noch vorstellbar, mit welcher Begeisterung der Beginn des Ersten Weltkrieges von großen Teilen der Bevölkerung aufgenommen wurde. Lediglich die Frauen und Mütter, die ahnten, dass sie Abschied von ihren Männern und Söhnen nehmen mussten, vergossen heimliche Tränen.

Der kaiserlichen Anordnung der Mobilmachung war ein Ultimatum Deutschlands an Russland voraus gegangen. Nachdem die eingeräumte Zeit verstrichen war, stand die Bevölkerung unter Spannung. Bereits zu dieser Zeit wurde für die Kreise Bielefeld und Herford der verstärkte Belagerungszustand ausgerufen. "Plakate, Flugschriften und andere Veröffentlichungen dürfen nur noch dann gedruckt, öffentlich verkauft oder sonst verbreitet werden, nachdem die Ortspolizeibehörde die Erlaubnis dazu erteilt hat", erklärte die Westfälische Zeitung die Folgen des Belagerungszustandes. Die Wirtshäuser mussten abends um 22 Uhr schließen und Versammlungen von mehr als zehn Personen auf Straßen und öffentlichen Plätzen waren nicht mehr gestattet.

Um weitere Informationen zu bekommen, drängten sich die Bielefelder vor den Extrablättern, die in Schaufenstern der Zeitungshäuser ausgehängt wurden. "Ein ungemein lebhafter Verkehr herrschte abends in den Wirtschaften und Cafés der Stadt, wo es vielfach zu patriotischen Kundgebungen kam", berichtet die Westfälische Zeitung in ihrer Ausgabe vom Samstag, 1. August. Hochrufe auf das Vaterland und patriotische Lieder waren zu hören. "Erst in der elften Stunde trat, nachdem um zehn Uhr die Schließung der Wirtschaften erfolgt war, allmählich Ruhe in der Stadt ein und die Straßen leerten sich."

Die Kriegsbegeisterung erfasste in den folgenden Tagen die ganze Bevölkerung. Nicht selten meldeten sich Männer freiwillig zum Kriegsdienst. Auch Schüler wollten in den Krieg ziehen, berichtet Professor Reinhard Vogelsang, früherer Leiter des Stadtarchivs, im zweiten Band seines Buches "Geschichte der Stadt Bielefeld". "Die Oberprimaner des Gymnasiums und der Oberrealschule traten vollzählig an." Ein Notabitur wurde eingeführt, um den Kriegsdienst für die Schüler möglich zu machen. 6.000 Männer aus der Stadt und 3.000 aus dem Landkreis waren bis zum November 1914 eingezogen. Anders als im Zweiten Weltkrieg fanden in Bielefeld im Ersten Weltkrieg keine unmittelbaren Kampfhandlungen statt. Die daheim gebliebene Bevölkerung hatte aber im Verlauf des Krieges unter Lebensmittelknappheit und anderen strukturellen Mangellagen zu leiden.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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