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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 30.07.2004 :

Spiel mit Bomben auf Bielefeld / Zerstörung des Viadukts im März 1945 als Computerspaß / Zeitzeugin: "Nicht lustig"

Von Conrad Schormann

Bielefeld. Mit einem Knopfdruck können Computerbesitzer die 10.000-Kilo-Bombe ausklinken, die am 14. März 1945 Bielefelder tötete und den Viadukt in Schildesche zerstörte. "Dambusters" (Dammzerstörer) heißt das Computerspiel. "Nicht lustig" findet das Erika Wiebusch. Die 76-Jährige war mit dem Fahrrad am Viadukt unterwegs, als die Riesenbombe niederging.

"Dambusters" wurden die vielfach dekorierten Flieger des 617. Geschwaders der Royal Air Force genannt. Ihr Auftrag: Aus überladenen Flugzeugen mit den schwersten Bomben Dämme und andere Betonbauten zerstören. Die bis dahin schwerste und zerstörerischste Bombe aller Zeiten, "Grand Slam" genannt, warfen die Dambusters am 14. März 1945 über Bielefeld zum ersten Mal ab. Auch wegen dieser blutigen Mission hält der militärischer Ruhm der Dambusters an. Die Missionen wurden verfilmt, es gibt das vielfach neu aufgelegtes Computerspiel, tausende Internetseiten halten die Erinnerung an den ersten Abwurf der Riesenbombe wach.

Die Opfer am Boden kommen selten zu Wort. Ein Buch gibt es: "Als in Schildesche die Erde bebte" vom heutigen NW-Geschäftsführer Axel Frick, der unter anderem Zeugen zitiert, die beschreiben, wie die Toten mit Bollerwagen abtransportiert wurden. "Viele hatten die Zerstörung herbeigesehnt. Von dem Tag an hatten wir endlich Ruhe", sagt Näherin Erna Bitter.

Vergeblich hatten die Alliierten immer wieder ihre Bombenfracht abgeworfen. Die Felder um den Viadukt glichen einer Kraterlandschaft. Mindestens 50 Menschen starben bei den Angriffen, der Viadukt stand. Von einer vergeblichen Attacke berichtet Flieger William Mulholland in seinem Internet-Kriegstagebuch. Am 10. März 1945 dachten er und seine Kameraden vom 506. Geschwader, sie müssten nicht fliegen. "Am Abend davor waren wir alle im örtlichen Pub. Es dauerte, uns aus den Betten zu bekommen." Das Ziel: Bielefeld. Bewölkt sei es gewesen, keine deutschen Flieger am Himmel.

Erika Wiebuschs Vater hatte sie gewarnt, am Viadukt entlangzuradeln. Am 14. März 1945 "hab‘ ich es riskiert, sonst hätte ich einen Riesenumweg gehabt". Sie hörte ein Pfeifen, warf sich in einen Graben und war bald mit Erdklumpen bedeckt. Auf einem Ohr ist sie seitdem taub. Wiebuschs Enkel lebt in England.

Dem 25-Jährigen würde es keine Freude machen, am Computer den Viadukt zu bombardieren, meint seine Großmutter, die das echte Bombardement knapp überlebte.

Die Zerstörung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Die örtliche Nazizeitung "Westfälische Neueste Nachrichten" hat dazu nichts beigetragen. Über "Wildgemüse auf Bielefelds Fluren" berichtete das Blatt am Tag danach.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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