Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische ,
28.07.2004 :
Braune Köder für Kinder / Nazi-CD darf an Schüler verteilt werden
Bielefeld (jwl). 50.000 kostenlose CDs mit rechtsradikaler Musik warten auf ihre Verteilung vor Jugendtreffs und Bushaltestellen in NRW. Das Innenministerium als Verfassungsschutzbehörde und das Schulministerium stehen in den Startlöchern, um mit einer landesweiten Aufklärungskampagne gegen ein der bisher wohl größten rechtsradikalen Propaganda-Aktionen vorzugehen.
Sehr wahrscheinlich müssen die Ministerien und auch die Jugendorganisation der Gewerkschaft ver.di, die gestern vor der Fascho-CD warnte, ihre Aufklärungsanstrengungen noch steigern. Während in anderen Bundesländern die CD, die von rechtsradikalen Kameradschaften verteilt werden soll, nach Informationen dieser Zeitung verboten ist, ist ihr Vertrieb in NRW ohne strafrechtliche Folgen erlaubt.
Grund ist die unterschiedliche rechtliche Bewertung der CD in den einzelnen Ländern, die den Rechtsextremen in die Arme spielt. Während etwa in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt nach Informationen dieser Zeitung die CD nach einer Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft verboten wurde, ist die Verteilung in NRW gestattet.
"Wir haben die CD in Dortmund und bei den beiden anderen zuständigen Staatsanwaltschaften in Köln und Düsseldorf geprüft", sagt der zuständige Oberstaatsanwalt in Dortmund. Ergebnis: "Die uns bekannten Texte auf der CD sind strafrechtlich nicht zu beanstanden." Dabei geht es um den Paragrafen 90a des Strafgesetzbuches, der die Verunglimpfung des Staates unter Strafe stellt.
Er wisse wohl, dass die Entscheidung kontrovers diskutiert werde und die Staatsanwaltschaft dafür öffentlich auf Kritik treffen könne, so der Staatsanwalt. Es gehe aber um eine rechtsstaatliche Entscheidung.
Derzeit warten nach Informationen aus Ermittlerkreisen 50.000 der braunen Silberscheiben darauf, verteilt zu werden. Im Vorfeld der Aktion hatte eine zunächst beauftragte Firma 7.000 Exemplare vernichtet und den Auftrag zurückgegeben, nachdem sie von dem Inhalt erfahren hatte: 20 Lieder rechtsradikaler Bands und Kontaktadressen der rechten Szene.
Drahtzieher stammt aus Gütersloh
Einer der Initiatoren der bundesweiten CD-Kampagne stammt nach Informationen dieser Zeitung aus Gütersloh: Der Mittdreißiger Lutz W. vertrieb in der Vergangenheit von OWL aus CDs von Nazi-Bands, zog dann in ein 200-Seelen-Dorf nahe Stendal (Sachsen-Anhalt).
Den Ermittlern der Polizei werden nach der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung in NRW die Hände gebunden sein, wenn sich Neonazis vor Schulen und Jugendtreffs postieren und die CDs verteilen. Während der Sommerferien, so heißt es in Ermittlerkreisen, hätten die Initiatoren genug Zeit, den Vertrieb zu organisieren.
Beschlagnahmen dürfen die Beamten die Tonträger nicht. Ein Einschreiten wäre nur dann möglich, wenn die Zusammenstellung der Lieder sich verändert hätte und der Verdacht bestünde, dass die CD nun einen verfassungsfeindlichen Inhalt habe. Dafür dürfen die Beamten dann ein Exemplar sicherstellen und prüfen lassen, während die anderen CDs weiter verteilt werden können.
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