Lippische Landes-Zeitung ,
24.07.2004 :
Heimlich ins Haus geschlichen / Pastor i.R. Martin Hankemeier beleuchtet Schicksal der jüdischen Familie Löwenthal
Lage (be). Sie waren Kaufleute, Seifensieder und Handwerker. Jüdische Familien wie die Werthauers, Vogelsteins und Obermeiers waren in Lage bekannt und beliebt - bis die Nationalsozialisten die Macht ergriffen. Über ihre Schicksale schreibt Pastor i.R. Martin Hankemeier in seinem Buch "Zur Geschichte der Juden in Lage." Im Verlauf langwieriger Recherchen trug der Detmolder, der von 1967 bis 1990 Pfarrer der evangelischen Marktkirche in Lage war, bisher unbekannte Details vom Leidensweg der Familie Löwenthal zusammen, die den Band ergänzen.
Bisher wusste man nur, dass Max und Johanna Löwenthal mit ihren vier Kindern Anfang des 20. Jahrhunderts in der Langen Straße 95 a wohnten. Max Löwenthal handelte mit Kaffee und Spirituosen. Privat verkehrte er vor allem mit Kaufmann Hermann Hartmann, Lange Straße 136. 1907 zogen die Löwenthals nach Hannover. Dort hat sie Paula Tönnies, geborene Meier, mit ihrem Mann 1933/34 besucht. In ihrer Kindheit war sie eng mit Anna Löwenthal befreundet. "Heimlich haben wir uns in das Haus geschlichen. Wir durften sie schon lange nicht mehr besuchen. Sie freuten sich sehr, legten jedoch sofort den Finger auf den Mund und bedeuteten uns, wir sollten vorsichtig und vor allem leise sein. Sie hatten große Angst," erinnerte sich die Lagenserin in einem Gespräch mit Hankemeier. Mit Hilfe der Historikerin Marlis Buchholz fand er heraus, dass die Löwenthals um 1940 gezwungen wurden, in eine enge Wohnung in der Bergmannstraße 10 zu ziehen, in ein Haus mit vielen jüdischen Familien. Am 4. September 1941 wurde Mutter Johanna mit Tochter Anna zwangsweise in eines der 16 so genannten Judenhäuser an der Straugriede 55 eingewiesen. In der Trauerhalle des jüdischen Friedhofs waren die Juden in unvorstellbarer Enge eingepfercht, fand die Historikerin heraus, die das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wissenschaftlich beleuchtet.
Als die Deportation in die Konzentrationslager einsetzte, leerten sich nach und nach die "Judenhäuser". Nun wurden Johanna und Anna Löwenthal in die Ellernstraße 16 verlegt, wo sich das frühere jüdische Krankenhaus Hannovers befand.
Vor dort erfolgte der Transport zunächst zur Gestapo-Sammelstelle auf dem Gelände der ehemaligen jüdischen Gartenbauschule Ahlem, bevor Anna Löwenthal am 31. März 1942 über Hannover-Linden zusammen mit über 500 anderen Juden in Viehwaggons aus der Stadt nach Warschau deportiert wurde. Ihre Spur verliert sich im KZ Treblinka. Ihre Mutter Johanna wurde nach Theresienstadt bei Prag gebracht, wo sie im Getto am 17. November 1942 starb. Vater Max erlag einem Krebsleiden. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Hannover beigesetzt. Wie Martin Hankemeier erfuhr, zogen zwei weitere Kinder der Löwenthals nach Berlin. Was aus ihnen wurde, ist bisher nicht bekannt.
"Bei der Gedenkfeier am 9. November auf dem jüdischen Friedhof an der Flurstraße in Lage kann nun auch der Ermordung von Johanna und Anna Löwenthal gedacht werden", so Pastor Hankemeier.
24./25.07.2004
Lage@lz-online.de
|