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Bielefelder Flüchtlingsrat , 20.10.2003 :

Erster Redebeitrag auf der Demonstration in Herford: "Stoppt die Abschiebung von Ömer und Ali Demir!"

Ich möchte an dieser Stelle noch zu einem anderen Aspekt der bundesdeutschen Asylpolitik etwas sagen.

Viele Menschen, die hier Asyl beantragen, haben politische Gewalt erlebt, sind gefoltert oder misshandelt worden, oder mussten Gewalttaten an Angehörigen miterleben. Sie leiden bis heute unter den psychischen Folgen dieser existenzbedrohten Erlebnisse. Für alle, egal ob sie die Gewalt in Bosnien, der Türkei oder Togo überlebt haben, bedeutet eine Abschiebung in das Land, in dem die Folter und Gewalt geschah, eine ständige Konfrontation mit den traumatisierenden Erlebnissen und das führt in den meisten Fällen zu einer Retraumatisierung. Schon vorher ist es für viele bei der ständigen Angst abgeschoben zu werden, unmöglich gesund zu werden und wenigstens ein bisschen zur Ruhe zu kommen vor Albträumen und Angstzuständen. An der Praxis des Asylrechts wird aber mal wieder deutlich, wie scheinhellig das Gerede von Menschenrechten ist, das von Regierungsseite so gerne genutzt wird. Die Bedingungen, unter denen traumatisierte Flüchtlinge hier Abschiebeschutz bekommen, sind so hoch gesteckt, das sie von den meisten nicht erreichbar sind.

Dazu ein Beispiel:
Im Asylverfahren sollen Flüchtlinge direkt nach einer anstrengenden Flucht detailliert und widerspruchsfrei von den Erlebnissen im Herkunftsland erzählen. Gerade für traumatisierte Flüchtlinge ist das unmöglich. Der Wunsch zu vergessen und die mit dem traumatischen Erlebnis verbundenen psychischen Probleme sind zu groß, um einfach gegenüber einem fremden Menschen klar und strukturiert darüber zu reden. Viele haben die Ereignisse ganz stark verdrängt, andere wollen und können einfach nicht mit jedem darüber reden und hoffen ihre Intimspähre wahren zu können. Wenn ihr Asylantrag dann aber abgelehnt wird, weil wie es dann in den Ablehnungen so schön heißt, der Sachvortrag zur Verfolgungsgeschichte nicht detailreich genug war, fallen sie in eine Situation ständiger Angst vor Abschiebung. Oftmals nehmen die psychischen Probleme nach einer Abschiebedrohung extrem zu, wenn sie aber erst dann mit einem Arzt oder einer Ärztin über die Erlebnisse sprechen, wird ihnen oftmals vorgeworfen, warum sie erst jetzt damit kommen. Wenn sie dann überhaupt noch eine Chance dazu haben, müssen sie im Verlauf der Neubeurteilung ihrer Situation immer wieder Gutachten vorlegen, die zur Frage der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und der Reisefähigkeit Stellung beziehen.

Und an dieser Stelle wird deutlich, wie groß der Wille der Behörden zur Abschiebung inzwischen ist. Bei Ömer Demir lagen diverse Gutachten seines behandelnden Arztes und des Gesundheitsamtes vor, die eine PTBS bestätigten, von Ärzten, die ihn schon länger kannten. Die Ausländerbehörde aber beauftragte einen Arzt, der in einer Sitzung alle Gutachten über den Haufen warf und die Traumatisierung bestritt. Wenn ein Flüchtling selbst ein Gutachten in Auftrag geben würde, das auf Grundlage einer Sitzung allen bisher vorliegenden Gutachten widerspricht, würde das von den Behörden wahrscheinlich gar nicht erst gelesen. Wenn das aber von einer Ausländerbehörde, dem Gericht oder dem Bundesamt im Auftrag gegeben wird, scheint alles recht zu sein, was der schnellen Abschiebung dient. Anders kann mensch nicht verstehen, wieso hier in Bezug auf die Anforderungen an Gutachten mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn der Fall von Ömer Demir ist kein Einzelfall.

Auch wenn ein Gutachten ursprünglich wegen der Frage der Reisefähigkeit in Auftrag gegeben wurde, muß es die Gesamtsituation des Flüchtlings bei einer Abschiebung berücksichtigen. Flüchtlinge mit sedierenden Spritzen und Arztbegleitung ins Flugzeug zu setzen und ab dem Flughafen Istanbul zu sagen, "alles weitere ist nicht unsere Sache", ist eine menschenrechtsverletzende Haltung!

Nach internationalen Statistiken sind etwa 20 bis 30 % aller Flüchtlinge, die nach Europa fliehen, Überlebende schwerer traumatisierender Erlebnisse und Folter. Bei der momentanen Asylrechtspraxis werden die meisten von ihnen wieder in das Land abgeschoben, in dem sie die Folter und Gewalt erlebt haben. Es scheint politisch nicht gewollt zu sein, traumatisierten Menschen hier Schutz zu gewähren, ihnen eine Chance zu geben, diesen Schutz überhaupt zu erlangen. Es geht nur um die rein theoretische Möglichkeit, die wieder mal nur dem guten Ansehen dient und es auch Herrn Fischer und Herrn Schily ermöglicht, immer wieder von Menschenrechten zu sprechen. Menschenrechte, die nur auf dem Papier stehen, in irgendwelchen internationalen Resolutionen, nützen aber niemand etwas, sie müssen praktisch sichtbar sein und für alle Menschen gelten.

Wir fordern deshalb:
- Ein Bleiberecht für traumatisierte und kranke Flüchtlinge!
- Die Würdigung der von Flüchtlingen selbst gewählten GutachterInnen!
- Keine Abschiebung von Ömer Demir und seiner Familie!

Gesundheit ist ein Menschenrecht, Asyl ist ein Menschenrecht - und Menschenrechte sind unteilbar!


fluechtlingsrat-bi@web.de

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