WebWecker Bielefeld ,
22.10.2003 :
Unheilbare Krankheit Abschiebehaft
Am vergangenen Montag demonstrierten in Herford gut fünfzig Menschen gegen die drohende Abschiebung des Löhners Ömer Demir und seines 16-jährigen Sohnes Ali in die Türkei. Dem Kurden und Sozialisten, der seit über acht Jahren in Deutschland lebt, bescheinigten verschiedenste Ärzte, darunter auch Amtsärzte, eine Posttraumatische Belastungsstörung und Selbstmordgefahr auf Grund von Misshandlungen in türkischen Gefängnissen. Nachdem jedoch ein Arzt Demir nach einer einzigen Sitzung die Reisefähigkeit in einem Gutachten für das Ausländeramt des Kreises Herford bescheinigte, ordnete dieses seine Abschiebung an. Als ihn jedoch am 25. September Beamte verhaften wollten, war Ömer Demir verschwunden (WebWecker berichtete). Einer der Redner auf der Herforder Demonstration war Ömer Demirs älterer Sohn Mehmet. Dessen Abschiebung hatte das Oberverwaltungsgericht Münster im vergangenen Jahr gestoppt. Die Begründung war, dass Mehmet Demir seinem kranken Vater beistehen müsse. Im WebWecker-Gespräch beschreibt der 20-jährige Schüler die Situation seines Vaters und seine eigenen Erfahrungen im Abschiebegefängnis Büren.
Interview: Mario A. Sarcletti
WebWecker: Wie geht es Ihrem Vater?
Mehmet Demir: Der Zustand meines Vaters ist sehr schlecht, weil er die ganze Zeit Angst hatte und hat, dass er irgendwo festgenommen und abgeschoben wird. Deshalb hat sich sein seelischer Zustand noch verschlechtert gegenüber früher. Im Moment ist er in einer Klinik und da können sie ihn Gott sei dank nicht abholen. Aber wenn er einen Schritt aus der Klinik machen würde, würden die ihn sofort festnehmen und abschieben. Er ist ja auch zur Fahndung ausgeschrieben worden und wenn er die Klinik verlässt, würde er festgenommen, weil er gesucht wird.
WebWecker: Wie war denn seine Reaktion als der Abschiebebescheid kam?
Mehmet Demir: Die Sache ist die: Das Ausländeramt beharrt auf dem inzwischen ein Jahr alten Gutachten eines türkischen Arztes, der meinen Vater für reisefähig hält, obwohl es seit 1997 elf Gutachten von unterschiedlichen Ärzten gibt, auch von Amtsärzten, die meinen, dass mein Vater nicht reisefähig ist. Das müssen Sie sich mal vorstellen: Obwohl mein Vater sich in einer Klinik aufhält, behauptet das Ausländeramt, er wäre nicht krank und sollte abgeschoben werden.
WebWecker: Wie hat sich die Krankheit denn über die Jahre geäußert?
Mehmet Demir: Mein Vater war als politisch tätiger Mensch im Gefängnis. Und immer, wenn er sich an die Umstände, an die Qualen und Leiden damals erinnert, kommt alles hoch und der Zustand wird immer schlechter. Dann ist er manchmal apathisch, sagt gar nichts und zieht sich zurück, sodass er einfach überhaupt nicht mit seinem Leben klar kommt. Früher war er ein guter Schüler. Die ganzen Repressalien haben dazu geführt, dass er nicht mehr richtig sprechen, nicht mehr richtig schreiben und nicht mehr richtig denken kann.
Webwecker: Wie kommt es, dass elf Ärzte sagen: "Der Mann ist nicht reisefähig, der Mann ist krank und braucht Behandlung". Und dann kommt ein Arzt, der sagt: "Der ist reisefähig", und das ist das Ausschlaggebende.
Mehmet Demir: Der wichtige Unterschied ist, dass der eine Arzt das Gutachten für die Ausländerbehörde geschrieben hat und die anderen Ärzte unabhängig waren. Auf der einen Seite ist da also dieses Gutachten, das veraltet ist und nichts über den aktuellen Zustand aussagt. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele Gutachten von unterschiedlichen Ärzten, die seit Jahren das gleiche aussagen. Nämlich, dass mein Vater auf Grund seiner Krankheit nicht reisefähig ist. Es gibt auch schon ziemlich viele Stellungnahmen zu diesem Arzt vom Ausländeramt, die besagen alle, dass dieser Arzt nicht kompetent genug ist. Trotzdem hat sein Gutachten mehr Aussagekraft als alle anderen.
WebWecker: Sie standen ja letztes Jahr selbst kurz vor der Abschiebung. Könnten Sie versuchen, die Gefühle zu beschreiben, wenn man plötzlich verhaftet wird und in einem Abschiebegefängnis landet.
Mehmet Demir: Das ist so, als wenn man plötzlich eine unheilbare Krankheit hat, von der man nicht weiß, wann sie ausbricht und einen töten wird. Ich selber war im Abschiebeknast und wusste nicht, wann ich abgeholt und in die Türkei abgeschoben werde, wo eine Gefahr für mich besteht. Es könnte morgen sein, es könnte aber auch übermorgen sein. Ich saß in Büren 21 Tage im Gefängnis, obwohl ich keinem Menschen was zu leide getan habe. Ich wurde verhaftet wie ein Tier, vor dem man die Zivilisation schützen muss. Und ich muss noch eines sagen: Damals entschieden die Richter des Oberverwaltungsgerichts Münster, dass ich hier bleiben darf, weil wir als Familie, als so genannte Beistandsgemeinschaft, zusammen bleiben müssen, damit ich meinem Vater im Alltag helfen kann. Also auch das Oberverwaltungsgericht erkannte den Gesundheitszustand meines Vaters an. Sollten mein Vater und mein Bruder abgeschoben werden, besteht auch für mich diese Gefahr, weil dann ja diese Beistandsgemeinschaft nicht mehr geegeben ist.
WebWecker: Nun waren Sie ja nicht der einzige der in Büren inhaftiert wurde, der nichts getan hat als vielleicht zur falschen Zeit im falschen Land gewesen zu sein. Da gibt es ja viele, viele Fälle. Wie ist die Stimmung unter den Häftlingen in Büren?
Mehmet Demir: Die Stimmung ist natürlich gar nicht gut und man kann sich ja vorstellen, wie es in so einem Gefängnis zugeht. Ich würde es nicht einmal meinem ärgsten Feind wünschen in so eine Situation zu kommen.
WebWecker: Sie gehen ja zur Bertolt-Brecht-Gesamtschule. Hat Ihre versuchte Abschiebung das Klima an der Schule verändert, ist Abschiebung ein wichtigeres Thema geworden?
Mehmet Demir: Ich hoffe, dass es ein wichtiges Thema geworden ist. Es hat auf jeden Fall dazu geführt, dass das Unwissen meiner Schulkollegen weg gegangen ist. Die meisten Menschen wissen ja über Asylbewerber gar nicht bescheid. Die denken, alle Asylbewerber würden dem Staat auf der Tasche liegen. Sehr wenige wissen zum Beispiel, dass Asylbewerber gar nicht arbeiten dürfen und dass sie deshalb auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Wenn sie eine Arbeit annehmen dürften, würden sie doch arbeiten. Aber dann sagen die Leute natürlich: "Asylbewerber nehmen uns den Arbeitsplatz weg". Das ist ein Teufelskreis, aus dem wir nicht herauskommen. Aber wir können doch unser Schicksal auch nicht ändern.
webwecker@aulbi.de
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