Neue Westfälische ,
08.10.2002 :
Höhenflug durch Anpassung / Historiker-Kommission stellt Forschungsergebnisse zur Rolle des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich vor
Von Stefan Brams
München/Gütersloh. Das wuchtige Treppenhaus der Maximilian-Universität München. Steinerne Treppenstufen führen empor zum altehrwürdigen Senatssaal. Hier oben auf der Empore warfen die Geschwister Scholl 1943 ihre Flugblätter ins Treppenhaus der Alma mater, um ihre Kommilitonen gegen das Nazi-Regime zu mobilisieren. An diesem Morgen geht es erneut um die Zeit des Nationalsozialismus. Im Senatssaal stellt die "Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich" ihre Forschungsergebnisse vor.
Es ist ihr Vorsitzender Professor Saul Friedländer, der das Ergebnis auf den Punkt bringt: "Durch ein hohes Maß an Flexibilität, Anpassung und einem fast intuitiven Talent zur Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Regime brachte es Bertelsmann zwischen 1933 und 1945 zu seinem ökonomischen Höhenflug, konnte so zum wichtigsten Verlag der Wehrmacht werden."
Vor drei Jahren hatte die Unabhängige Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Mit der Bertelsmann AG stellt sich damit erstmalig ein deutsches Verlagshaus seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Den Anstoß dazu gab der Publizist Hersch Fischler, der 1998 der lang gehegten Firmen-Legende widersprach, Bertelsmann sei wegen seiner Nähe zu regimekritischen Kirchenkreisen von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen und schließlich 1944 aus politischen Gründen geschlossen worden. In dieser Situation entschloss sich das Unternehmen, die historische Kommission einzusetzen.
Gunter Thielen, der neue Bertelsmann-Chef, machte als Gast der Pressekonferenz in einer kurzen Rede deutlich: "Es war unser fester Wunsch, der historischen Wahrheit möglichst nahe zu kommen und damit frühere Versäumnisse im Umgang mit unserer Unternehmensgeschichte auszuräumen." Er bedauere, dass die frühere Darstellung erhebliche Lücken und Fehler enthalten habe und dass Bertelsmann mit seinem historischen Erbe nicht sorgfältig umgegangen sei.
Und dann sagte er: "Ich bedauere außerdem die Tatsache, dass wir im Zweiten Weltkrieg mit Büchern Geschäfte gemacht haben, die mit den Werten des Medienunternehmens Bertelsmann vollkommen unvereinbar sind."
Eben hier hat die UHK wichtige Erkenntnisse gewinnen können. Stichwort Antisemitismus: Im Bereich Belletristik habe Bertelsmann 50 Titel im Programm gehabt, die "massive antijüdische Attacken" beinhalteten. Friedländer: "Das antijüdische Programm bestand weiter, als man auch in der Gütersloher Provinz von der massiven Judenverfolgung wissen musste."
Die UHK folgert "Spätestens an diesem Punkt verwandelte sich Opportunismus in direkte ideologische und propagandistische Unterstützung des Regimes."
Heinrich Mohn beschäftigte in Gütersloh keine jüdischen Zwangsarbeiter
Doch so wenig Probleme Heinrich Mohn, dessen Mitgliedschaft im Förderkreis SS nochmals bestätigt wurde, als Verleger mit antisemitischer Literatur hatte, so "undeutlich ist seine Haltung zur antijüdischen Politik des Dritten Reichs". So habe sich Mohn an sogenannten Arisierungen jüdischen Immobilienbesitzes nicht beteiligt, sich nachweisbar für einen Mitarbeiter engagiert, dessen Ehefrau nach Theresienstadt deportiert worden war und auch zwei Gütersloher Mädchen beschäftigt, die nach den Rassegesetzen als "jüdische Mischlinge" galten.
Stichwort Zwangsarbeiter: Herausgearbeitet hat die UHK, dass Heinrich Mohn seit August 1943 in Gütersloh ausländische Arbeitskräfte, aber keine jüdischen Zwangsarbeiter, beschäftigte. "Nachzuweisen sind mindestens neun so genannte Zivilarbeiter, die alle aus den Niederlanden kamen." Da Bertelsmann in den 40er Jahren Druckaufträge ins Ausland verlagerte, sei es schließlich zur indirekten Beschäftigung von jüdischen Zwangsarbeitern in litauischen Druckereien gekommen. In Wilna seien Juden aus dem örtlichen Ghetto eingesetzt gewesen.
Stichwort Verlagsschließung 1944: Hier kommt die UHK zu einem deutlichen Urteil und spricht von "geschönter Selbstdarstellung". "Die Legende, C. Bertelsmann sei als Widerstandsverlag geschlossen worden, ist nicht aufrechtzuerhalten." Diese habe lediglich dazu gedient, von den Besatzungsbehörden möglichst bald eine neue Lizenz zu erhalten. Es habe zwar Zensurfälle gegeben, aber nicht weil die Literatur widerständig gewesen sei, "sondern diese hätten der Unberechenbarkeit eines auf Vorzensur verzichtenden Kontrollsystems entsprochen".
Stichwort strafrechtliche Ermittlungen im Jahr 1943: Auch die strafrechtlichen Ermittlungen wegen Papierschiebereien, die kurz vor Kriegsende mit einer Ordnungsstrafe glimpflich endeten, gründeten laut der UHK nicht in einer oppositionellen Haltung gegenüber dem Regime. "Sie ergaben sich vielmehr aus dem Versuch, die gewinnträchtige ideologisch konforme Produktion auch gegen die im Zeichen des totalen Krieges verschärften Forderungen der Kriegswirtschaftsbürokratie uneingeschränkt durchzusetzen."
Stichwort Belletristik: Die UHK zeichnet hier die Geschichte des Bertelsmann Verlags als die eines Höhenfluges durch Anpassung nach. Seit 1933 sei es gelungen, dank intensiver Werbeanstrengungen mit preiswerten Volksausgaben Massenauflagen zu erreichen. Zwar seien 1934 demonstrative Bekenntnisse zum Nationalsozialismus noch ausgeblieben, der Verlag habe aber mit seinem Programm "aus den Tiefen der Provinz in vielfacher Hinsicht Einverständnis mit dem neuen Regime signalisiert". Heinrich Mohn habe nicht gezögert auf Kriegsliteratur zu setzen, als sich damit Massenauflagen erzielen ließen. "Mit der Heftreihe Spannende Geschichten stellte sich der Verlag in den Dienst einer nationalistischen, schließlich rassistischen und antibolschewistischen Propaganda", urteilt die UKH.
Und seit 1939 produziert Bertelsmann dann seine Wehrmachtsausgaben, und mit 19 Millionen Wehrmachtsexemplaren überrundet der Verlag noch den Zentralverlag der NSDAP. Und auch hier widerspricht die UHK Firmenlegenden und betont: "Entgegen dem Eindruck, der nach Kriegsende von der Unternehmensführung erweckt wurde, verlief die Zusammenarbeit mit Wehrmacht und Propagandaministerium weitgehend komplikationslos."
Bertelsmann will das Firmenarchiv ab 2003 Interessierten zugänglich machen
Es ist Saul Friedländer, der nach den ersten Einblicken in das umfassende Forschungswerk zusammenfasst: "Was geschäftlich positiv für Bertelsmann war, hat man getan. Man kann im Falle Bertelsmanns von einer besonderen Dynamik der Anpassung sprechen." Und so habe Heinrich Mohn auch nach 1945 ein grundsätzliches Umdenken für nicht erforderlich gehalten und stattdessen "auf geschäftliche, betriebliche und inhaltliche Kontinuität gesetzt".
Die ausgebliebene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte will Bertelsmann nun nachholen, in dem es das Firmenarchiv ab 2003 in Gütersloh jedem Interessierten zugänglich macht, bis dahin ist es bei der UHK in München einsehbar. Zudem werde es eine öffentliche Diskussionsveranstaltung mit Zeitzeugen geben. Thielen: "Historische Wahrheit und Transparenz müssen wir zu den Schlüsselwerten unseres Unternehmens zählen."
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