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Gütersloher Zeitung / Neue Westfälische , 23.01.2010 :

Mahnen, aufrütteln, erinnern / Der 84-jährige Siegfried Dressler hat seine Erlebnisse als Kriegsgefangener in einem Buch dokumentiert

Von Joe Cubick

Marienfeld. Immer wieder stockt seine Stimme. Siegfried Dressler ist den Tränen nahe - zu lebendig sind die alten Erinnerungen. "Sie müssen entschuldigen, aber wenn ich das hier so vorlese, dann ist das alles wieder sehr nahe." Siegfried Dressler ist 84 Jahre alt und lebt seit mehr als 30 Jahren in Marienfeld. Auf Drängen seiner ältesten, in Darmstadt lebenden Tochter Christa Müller hat er das Buch "Die langen Jahres meines Lebens in russischer Kriegsgefangenschaft" geschrieben.

Die autobiografischen Erinnerungen sind in keinem Buchhandel zu bekommen. Siegfried Dresslers Tochter hat das Schriftwerk ihres Vaters, das mit persönlichen Fotos, Ausweiskopien, Zeichnungen und Übersetzungen angereichert ist, in Kleinstauflage (100 Stück) drucken lassen. Das Büchlein soll kein Geld in die Haushaltskasse bringen, sondern über das Unvorstellbare berichten. Ein Zeitdokument, das mahnen, aufrütteln und erinnern soll. Passagen daraus las Siegfried Dressler jetzt in der katholischen öffentlichen Bücherei St. Marien vor.

Mehr als zwölf Millionen deutsche Soldaten gerieten während des Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft. Einer von ihnen war auch Siegfried Dressler - von Mai 1945 bis November 1949. Noch Jahrzehnte nach seiner Heimkehr waren seine Erlebnisse lebendig. Bis der Vater von fünf Kindern, zehn Enkeln und zwei Urenkeln anfing, von 2000 bis 2002 das erste Buch "Die langen Jahre meines Lebens in russischer Kriegsgefangenschaft" zu schreiben. "Ich versuchte es so gut wie möglich, denn ich bin Tischler. Da hat man es mit dem Schreiben nicht so. Aber meine Tochter hat es gelesen und für gut befunden - und so wurde es schließlich gedruckt", erläutert Siegfried Dressler.

Vor Beginn seiner Lesung erklärte der Autor, dass die Erzählungen keine Märchen seien, sondern Erfahrungen und Erlebnisse, die nie aus dem Kopf gehen werden. "Es war Anfang Januar 1945. Wir wurden vom Trommelfeuer eines vorbereiteten russischen Angriffs geweckt. Bald kamen Einzelne von der vordersten Front zurück. Die Meldung vom Bataillonsgefechtsstand lautete: 'Bleiben, ausharren, nicht zurück!' Das Trommelfeuer hielt immer noch an."

Inzwischen hat Siegfried Dressler ein zweites Buch geschrieben. Titel: "Meine Kindheit und Jugend in Eckartsberg/Oberlausitz von 1925 bis 1945". Ein Drittes ist in Vorbereitung.

Chronologie des Grauens

Im Buch Siegfried Dresslers geht es nicht um exakte Satzanordnungen oder schriftstellerische Attitüde. Vielmehr handelt es sich um die Chronologie des erlebten Grauens und der kämpferischen Auseinandersetzungen, die Geschichte von Enttäuschung, Leid, Hoffnung und Wiedersehen. Dressler schreibt nicht um der Sprache willen, sondern weil er seine Erlebnisse aufbewahren will, bevor sie womöglich irgendwann verblassen. "Es ging über Neusandez, südöstlich von Krakau über den Jablunkapass bis Ostrau in Oberschlesien. In Ratibor erhielten wir den Befehl, von kleinen Booten aus mit Flammenwerfern das von Russen besetzte Ostufer der Oder zurückzuerobern - es war ein Himmelfahrtkommando." Siegfried Dressler berichtet über seine Zeit als junger Soldat, über Stationen vor der Gefangennahme, die Marschroute als Gefangener quer durch die Tschechoslowakei, die Verladung in einen Güterzug und die Fahrt über Moskau bis nördlich von Kirow, über das Leben im Straßenbaulager - und die Heimfahrt nach Frankfurt / Oder sowie die ersten Tage zu Hause im Jahr 1949.

Bildunterschrift: Bewegend: Siegfried Dressler las aus seinem Büchlein "Die langen Jahres meines Lebens in russischer Kriegsgefangenschaft" (l.).

23./24.01.2010
lok-red.guetersloh@neue-westfaelische.de

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