|
Lippische Landes-Zeitung ,
24.10.1996 :
Glaubensfreiheit besteht in Armenien nur auf dem Papier - Yeziden haben Angst vor Abschiebung / "Perestroika stürzte uns ins Unglück"
Detmold/Kreis Lippe (mmh). Darwich Hasso ist der Präsident der Religionsgemeinschaft der Yezidi in der Bundesrepublik Deutschland. Manchmal wünscht er sich, dass seine Glaubensbrüder wie bedrohte Pflanzen und Tiere auf einer Roten Liste stehen mögen, um vor Verfolgung und Vernichtung geschützt zu sein. Yeziden sind Angehörige einer sehr alten Religion und gehören zur ethnischen Gruppe der Kurden. "Wir haben keine Heimat, uns will keiner haben", bedauerte Hasso gestern bei einem Gespräch mit der grünen Landtagsabgeordneten Ute Koczy im Internationalen Beratungszentrum (ibz) in der Detmolder Elisabethstraße.
Besonders arm dran sind nach Informationen von Reinhard Borgmeier, Flüchtlingsrat in Paderborn, und Volker Wiemann vom ibz zur Zeit Yeziden in Armenien und anderen GUS-Staaten. Sie werden nach dem Zerfall der einstigen Sowjetunion gnadenlos verfolgt. Dennoch haben die Flüchtlinge hierzulande schlechte Karten. Hintergrund: In ihren einstigen Heimatländern herrscht auf dem Papier Glaubensfreiheit. Damit gibt es offiziell keinen Grund, ihnen Asyl zu gewähren. Timor Osmanian, der seit einem Jahr mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Detmold lebt, ist heilfroh, dass er noch rechtzeitig flüchten konnte. Bis 1990 lebte der Bauingenieur unbehelligt in Georgien. Im letzten Jahr erhielt er mehrfach "Besuch" von der Polizei. Timor Osmanian wurde niedergeschlagen und ausgeraubt, sein Sohn mit einem Gewehrkolben verletzt, seiner Frau wurden die Kleider vom Leib gerissen. "Wenn wir abgeschoben werden machen die Georgier mit uns kurzen Prozess und bringen uns alle um", sagt der Bauingenieur. Auch Serecha Usneev weiß nicht, wie es dann weitergehen soll.
Damit auch Yeziden aus den GUS-Staaten ein Bleiberecht eingeräumt wird, wollen sie am 26. Oktober eine Kundgebung vor dem Kanzleramt veranstalten. "Eine Demonstration ist die einzige Chance, die Bevölkerung auf unsere prekäre Lage hinzuweisen", erklärte Präsident Hasso. Im Gegensatz zu yezidischen Kurden aus der Türkei werde ihr Schicksal in der westlichen Welt noch kaum zur Kenntnis genommen. Nach Informationen von Wiemann leben in Detmold sieben Familien aus Armenien. Zusätzlich wurden zirka 700 Yeziden aus der Türkei aufgenommen, einige von ihnen haben 1988 ein Bleiberecht erhalten. Obwohl die yezidische Glaubensgemeinschaft zu den ältesten Religionen der Menschheit gehört, wird sie in zahlreichen Ländern verfolgt. Zwischen 1915 und 1938 wurden nach Angaben von Hasso rund eine halbe Millionen Yeziden umgebracht. Der Rest des Volksstamms wurde vertrieben. Die ersten Auswanderer gingen nach Rußland.
Detmold@lz-online.de
|