Die Welt ,
08.12.1986 :
Gefasster Bombenbauer zur Aussage bereit
Bundesanwalt wertet Festnahme als "Eindringen" in die Szene
Werner Kahl, Bonn
Mit der Verhaftung des 24-jährigen Studenten Jens Klede in Bielefeld, der einen Bombenanschlag auf ein Gebäude der Siemens AG vorbereitete, gelang den Sicherheitsbehörden ein empfindlicher Schlag gegen das Unterstützerfeld der linksextremistischen "Rote Armee Fraktion" (RAF).
Bei seiner Festnahme gab Klede am Wochenende nach Angaben der Polizei Hinweise auf den Lagerort selbstgefertigter Teile eines Sprengsatzes. In seiner Bielefelder Wohnung wurde ein Schreiben gefunden, das auf den 9. Dezember 1986 datiert war. Mit diesem Schreiben sollte der für den kommenden Dienstag geplante Anschlag rückwirkend in der Öffentlichkeit begründet werden. In der dreiseitigen Selbstbezichtigung heißt es nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe, die die Ermittlungen leitet, unter anderem: "Wir haben am 9.12.1986 auf das Bürogebäude der Siemens AG in Bielefeld einen Sprengstoffanschlag verübt ... " Das Schreiben endet mit einer Forderung, die seit langem vom RAF-Umfeld propagiert wird: "Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand." Unterschrieben ist die Selbstbezichtigung mit "Kämpfende Einheit Philipp Müller" und einem fünfzackigen Stern.
Erinnerung an Kämpfer der kommunistischen FDJ
Die Wahl des Namens "Philipp Müller" lässt auf eine orthodoxe kommunistische Gesinnung des beziehungsweise der mutmaßlichen Bombenbauer schließen. Bei Philipp Müller handelt es sich um einen früheren kommunistischen Funktionär, der am 12. Mai 1952 in Essen während eines Feuergefechtes zwischen bewaffneten Anhängern der kommunistischen "Freuen Deutschen Jugend" (FDJ) und kommunistischer Tarnorganisation mit der Polizei im Alter von 21 Jahren tödlich verletzt worden war. Aus der Selbstbezichtigung, eine "Kämpfende Einheit" gehe gegen Siemens vor - ergeben sich ferner nach Aussagen der Sicherheitsbehörden inhaltliche Übereinstimmungen mit Zielen belgischer "Kämpfender kommunistischer Zellen" (CCC).
Gegen den Bielefelder Studenten war bereits wegen Verdachts der Unterstützung der "Rote Armee Fraktion" ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, das jedoch wegen mangelnden Tatverdachts wieder eingestellt wurde. Nach seiner Festnahme am Freitag fand die Polizei aufgrund von Aussagen vier 30-Kilo-Gasflaschen, einen Feuerlöscher sowie schriftliche Anleitungen zum Bombenbau aus linksradikalen Druckschriften.
"Sprengsatz hätte Häuser zum Einsturz gebracht"
Mit den 30-Kilo-Containern hätten Gebäude zum Einsturz gebracht werden können, sagten Experten nach einer vorläufigen Inspektion teils in der Wohnung teils im Umkreis von Bielefeld gefundener Bauteile.
Die Bundesanwaltschaft wertet das Aufspüren der Bombenwerkstatt und die Festnahme des mutmaßlichen Täters als erheblichen Ermittlungserfolg, zumal der Student über seine Verbindungen aussagen wolle. Durch das "Eindringen" in die gewalttätige Unterstützer-Szene seien weitere schwere Anschläge zumindest aus dem Bereich des Bielefelder Bombenbauers vereitelt worden.
Der erfolgreiche Zugriff der Terroristen-Fahnder wird von den Sicherheitsbehörden mit der Festnahme von Eva Sybille Haule-Frimpong samt zwei Begleitern im August dieses Jahres verglichen. Fahnder hatten nach einem Tipp das Trio in einem Eiscafé in Rüsselsheim überwältigt. Während nach der 32-jährigen Eva Haule-Frimpong als mutmaßliches Mitglied des "harten Kerns" der RAF gefahndet worden war, rechnete die Polizei ihre Begleiter Luitgard Hornstein (23) und Christian Kluth (26) zum "illegalen militanten Bereich" der linksextremistischen Terrororganisation. Hornstein und Kluth agierten den Ermittlungen zufolge von Düsseldorf aus vor allem in Nordrhein-Westfalen. Schon Anfang der siebziger Jahre gab es Bestrebungen, eine "Rote Ruhr Armee" aufzubauen. Rädelsführer dieser parallel zur "Rote Armee Fraktion" gedachten Organisation wurden jedoch verhaftet und verurteilt.
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