www.hiergeblieben.de

Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 01.05.2004 :

Die Alternative zur Alternativlosigkeit / Der Soziologie-Professor Arno Klönne referierte über Sozialabbau bei der Bunten Liste

Von Ulf Hanke

Löhne. Es gibt keine Alternative zum Sozialabbau? "Selbstverständlich gibt es die", sagt der Paderborner Soziologie-Professor Arno Klönne. Auf Einladung der Bunten Liste Löhne sprach Klönne in der Werretalhalle und präsentierte drei Vorschläge, wie der deutsche Sozialstaat zu retten sei: mit staatlichen Investitionen, Arbeitszeitverkürzung und einer umfassenden Verteidigung der Sozialversorgung.

Die derzeitige politische Situation analysierte Klönne als "schleichenden politischen Umbruch" und "stillschweigenden Bruch mit der Verfassung". "Es läuft alles auf einen Masterplan zusammen", sagte der ehemalige Professor für Sozialpolitik der Uni Paderborn. "Mein Eindruck ist, dass so etwas wie ein Klassenkampf betrieben wird. Ein Klassenkampf von oben wohlgemerkt." Der deutsche Sozialstaat werde von vielen Seiten angegriffen und demontiert. Begleitet würden diese Angriffe von Nebelwerfern quer durch alle Parteien.

Mit dem Skalpell des Wissenschaftlers versuchte Klönne zunächst die Legenden der "Angreifer" auseinanderzunehmen. Die Legende der deutschen Wirtschaft kurz vor dem Abgrund (Klönne: "Deutschland ist Exportweltmeister, und ausländische Investitionen kommen nach wie vor"), die Legende, dass weitere Steuer- und Abgabensenkungen Arbeitsplätze schafften ("Die Kapitalmasse ist angewachsen, investiert wird nur, wenn es sich lohnt. Die Kaufkraft der Bevölkerung ist zu schwach") oder die Legende, dass der Staat mehr Schulden abbauen müsse ("Ohne steuerpolitische Geschenke stünden wir besser da").

Klönne: "Außerdem wird immer wieder behauptet, ohne Lohnausgleich gäbe es mehr Arbeitsplätze. Also das hat mir noch niemand schlüssig erklären können."

Stattdessen verwies er auf die Steuerstatistik der Region OWL. 3,6 Milliarden Euro an Steuern seien im ersten Halbjahr 2003 in OWL eingenommen worden. Davon entfielen laut Klönne 1,7 Milliarden Euro auf die Lohnsteuer, 1,3 Milliarden Euro auf die Umsatzsteuer. "Die Unternehmen haben aber nur 75 Millionen Euro Steuern gezahlt", sagte Klönne: "Das ist äußerst bescheiden."

Während den Wählern immer wieder Legenden erzählt würden, werde gleichzeitig der Sozialstaat abgebaut. "Ich glaube nicht, dass man von allen Politikern sagen kann, dass sie wüssten, was sie da anrichten", sagte Klönne.

Fünf Angriffslinien auf den Sozialstaat hat Klönne ausgemacht, es sind die allseits bekannten Reformbemühungen der deutschen Politik: Die Reformen des Sozialsystems, die Umschichtung der Steuerquellen, also die Entlastung der Vermögen und die Belastung der Konsumenten, die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen wie Bahn und Post, die Einführung von Niedriglohnsektoren und die Angriffe gegen die gewerkschaftliche Tarifautonomie.

Drei Alternativen zu diesen scheinbar alternativlosen Reformen schlug Arno Klönne vor: Öffentliche Investitionsprogramme, Arbeitszeitverkürzung und eine entschiedene Verteidigung der Sozialversorgung. Klönne ließ den Einwand nicht gelten, dass eine private Vorsorge nötig werde, weil zu wenig Menschen in das kollektive System einzahlten. "Dieses Argument ist unsinnig", sagte Klönne. Kapitalgedeckte Versicherungen seien abhängig von den Finanzmärkten und deshalb äußerst unsicher.

Klönne schlug deshalb die Besteuerung großer Vermögen und Gewinne zugunsten der Sozialversicherung vor. "Die Steuer sollte da zugreifen, wo Wertschöpfung ist", so Klönne.

In der anschließenden Diskussion ging es um Globalisierung, "attac", die "Tobin Tax" und um die herrschende und die abweichende Meinung in den Medien und den Eliten der Republik. Eine Teilnehmerin fragte nach dem Vortrag: "Wieviel Spielraum haben unsere Politiker eigentlich? Ich habe den Eindruck, die Industrie fährt Achterbahn mit der Politik."

01./02.05.2004
lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

zurück