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Westfalen-Blatt , 09.12.1986 :

Anschlag um Mitternacht

24-jähriger Student hatte seit einigen Jahren Kontakte zur linksextremen Szene

Bielefeld (WB). Ausgelöst von einem Küchenwecker sollte der Sprengsatz in der Nacht vom 9. zum 10. Dezember um Mitternacht, spätestens um 1 Uhr im Keller des Siemens-Bürogebäudes an der Schweriner Straße detonieren: Der Student Jens Klede (24), unter dem dringenden Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens in Untersuchungshaft, schilderte bei seinen bisherigen Vernehmungen, wie er sich den Anschlag auf die Bielefelder Filiale des Elektrokonzerns (mehr als 600 Mitarbeiter) vorgestellt hatte. Dies bestätigte gestern die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Vier leere 30-Kilo-Haushalts-Gasflaschen, einen Feuerlöscher, die mechanische Schaltuhr und Materialien, die zur Herstellung von Sprengstoffen geeignet waren, sowie Bombenbau-Anleitungen hatte das Bundeskriminalamt bei seiner Blitzaktion in der Nacht zum Freitag im Haus Nordstraße 32 sichergestellt (das Westfalen-Blatt berichtete).

Kledes Aktivitäten verglich der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Alexander Prechtel, mit denen eines "typischen Feierabendterroristen". Der Student habe sich nach eigenem Eingeständnis erst seit ein paar Jahren mit "antiimperialistischer Politik" befasst, den Anschlag auf die Firma Siemens kurzfristig ins Auge gefasst.

Jens Klede, in Erlangen geboren und seit etlichen Jahren in Bielefeld lebend, werden seit längerer Zeit gute Kontakte zur linksextremen Szene nachgesagt. Vor drei Jahren fiel er auf, als er in einem Brief an einen damals wahrscheinlich in Bayern einsitzenden Terroristen ein "Selbstbezichtigungsschreiben" zitierte. Es bezog sich auf einen Brandanschlag mit "Molotowcocktails", der am 9. Juni 1983 schon einmal das Siemens-Lager an der Schweriner Straße zum Ziel hatte. Das damals gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, er habe eine terroristische Vereinigung unterstützt, wurde wegen fehlenden Tatverdachts aber wieder eingestellt.

In einem anderen Fall ermittelte die Bielefelder Staatsanwaltschaft gegen ihn, weil er Politiker-Köpfe auf Fahndungsplakate der "Rote Armee Fraktion" (RAF) geklebt hatte. Der Verdacht hieß: Verunglimpfung von Verfassungsorganen. Nun soll Jens Klede zwar nicht der RAF, aber einer "eigenständigen" regionalen Terrorgruppe angehören, die ihrerseits der RAF zuarbeitet. "Er ist nicht Einzeltäter", sagt Alexander Prechtel. Eine andere Frage sei es, ob er als treibende Kraft zu gelten habe. Konsequenterweise sucht der Generalbundesanwalt daher nach möglichen Mittätern.

Jens Kledes Weg ins politische Abseits vollzog sich offenbar unauffällig. In einem großen Industrie-Unternehmen in Halle, wo er vom 1. Juli 1985 bis zum 28. Februar 1986 aushilfsweise als Maschinenbediener in der Käfigdreherei gearbeitet hatte, fiel er nicht unangenehm auf. Seine Arbeit, acht Stunden am Tag, verrichtete er, wie es heißt, zufriedenstellend. Allerdings war er dort nur einer unter 300 beschäftigten Studenten.

Betroffenheit über die Verhaftung Kledes herrscht am Oberstufen-Kolleg, in dem er von 1980 bis 1985 eingeschrieben war (Wahlfächer Jura und Deutsch). "Er war ein politisch denkender Mensch, aber politisch nicht festgelegt", meint Kollegleiter Dr. Hans Kroeger, der ihn in Deutsch bis zur Abschlussprüfung begleitet hat. Ein guter Kollegiat mit einem sehr guten Abschlusszeugnis sei er gewesen, der weder eine extreme Haltung noch extremes Verhalten an den Tag gelegt habe. Er sei eher ruhig und liebenswert gewesen. Dr. Kroeger: "Ich würde mir wünschen, dass ihm der Weg zurück wieder möglich ist, weil ich ihn mir in diesen Dimensionen überhaupt nicht vorstellen kann."

Dr. Kroeger und der stellvertretende wissenschaftliche Leiter, Dr. Godehard Franzen, betonen, dass im Rahmen der Meinungsbildung eine bewusste Klärung vollzogen worden sei, wo die Grenzen des Einsatzes von Gewalt bei der politischen Meinungsäußerung seien.


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