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Lippe 1 ,
07.11.2009 :
Unerwünscht und vergessen
Herford. Kuratorium Erinnern, Forschen, Gedenken lädt ein zum Film "Unerwünscht und vergessen" - Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder im Zweiten Weltkrieg am 14.11.2009 um 16.00 Uhe in der Gedenk-, Dokumentations- und Begegnungsstätte Zellentrakt Rathausplatz 1, Herford.
1.273 Kinder kamen im Zweiten Weltkrieg im Entbindungslager Holthausen für Zwangsarbeiterinnen zur Welt. Nicht einmal die Hälfte dieser Neugeborenen überlebte. Die Historikern Anne Roerkohl erzählt die Geschichte von Zwangsarbeiterinnen und ihren Kindern in ihrem Film "Unerwünscht und Vergessen".
Unter den Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die im Zweiten Weltkrieg ins Deutsche Reich verschleppt wurden, waren viele junge Frauen. Manche von ihnen waren schon bei der Deportation schwanger, andere wurden es in Deutschland. Aus deutscher Sicht zählte nur die Arbeitskraft der Frauen; Kinder waren weder vorgesehen noch erwünscht.
Also wurden solche "Fälle" systematisch geregelt. In speziellen Entbindungslagern wurden die Frauen zur Abtreibung gezwungen oder mussten unter primitivsten Bedingungen ihre Kinder zur Welt bringen. Die meisten Babys starben oder wurden ihren Müttern weggenommen.
Maria Wieclaw wird als junge Frau zur Zwangsarbeit nach Westfalen deportiert. Mit 20 wird sie schwanger. Im Entbindungslager Waltrop-Holthausen bringt sie ihre Tochter Valentina zur Welt. Ein Kind, das im Rassensystem der Nationalsozialisten nicht zählt. Was Maria Wieclaw in Deutschland erlebt hat, haben Tausende anderer Frauen aus Osteuropa auch erlebt - nur sie ist bereit davon zu erzählen.
Autorin Dr. Anne Roerkohl, geboren 1955 in Wolbeck schrieb nach der Ausbildung als Bauzeichnerin, Restauratorin und Historikerin ihre Dissertation zum Ersten Weltkrieg. Seit den frühen 1990er Jahren arbeitet sie als Autorin historischer Features und Dokumentarfilme für Fernsehsender der ARD.
Zum Hintergrund:
Angesichts der vielen schwangeren Zwangsarbeiterinnen Anfang 1943 sehen die Behörden Handlungsbedarf. Die Arbeitskraft der Mütter soll dem Reich unbedingt erhalten bleiben. Statt Rückführung in die Heimat, heißt die neue Order, die Frauen ins zentrale Entbindungslager für Westfalen, nach Waltrop, abzuschieben. Das Lager ist nicht nur für Geburten zuständig, viele der Frauen werden bis zum fünften Schwangerschaftsmonat zur Abtreibung gezwungen.
"( ... ) Ich habe Frauen gesprochen, die abtreiben mußten, man hatte sie sehr bedrängt, das machen zu lassen. Ich hatte oft den Eindruck, daß mehr Frauen zur Abtreibung als zur Geburt im Lager waren. Sie blieben meist nur kurze Zeit. Die Abtreibungen wurden nur dann im Entbindungsraum vorgenommen, wenn keine Geburten anstanden. ( ... )" Polin Maria Wienclaw im Interview. In: Schwarze. Kinder, die nicht zählten.
Einige wenige Zwangsarbeiterkinder mit blonden Haaren und blauen Augen werden von der SS als so genannte "Gutrassige Kinder" ausgewählt. Sie sollen in besonderen Heimen als Deutsche erzogen werden und werden den Müttern weggenommen.
Die meisten der in Waltrop geborenen Kinder erleiden ein anderes Schicksal. Viele sterben schon bald nach der Geburt an Krankheiten und Unterernährung. Die Zustände in Waltrop sind katastrophal, das Lager ist total verlaust, die Versorgung mit Lebensmitteln völlig unzureichend. Besonders die Kinder, die nicht gestillt werden, haben wenig Chance zu überleben. Es fehlt an passender Nahrung und Fläschchen mit Saugern. Regelmäßig bekommen nur wenige Kinder die Brust, denn die Mütter müssen unmittelbar nach der Niederkunft wieder arbeiten.
In Waltrop sind 1.273 Kinder geboren worden, von denen viele verhungert sind. 294 von ihnen sind auf dem Friedhof in Waltrop und eine unbekannte Zahl in Holthausen in der Nähe des Lager begraben worden. Weitere 200 sind im übrigen Westfalen beerdigt, wo sie kurz nach der Entlassung aus Waltrop gestorben sind. Einziges bekanntes Bild des Entbindungslagers ist eine amerikanische Luftaufnahme von 1945. Anhand von Zeitzeugenaussagen lässt sich die Funktion der einzelnen Gebäude nachvollziehen.
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