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Aktion Symbolisches Asyl (ASA) ,
21.01.1995 :
Geld oder Leben / Zur Debatte um die Spendenkampagne Dezember 1994: "77 bosnische Kriegsflüchtlinge mit kroatischem Pass"
Seit dem 20.01.1995 steht fest:
Es wird für alle bosnischen Kriegsflüchtlinge in Bielefeld, einschließlich der 77 bosnischen Kriegsflüchtlinge mit kroatischem Pass, eine "Lösung" geben oder auch nicht.
Im Behördendeutsch heißt das: Sie haben sich vom Status der "befristeten Bescheinigung über die Beantragung einer Duldung" in den Stand einer "befristeten Duldung" ("Befristete Aussetzung der Abschiebung") verbessert. Damit sind sie vorerst dem Schicksal von bundesweit 100.000 kroatischen Flüchtlingen entgangen, die seit dem Rücknahmeabkommen zwischen der BRD und Kroatien schon jetzt nach und nach "rückgeführt" werden.
Plötzlich wird das Unmögliche möglich: Die 77 Menschen mit kroatischem Pass sind der Gesamtgruppe von 2200 BosnierInnen in Bielefeld wieder gleichgestellt. Ab 31.03. bestimmen einheitliche bundesweite Maßstäbe ihr weiteres Schicksal.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass die Spendenkampagne der Stadt Bielefeld für eine weitere Duldung dieser Menschen nur eine populistische Finte war, zumal die Sozialhilfe der betroffenen Flüchtlinge im Haushalt 1995 gesichert war!
Offensichtlich sollte die Bielefelder Bevölkerung gegen die 77 Kriegsflüchtlinge stimmen, indem kaum Spendenbereitschaft gezeigt wird. Verwaltung und Politik hätten dann "guten Gewissens" die Abschiebung weiter betreiben können. Der Vorschlag: Spendengelder gegen Duldung kam zwar von der Stadt, dieselbe hängte sich aber nicht etwa dafür aus dem Fenster, sondern übte sich in auffallender, konsequenter "Zurückhaltung".
Trotz kampagnengünstiger Weihnachtszeit keine Werbung, keine Anzeigen, keine öffentliche Aufrufe der Stadt! Noch nicht einmal einem hetzerischen Artikel in der NW wurde widersprochen, um die Kampagne wieder ins "rechte" Licht zu rücken.
Zur Erinnerung:
Vor zwei Jahren mussten noch wilde Bedrohungsszenarien herhalten, um das Asylrecht, oder das, was nach jahrelanger, systematischer Aushöhlung davon noch übrig war, auch noch verfassungsmäßig faktisch abzuschaffen. Damals wurde die Debatte in Sachen Asyl/Flüchtlingspolitik allerorten mit Begriffen wie Überfremdung, Überflutung, "Das-Boot-ist-voll" geführt. Eine Welle von aus blanker Notwehr begangener Pogrome, rudelmäßig durchgeführter Angriffe und Belagerungen von Flüchtlingsheimen schwappte über das Land.
Nun, die Zeiten haben sich merklich beruhigt: Das Grundrecht auf Asyl ist abgeschafft und die Medien haben sich anderen Aufgaben zugewandt. Die Flüchtlingszahlen - von PolitikerInnen zufrieden präsentiert - sind seitdem drastisch zurückgegangen. Turnhallen, Schulhöfe und andere demonstrativ zweckentfremdete öffentliche Örtlichkeiten sind wieder geräumt.
Dafür sind die Abschiebeknäste überbelgt, die Abschiebezahlen gehen in die Zehntausende. Der Bundesgrenzschutz an der Ostgrenze ist so stark wie nie, und die deutschen Vorgärten sind folgerichtig nicht mehr in Gefahr, asylbedingt besudelt zu werden. Der Angst und Schreckenspegel im "Volk" hat sich wieder auf das Normalmaß eingependelt.
In diesen Zeiten ist der platte "Das-Boot-ist-voll-Rassismus" nicht unbedingt mehr so deutlich angesagt. Und schon gar nicht hat unser werter Stadtdirektor/Superdezernent Jürgen Heinrich diese platte Variante rassistischer Angstmache nötig. Sein progressives, menschen-, ja flüchtlingsfreundliches Image hier in der Stadt ist ihm auch viel zu wichtig.
Die Bielefelder ZAB (Zentrale Ausländerbehörde) organisiert seit ihrem Bestehen (April 1993) die Abschiebungen von Hunderten von Flüchtlingen, routiniert und lautlos. Für Jürgen Heinrich, als oberster Chef der Ausländerbehörde hier in Bielefeld, bedeuten all diese Abschiebungen von Flüchtlingen keinen Ärger, keinen erhöhten Zeitaufwand, keinen unangenehmen Presserummel. Ihm wurde dabei keine umständlichen taktischen Winkelzüge, keine nervigen "Runden Tische" abverlangt. Ganz anders nun stellt sich für die hiesige Verwaltung die Situation bezüglich der 77 bosnischen Kriegsflüchtlinge dar. Heinrich hätte sie am liebsten schon längst in die für ihn so kostensparende, bequeme, anonyme ZAB-Maschinerie abgeschoben. Ein Weg, der wie das Bundesamt aktuell bestätigt, für die Flüchtlinge die schnelle Abschiebung nach Kroatien bedeuten würde.
Da dieser Weg bisher nicht durchsetzbar schien, mussten andere Ideen her, um dieses "Problem" anzugehen. Das Bielefelder Modell, mittlerweile bis weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, wurde geboren:
Duldung gegen Spendengelder!
Zu diesem Gezerre um besagte Gruppe von Kriegsflüchtlingen hier in Bielefeld ist schon eine Menge kritisch kommentiert und entgegnet worden. Die Stichworte drängen sich ja auch geradezu auf: "Weihnachtskollekte"
(StadtBlatt), "Aushebelung des Sozialstaates" (Flüchtlingsrat), "Schutzgelderpressung" (IBZ), Geld oder Leben.
Doch mit diesem "Bielefelder Modell" wird weder der "Sozialstaat" ausgehebelt, noch der Boden desselben verlassen. Sozialpolitik hieß für Flüchtinge schon immer: Stigmatisierung, Aussonderung, Kontrolle und differenzierte rassistische Diskriminierung bis hin zur Existenzbedrohung. Für die Sozialpolitik steht konkret das Asylbewerberleistungsgesetz (Hilfe zum Lebensunterhalt unterhalb des Existenzminimums, Sachleistungen statt Bargeld, eingeschränkte medizinische Versorgung, Zwangsarbeit , ... ) aber auch Abschiebeknast, Abschiebung, Lager, ...
Das wirklich Neue an der Bielefelder Variante von Sozialpolitik gegen Flüchtlinge ist, dass unverblümt, ganz öffentlich und offensiv allein das Geldsack-Argument vorgetragen wird. Dies ist durchaus gepaart mit angeblichem Verständnis für Fluchtgründe und Notlage der betroffenen Menschen. Das Ganze unter dem Damoklesschwert der existenziellen Bedrohung: Es geht bei allem Geldstreit ja nicht um noch weniger Taschengeld, noch weniger Kinderbetreuung, noch weniger Stundenlohn für zu leistende Zwangsarbeit, ... , sondern knallhart darum, dass ihr Bleiberecht, ihre Existenz hier gegen Geld aufgerechnet wird.
In früheren Jahren war das Argument "Wir können nicht das Sozialamt der ganzen Welt sein" nur ein Aspekt im rassistischen Diskurs gegen Asylrecht und Flüchtlinge. Heute kann mensch den Kurswechsel, ja geradezu eine "Versachlichung", in der jetzigen Bevölkerungs-, Flüchtlings-, Immigrationspolitik ablesen: Was hier momentan die Bielefelder Verwaltung in Person von J. Heinrich vorführt, ist nichts anderes als die Anwendung des rassistisch-ökonomischen Prinzips eines noch zu schaffenden Einwanderungsgesetzes auf lokaler Ebene: Sind Flüchtlinge verwertbar, zumindest kostenneutral, wird ein - vorübergehendes - Bleiberecht/Duldung erteilt. Die nutzlosen Esser - sofern sie dummerweise schon hier gelandet sind - weg damit!
Gerade in Zeiten "knapper Kassen" und ständig steigenden Steuern und Abgaben ist das "Geld-Argument" besonders öffentlichkeitswirksam. Es geht aber um den politischen Willen, Geld anders zu verteilen, denn solange genug Geld da ist, Straßen neu- oder auszubauen, aufwendige Innenstadtsanierungen zu betreiben, Festhallen zu bauen, etc., ist dieses Argument vorgeschoben!
Nun werden ganz kluge Zeitgenossen dagegenhalten und sagen: es geht doch gar nicht darum, alle nutzlosen Esser loszuwerden, sondern nur um die, die hier zuviel sind. Mit 117 % hat die Stadt Bielefeld die Aufnahmequote um 17 % übererfüllt. Diese 17 % Zuviele sollen gehen. Das Ganze unter dem Motto "Gerechter verteilen" (NW, 17.12.1984)!
Dagegen folgende Fragen: Wer bestimmt, was 100 % sind? Welche Vergleichsdaten liegen diesen Quoten zugrunde? Wie kommt es wohl, dass eine Quote von 100 % in einem reichen Land z.B. 500.000 Menschen sind und in einem viel ärmeren Land 5 Millionen Menschen sind? Seit wann ist das "gerechte" Verteilen von (finanziellen) Belastungen ein Kriterium deutscher Innen-, Außen-, Wirtschaftspolitik? Wieso fällt bestimmten Leuten ausgerechnet beim Thema "Flüchtlinge" das Wort Gerechtigkeit sofort ein?
Freies Zuzugs- und Aufenthaltsrecht für alle Flüchtlinge in dieser Stadt!
Bleiberecht für alle Flüchtlinge!
Grenzen auf!
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