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Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 24.10.2009 :

Das dunkelste Kapitel der Geschichte / Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz mit dem Jugendtreff East End

Löhne (nw). Unendlich lange Reihen Latrinen, Berge von Haarbüscheln und überall Stacheldraht - das Ausmaß der Vernichtungen von Juden im Dritten Reich ist schier unglaublich. Für die acht Jugendlichen aus Löhne und Bad Oeynhausen, die an der Gedenkstättenfahrt des Jugendtreffs East End teilnahmen, ein erschreckender Eindruck. Einer, der so nicht durch Schulbücher vermittelt wird.

"Schon beim Blick vom Wachturm auf die riesige Fläche des Lagers in Auschwitz-Birkenau bekommt man einen ganz anderen Eindruck von dem unglaublichen Ausmaß der Vernichtung", sagte die Löhnerin Marie-Christin Niederschirp (16).

Gemeinsam mit den beiden Diplom-Sozialpädagogen Simone Büchel und Christian Redeker vom Jugendtreff East End, die die Fahrt organisierten und begleiteten, reisten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der ersten Herbstferienwoche nach Polen, um das ehemals größte nationalsozialistische Vernichtungslager in Auschwitz zu besichtigen. Sechs Tage lang hatten die Teilnehmer Zeit, sich intensiv mit dem Thema auseinander zu setzen. Im Mittelpunkt der einwöchigen Fahrt standen die Besichtigung des Museums und der Gedenkstätte.

Die 16-jährige Lara Gerdes zeigt sich erstaunt über die grausame und perfekte Lager-Organisation. "Ich wusste, dass hier viele Menschen leiden mussten. Aber dass Tagesabläufe, wie Toilettengänge, Desinfektion und auch Tötungen wie am Fließband abliefen, ist mir erst hier klar geworden", schilderte sie ihre Eindrücke. Für Michael Kolpak (21) war es wichtig, mit "allen Sinnen" bei dieser Fahrt dabei zu sein. "Selbst die Gerüche ließen die Vergangenheit lebendig werden", sagte der Löhner.

Motiviert durch die vielen Eindrücke setzte sich die Gruppe auch theoretisch mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte auseinander. Dabei wurde eines deutlich: "Es müssen viel mehr Menschen als ein paar SS-Männer an den Verbrechen beteiligt gewesen sein oder davon gewusst haben", bilanzierte die 21-jährige Corinna Handtrag.

"Muss Thema bleiben"

Volker Hegemann, Teilnehmer und Biologie-Lehrer an der Gesamtschule Löhne, sind vor allem die Verflechtungen mit der privaten Industrie aufgefallen. So seien Häftlinge aus Auschwitz zu Zwangsarbeitern für die IG Farben geworden, wieder andere Firmen hätten zum Beispiel die speziellen Brennöfen konstruiert.

Auch die Rolle der Wissenschaftler zweifelt Hegemann an, denn „die Experimente mit Menschen waren menschenverachtend und unwissenschaftlich“. „Das muss ein Thema in den Schulen bleiben“, sagt Hegemann.

In Workshops in der internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz, in der die Gruppe untergebracht war, wurden psychologische Ursachen und Zivilcourage aufgearbeitet. Auch ein Gespräch mit einem 92-jährigen Zeitzeugen, ein ehemaliger Lager-Fotograf, beeindruckte die Gruppe aus Löhne.

Simone Büchel ist besonders deutlich geworden, wie wichtig eine Erziehung ist, die den Einzelnen in der Gesellschaft zu einer starken Persönlichkeit macht. Auch von der Gruppe zeigte sie sich begeistert: "Bei der Reise fanden sehr unterschiedliche Kenntnisse und Meinungen Raum. Das stellt ein großes Potenzial dar und gibt Hoffnung für die Zukunft."

"Ausstellung ist in Planung"

Die gute Stimmung in der Gruppe wusste auch Carla Haasper (18) zu schätzen. Dadurch sei es einfacher gewesen, in Gesprächen das Gesehene zu verarbeiten. "Es wäre gut, wenn wir uns auch weiter austauschen könnten", sagte sie.

Erste Ideen für das Nachtreffen gibt es bereits. Auch eine Ausstellung, vielleicht im Rathaus der Stadt Löhne, oder eine künstlerische Verarbeitung sind in Planung. "Wir freuen uns, dass die Fahrt auf solches Interesse gestoßen ist. Das Jugendamt Löhne möchte diese Art der politischen Bildungsarbeit unterstützen und fördern", erklärte Christian Redeker.

Der Erfolg der Gedenkstättenfahrt sei erst durch das große Interesse der Teilnehmer möglich geworden. Unterstützt wurden die Reisenden durch das deutsch-polnische Jugendwerk und die westfälische Gesellschaft für Weiterbildung.

Bildunterschrift: Vor dem Eingangstor: Über Kopfhörer wurden Simone Büchel (v. l.), Deborah-Eve Heilig, Volker Hegemann, Michael Kolpak, Carla Haasper, Marie-Christin Niederschirp, Nils Dreyer, Lara-Maria Gerdes, Jarosch Haasper, Corinna Handtrag und Christian Redeker bei der Besichtigung des Stammlagers I in Auschwitz über die Historie informiert.

24./25.10.2009
lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

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