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Warburger Zeitung / Neue Westfälische , 19.09.2009 :

Gegen das Vergessen / Künstler Gunter Demnig verlegt in der Altstadt Stolpersteine - sie erinnern an Warburger Bürger

Von Ariane Mönikes

Warburg. Das Schicksal deportierter Juden aus der Stadt an der Diemel rückt dem Alltag der Warburger jetzt ein Stück näher: Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat Stolpersteine, versehen mit den Namen der Nazi-Opfer, vor ihren ehemaligen Häusern ins Straßenpflaster eingelassen.

Am Freitagnachmittag verlegte Demnig vor den damaligen Wohnhäusern der jüdischen Mitbürger Siegfried und Frieda Fanny Goldschmidt, Johanna Lehmann, Julie Lehmann und Rosa Cohen am Altstädter Marktplatz. Zur Aktion des engagierten Künstlers brachte Bürgermeister Michael Stickeln seine Gedanken zum Ausdruck. "Sowohl der Warburger Kultur- als auch der Bezirksausschuss haben sich für das Projekt Stolpersteine ausgesprochen", so der Verwaltungschef.

In der Bevölkerung wurde im Vorfeld dagegen diskutiert. Kritiker äußerten, die Würde der Juden werde durch diese Aktion mit Füßen getreten. Die Stadt hat sich von solchen Gedanken eindeutig distanziert - sie will die jüdischen Mitbürger in nachhaltiger Erinnerung wissen. "Wer die Stolpersteine ansehen und die Namen darauf lesen will, muss sich herunter beugen. Damit verneigt er sich vor den Opfern des Holocaust", so Bürgermeister Stickeln bei der Verlegung am Marktplatz. Stimmen, den Juden würde durch diese Verlegung ihrer Namen ins Straßenpflaster wie damals von den braunen Faschisten auf den Kopf herumgetrampelt, weist auch Demnig zurück: "Die Nazis haben den Juden nicht nur auf das Haupt getreten, sie haben ein geplantes Vernichtungsprogramm durchgezogen."

Die Patenschaft für einen der Gedenksteine haben zwei Religionsgruppen aus den Klassen des Gymnasium Marianum übernommen. Die Schüler diskutierten mit Lehrerin Birgit Kasten im Unterricht über das Projekt und baten Bürgermeister Stickeln spontan in einem Brief um die Patenschaft eines Steines. "Wir waren uns alle einig, die Erinnerungen an diese Warburger Juden aufrecht zu erhalten", begründet die 12-jährige Anna Thöne, die Entscheidung für das Projekt Stolpersteine. Neben den Schülern finanzierten die Brüder Christian und Alfons Holtgreve, das Ehepaar Irmgard und August Heuel sowie der Museumsverein und die Stadt Warburg je einen Gedenkstein.

Das Haus, in dem Siegfried und Frieda Fanny Goldschmidt bis zu ihrer Deportation lebten, ging nach 1945 in den Familienbesitz der Holtgreves über, Alfons Holtgreve hat in der ehemaligen Goldschmidt-Wohnung sein Kunstatelier.

Sohn Max Goldschmidt wurde 1939 aus Angst vor den Nazis von seinen Eltern in die Schweiz geschickt. "Er kam Anfang 1980 erstmals wieder zurück nach Warburg", berichtet Christian Holtgreve gegenüber der Neuen Westfälischen. "Seitdem besuchte er uns bis zu seinem Tode regelmäßig und berichtete vor Schulklassen vom Schicksal der jüdischen Bevölkerung."

Die kleinen Betonsteine sind mit einer Messingplatte versehen, auf der die Namen der Juden sowie das Datum ihrer Deportation mit ins Metall getriebenen Buchstaben eingehämmert wurden. Warburg ist der 488. Ort, in dem Demnig die Gedenksteine mittlerweile verlegt hat. Über 20.400 Unikate hat er bereits in das Straßenpflaster eingelassen - europaweit. "Dabei war das Projekt zunächst nur ein Konzept, bis mich ein Pfarrer dazu ermutigt hat, es auch tatsächlich umzusetzen", erinnert sich Gunter Demnig.

Bürgermeister Stickeln hat Anfragen für weitere Patenschaften. "Einige Warburger haben mir schon signalisiert, weitere Stolpersteine finanziell unterstützen zu wollen", so das Stadtoberhaupt am Rande der Verlege-Aktion in der Altstadt.

Sie lebten in Warburg

Das Ehepaar Siegfried und Frieda Fanny Goldschmidt lebte "Am Markt 3". Sie kamen 1928 nach Warburg. Am 28. März 1942 wurden die beiden in das Warschauer Ghetto deportiert und dort von den Nazi-Schergen ermordet. Ihren Sohn Max hatten sie 1939 über die Schweiz in Sicherheit bringen können. Er lebte bis zu seinem Tod 2004 in den USA und kam seit den 1980er Jahren häufig in die alte Hansestadt zu Besuch. Rosa Cohen und die Schwestern Julie und Johanna Lehmann wohnten im Haus Am Markt 17. Rosa wurde am 9. Dezember 1941 von den Nazis geholt und in Riga ermordet. Julie und Johanna wurden Ende Juli 1942 deportiert. Julie starb Nazis am 25. August 1942 in Theresienstadt, Johanna am 15. Mai 1944 in Auschwitz.

Bildunterschrift: Die Erinnerung wachhalten: Im Beisein zahlreicher Gäste setzt Gunter Demnig mit Schnellbeton zwei Stolpersteine am Altstädter Markt vor dem Haus Am Markt 3. Sie sollen an Siegfried und Fanny Goldschmidt erinnern (Foto r.). Bürgermeister Michael Stickeln hatte zum Gedenken zwei Rosen niedergelegt.

Bildunterschrift: "Im Unterricht haben wir über die Stolpersteine diskutiert. Durch die Aktion bleibt die Erinnerung an die Juden wach."
Anna Kost (12), Schülerin am Gymnasium Marianum

Bildunterschrift: "Die Schüler haben das Projekt sehr engagiert begleitet und wie selbstverständlich eine Patenschaft übernommen."
Birgit Kasten, Lehrerin am Gymnasium Marianum

19./20.09.2009
lok-red.warburg@neue-westfaelische.de

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