Lippische Landes-Zeitung ,
11.10.2003 :
Auf den Spuren des Widerstandes / Zeitzeugen-Projekt mit Vittore Bocchetta
Detmold (da). Der erste Kontakt zu Vittore Bocchetta kam vor zwei Jahren zustande, als der Italiener bei einem Symposium in Detmold über seine Erfahrungen im Widerstand gegen Faschismus und Besatzung sowie seine Deportation in das Konzentrationslager Flossenbürg berichtete. In diesen Tagen ist der 85 Jahre alte Veronser nach Lippe zurückgekehrt - und steht selbst im Mittelpunkt eines Schüler-Zeitzeugen-Projekts.
Erst in der Nacht zum Freitag angekommen, stellte sich Bocchetta schon am Vormittag den Fragen Horner Gymnasiasten, die eine Radiosendung über ihn produzieren. Natürlich ging es dabei in erster Linie um seine Erlebnisse in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als der Intellektuelle, der später Sprachwissenschaft in Chicago lehrte und sich auch als Künstler einen Namen machte, zunächst das Mussolini-Regime und ab September 1943 die deutsche Wehrmacht bekämpfte. Es war mucksmäuschenstill, als Dolmetscher Dr. Burkhard Blattner die Schilderungen übersetzte.
Neben den Hornern beteiligen sich das Stadtgymnasium, die Geschwister-Scholl- und die Karla-Raveh-Gesamtschule und das Dietrich-Bonhoeffer-Berufskolleg an diesem Projekt, das maßgeblich von der Historikerin Ingrid Schäfer und Stadtarchivar Andreas Ruppert angestoßen wurde. Finanziell unterstützt wird es von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (Berlin).
Doch Bocchetta ist auch noch aus einem anderen Anlass in Detmold. Ebenfalls in der Landesbibliothek wird am Sonntag um 11.30 Uhr die deutsche Übersetzung seiner Erinnerungen an "jene fünf verdammten Jahre", so der Titel, zwischen 1940 und 1945 vorgestellt. Die Idee, das bisher nur in Italienisch und Englisch erschienene Buch in Deutschland herauszugeben, entstand im vergangenen Jahr bei dem Besuch einer Detmolder Gruppe in Verona, wo Bocchetta seine deutschen Gäste durch die erinnerungswürdigen Orte der Stadt führte. Da bereits eine Übersetzung von Dr. Burkhard Blattner vorlag und mit dem Lagenser Hans Jacobs schnell ein Verleger gefunden werden konnte, ging dann alles sehr schnell. Eine faszinierende Lektüre, wie Mitherausgeber Ruppert betont - und dabei auf die dichte und lebendige Schilderung hinweist.
Die Vielfältigkeit des Italieners, der 1949 nach Südamerika auswanderte, später in den USA arbeitete und erst 1992 endgültig nach Verona zurückkehrte, zeigt sich auch in seinen künstlerischen Arbeiten. Diese werden ebenfalls ab Sonntag in der Bibliothek präsentiert. Seine Bilder, so Schäfer, stellten für Bocchetta ein Ventil zur Bewältigung der Ängste in der Emigration dar, hülfen ihm bei der Bewältigung der Furcht, in der Einsamkeit nicht bestehen zu können. Als wahrer Meister zeigt sich der Künstler aber in seinen Skulpturen. Nicht ohne Grund stehen zwei von ihnen an prominenten Stellen Veronas.
In ähnliche Richtung wie das Zeitzeugen-Projekt geht ein Vorhaben, das die Geschwister-Scholl-Schule gemeinsam mit Schulen aus Bozen (Italien) und Dornbirn (Österreich) in Angriff nehmen will. Lehrer und Schüler wollen sich auf Spurensuche zum Thema "Widerstand, Deportation und Befreiung von 1943 bis 1945" begeben. Dazu fand gerstern ein erstes Abstimmungsgespräch statt. Die Initiatoren hoffen, eine finanzielle Förderung von der Europäischen Union zu bekommen. Falls nicht, will man allerdings nicht aufgeben. Dann wird das Projekt per Internet und E-Mail abgewickelt.
11./12.10.2003
Detmold@lz-online.de
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