www.hiergeblieben.de

Mindener Tageblatt , 21.05.2009 :

Schüleraufmarsch vor dem Gericht / 18-Jähriger aus Kirchlengern nach Armenien abgeschoben / Mitschüler sind fassungslos

Von Anja Peper und Paul Pröter

Minden/Bünde (mt/nw). Mit Wut und Unverständnis reagieren Schüler und Lehrer der Erich-Kästner-Gesamtschule Kirchlengern auf die Abschiebung ihres 18-jährigen Mitschülers Arutjun. Gestern sind sie nach Minden gekommen, um hier den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts, Dr. Hans-Jörg Korte, zu treffen.

Das 90-minütige Gespräch mit den Schülern fand hinter verschlossenen Türen statt. Korte hatte sich spontan bereit erklärt, den Schülern grundsätzliche Fragen zum Ausländerrecht zu beantworten. Zu dem speziellen Fall von Arutjuns Familie, die am Dienstagmorgen nach Armenien abgeschoben worden ist, sagt er jedoch nichts. Das Verwaltungsgericht Minden hat noch am gleichen Tag einen Eilantrag, mit dem die Abschiebung verhindert werden sollte, abgelehnt. Diese Entscheidung werde vom Gericht Außenstehenden gegenüber nicht weiter kommentiert, sagte Richter Bijan Riazi dem MT.

Die Vorgeschichte: Der 18-jährige Arutjun, den seine Freunde "Harut" nennen, hätte eigentlich am Dienstag gemeinsam mit seinen Mitschülern den Abschlusstest in Mathe schreiben sollen. Nach Auskunft seines Klassenlehrers Roland Drossert ist er ein guter Schüler, der in Deutschland Abitur machen und Jura studieren wollte. Diese Pläne wurden allerdings am frühen Dienstagmorgen zunichte gemacht: Der 18-Jährige war morgens um 4 Uhr von der Ausländerbehörde aus dem Schlaf gerissen und mit Eltern sowie seinem Bruder (19) zur Abschiebung nach Berlin gebracht worden.

Schüler und Lehrer stehen per Handy weiter mit Arutjun in Kontakt. Klassenlehrer Roland Drossert: "Wir werden versuchen, alle juristischen Wege auszuloten, um Arutjun zu helfen." Möglicherweise werde die Erich-Kästner-Gesamtschule sogar einen Rechtsanwalt einschalten. In Sachen Finanzierung sehe er kein Problem: "Wir haben eine gut gefüllte Klassenkasse und könnten bei der Abschlussfeier zusätzlich Geld sammeln." Darüber hinaus sollen sowohl Bundestagsabgeordnete als auch der Petitionsausschuss eingeschaltet werden.

Klaus Wöhler, Pressesprecher des Kreises Herford, betonte gegenüber der Neuen Westfälischen, dass die Abschiebung der vierköpfigen Familie kein Fall von Behördenwillkür sei. Das Ehepaar reiste 1998 in die Bundesrepublik ein und beantragte Asyl. Sie seien aus Aserbaidschan, hätten die Eheleute mit zwei kleinen Söhnen damals erklärt. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass die Familie aus Armenien stammte. Der Asylantrag wurde im Jahr 2000 abgelehnt, die Familie aber geduldet. Nach acht Jahren wurde die Ausländerbehörde wieder aktiv. Im Interesse der beiden Söhne - so die Behörde - sei man bereit, den jungen Männern ein (Dauer-)Aufenthaltsrecht zu gewähren, wenn die Eltern freiwillig nach Armenien zurückkehrten. Auf dieses Angebot, so Klaus Wöhler, hätten sich die Eltern aber nicht eingelassen. Und so sei die Abschiebung der gesamten Familie zwangsläufig gewesen, obwohl die beiden Söhne inzwischen 18 und 19 Jahre alt, also volljährig sind.

Deshalb könne man den Beiden die Verfehlungen der Eltern im Asylverfahren (falsche Angaben zu Herkunft und Personalien) nicht mehr ankreiden und er habe außerdem auf eine menschliche Lösung gehofft, betonte Michael Kolostoi, Anwalt aus Osnabrück und spezialisiert auf solche Verfahren, nachdem das Verwaltungsgericht Minden seinen Eilantrag gegen die Abschiebung abgelehnt hatte. Er hoffe aber, dass das Verfahren in der Hauptsache zu Ende geführt werde und sich dann eine Lösung für den Fall von Arutjun finden werde.

Bildunterschrift: Aufmarsch vor dem Mindener Verwaltungsgericht: Die Zehntklässler der Erich-Kästner-Gesamtschule reagieren mit Unverständnis auf die Abschiebung ihres Mitschülers Arutjun ("Harut"). Der 18-Jährige war am Dienstag nach Armenien abgeschoben worden.




Hinweis: Texte und Bilder aus dem Mindener Tageblatt sind urheberrechtlich geschützt. Eine Weiterverwendung ist nur mit Zustimmung der Chefredaktion gestattet.

21./22.05.2009
mt@mt-online.de

zurück