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Deister- und Weserzeitung , 20.02.2009 :

Umstritten: Gedenksteine für Nazi-Opfer / Initiatoren wollen "Stolpersteine" für Hameln / Jüdische Gemeinde lehnt diese Art des Gedenkens ab

Hameln (wul). Ein Charakterzug dieses Projektes sei es, Anlass zur kontroversen Diskussion zu geben, erklären die Initiatoren. Und in der Tat: Die "Stolpersteine" (siehe Fakten), wie sie bereits in etwa 300 Städten Deutschlands zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus verlegt wurden, werden von den beiden Jüdischen Gemeinden in Hameln gegensätzlich bewertet. Der Historiker Bernhard Gelderblom und seine Mitstreiter Manfred Stock von der Bildungsvereinigung "Arbeit und Leben" und Wilfried Altkrüger vom DRK Hameln möchten die gravierten Messingplatten trotzdem im Stadtgebiet als besondere Form der Erinnerung eingesetzt wissen und werben bei Oberbürgermeisterin Susanne Lippmann und den Ratsfraktionen um Unterstützung.

Kaugummis – "unerträglicher Gedanke"

Die "Stolpersteine", die vor den einstigen Wohnhäusern von Juden und anderen NS-Opfern deren Schicksal in einer Messingplatte dokumentieren, seien ein sich fortwährend entwickelndes Projekt, das eine neue Form der Auseinandersetzung mit der Geschichte fördert, geben Gelderblom, Altkrüger und Stock zu verstehen. In Minden, nennt Stock als Beispiel, werden die Stolpersteine für Rundgänge mit Schülern genutzt, und in vielen Städten wird die Verlegung neuer Steine zur öffentlichen Veranstaltung mit Geschichtsstunde. Es sei bürgernah und verändere den Alltag, wenn die Menschen zu ihren Füßen auf die Vergangenheit der NS-Opfer stoßen. Eben dieser Umstand, dass die Passanten auf den Steinen herumtreten, ist für den Vorstand der Jüdischen Gemeinde Hameln Grund, das Projekt abzulehnen.

"Steine, die von Kaugummi und Eis verklebt werden könnten, auf die von Hunden uriniert werden könnte, dies ist für uns ein unerträglicher Gedanke", erklärt die Vorsitzende der Gemeinde, Rachel Dohme. Durch das Mahnmal an der Bürenstraße, am Synagogenplatz, seien die Namen der ehemaligen jüdischen Bürger in Würde verewigt, ergänzt Dohme. In der Jüdischen Kultusgemeinde im Landkreis Hameln-Pyrmont dagegen stehe man den Stolpersteinen positiv gegenüber, wie Manfred Stock sagt. Deren Vorsitzende Irina Pirogova konnte gestern für eine persönliche Stellungnahme zu dem Projekt nicht erreicht werden.

Rachel Dohmes Bedenken kennt der Historiker Gelderblom, seiner Ansicht nach aber sei es Aufgabe des Volkes, aus dessen Reihen die Täter gekommen seien, das Gedenken aufrechtzuerhalten. Hinter ihm liegt aufwendige Recherchearbeit, während der er die Biografien zahlreicher Opfer in Hameln zusammengetragen hat, die den Grundstein für die Platzierung der Stolpersteine bilden.

Zustimmung nicht ohne breiten Konsens

Er wolle bei den Angehörigen der Opfer jeweils um Einverständnis zum Verlegen eines Gedenksteines bitten, erklärt er. "Mit dieser Implikation" möchten er und die Mitinitiatoren das Projekt auch ohne die Zustimmung der Jüdischen Gemeinde Hameln umsetzen. Die Männer verweisen dabei auf die Stadt Northeim, in der die Ratsmitglieder trotz des Protestes der dortigen Jüdischen Kultusgemeinde für die "Stolpersteine" gestimmt haben.

In Hameln allerdings setzen die Politiker auf breiten Konsens, keiner der Fraktionsvorsitzenden will das sensible Thema zum Politikum werden lassen. Seit Sommer des vergangenen Jahres ist das Thema immer mal wieder im Gespräch. Im Kulturausschuss sollte es behandelt werden, fiel aber zunächst aufgrund einer langen Tagesordnung hinten runter. Die nächstmögliche Ausschusssitzung wurde vertagt und steht noch bevor. Bei einem interfraktionellen Treffen hat Oberbürgermeisterin Susanne Lippmann das Projekt bereits vorgestellt, weitere Gespräche sollen folgen.

Stand heute ist: Die Fraktionsvorsitzenden sind sich, wie auf Nachfrage deutlich wird, im weiteren Vorgehen einig: Das Projekt gegen den Widerstand der Jüdischen Gemeinde unterstützen, das will keiner.
Hintergrund Stolpersteine

Vater der "Stolpersteine" ist der 1947 in Berlin geborene Künstler Gunter Demnig. Die Idee skizzierte er im Jahr 1993, die ersten Steine verlegte er 2003. Sie sind aus Beton gegossen und tragen eine zehn mal zehn Zentimeter große Messingtafel, in die Demnig mit Hammer und Schlagbuchstaben die Überschrift "Hier wohnte" einstanzt, darunter Vor- und Nachname des Opfers, das Geburtsjahr und das Schicksal, das ihm widerfahren ist. Die Stolpersteine sollen die Erinnerung an Juden, Sinti und Roma, politisch oder religiös Verfolgte, Homosexuelle, Euthanasieopfer und behinderte Menschen wach halten.

Die Steine werden einzeln oder in Gruppen vor der letzten frei gewählten Wohnstätte der Opfer in die Gehwege eingelassen. Für 95 Euro kann jeder Interessierte eine Patenschaft für die Herstellung und das Verlegen eines Stolpersteins übernehmen. Mehr als 14.000 Steine sollen inzwischen verlegt sein, in Deutschland, Österreich, Ungarn und den Niederlanden. Mehr im Internet unter:

www.stolpersteine.com

Bildunterschrift: In der Nachbarstadt Bad Pyrmont liegen seit dem Jahr 2005 "Stolpersteine".

Bildunterschrift: Wilfried Altkrüger, Manfred Stock und Bernhard Gelderblom (v. li.) vor dem Haus der jüdischen Familie Kratzenstein am Kastanienwall. Dort könnte ein Stolperstein auf das Schicksal der Kratzensteins aufmerksam machen.


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