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Buchladen Distel , 14.01.1987 :

Info zum Thema Repression

Editorial

Gegen - derzeit - 6 Betroffene laufen in Detmold Ermittlungsverfahren nach § 129a ("Unterstützung einer terroristischen Vereinigung"). In einem Verfahren geht es um eine Veranstaltung vom Oktober 1985, im zweiten um den Vertrieb der Zeitschrift "radikal".

Entstehung und Chronologie beider Verfahren werden in diesem Info ausführlich dokumentiert sowie politisch bewertet. Sämtliche politische Einschätzungen werden hierbei allein vom Buchladenkollektiv gegeben. Denn: Die o.g. Betroffenen vertreten zum Teil recht unterschiedliche politische Positionen Dass dies auch dem Kenntnisstand des Staatsschutzes entspricht (und er dies dementsprechend versucht auszunutzen) ist für uns kein Grund unterschiedliche Auffassungen auch als solche zu reflektieren.

Gilt es auf der einen Seite zu verhindern, dass die Bullen (u.a.) einen Überblick über Strukturen und Zusammenhänge bekommen, so gilt zum anderen für uns, dass die Nichtbenennung oder das Verschleiern von politischen Differenzen - "weil dies dem Gegner nur nützt" - rein opportunistisches Denken (und Handeln) bedeutet; quasi als "Todschlagargument", dass jegliche Auseinandersetzung blockiert.

Wir wollen mit diesem Info aufzeigen, dass mit den staatlichen Kriminalisierungen das Ziel verfolgt wird, bestimmte politische Inhalte aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten.

Veröffentlichungen von Erklärungen, Dokumentationen, Auseinandersetzungen und Diskussionen, die sich mit bewaffneten Kampf, der Entwicklung militanten Widerstandes oder auch staatlichen Repressionsmaßnahmen befassen (z.B. Informationen über Isolationsfolter ... ) sollen - von vornherein - verhindert werden.

Wer in Form von Zeitschriften oder Flugblättern, öffentlichen Veranstaltungen, Auslage bzw. Verkauf ... ect. neben Berichten von (z.B.) Anti-AKW-Initiativen oder antimilitaristischen Aktionen auch militante Gruppen - einschließlich Revolutionärer Zellen (RZ) und Roter Armee Fraktion (RAF) - zu Worte kommen lassen will, um damit überhaupt die Voraussetzung für Diskussionen und Auseinandersetzungen ermöglichen will, soll in erster Linie mit dem Gesinnungsknüppel 129a eingeschüchtert und kriminalisiert werden. Die verstärkte präventive Anwendung dieses Gummiparagrafen betrifft in zunehmenden Maße auch öffentliche Veranstaltungen und Konferenzen: Diese sollen erst gar nicht mehr stattfinden.

Herausstechendes Beispiel hierfür ist das Tagungsverbot für die Bundeskonferenz der Anti-AKW-Bewegung vom 28. bis 30. November letzten Jahres in Regensburg (anschließend auf ganz Bayern ausgeweitet) - auch in Berufung auf den 129a!

Ein anderes Beispiel: Unter der Überschrift "Zusammenkunft von RAF-Sympathisanten gesprengt" schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 06.11.1986 über eine Veranstaltung zur Situation politischer Gefangener in der BRD am Vortag in München, die von 500 Bullen - darunter Bundesgrenzschutz (BGS) und Landeskriminalamt (LM) - zerschlagen wurde:

"Die Münchener Polizei hat eine Zusammenkunft von RAF-Sympathisanten gesprengt. Dabei wurden 112 Personen kontrolliert und acht vorübergehend festgenommen. Die Zusammenkunft war als Informationsveranstaltung zur Situation der politischen Häftlinge in der Bundesrepublik getarnt. Anwälte und Familienmitglieder inhaftierter Terroristen waren eingeladen. Das Münchener Kreisverwaltungsreferat hat die Zusammenkunft verboten, die Bundesanwaltschaft ein Verfahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung eingeleitet."

Während die "Kronzeugenregelung" (Sogennate "Kronzeugen" gab es in der Vergangenheit in zahlreichen politischen Prozessen auch ohne gesetzliche Grundlage; vgl. Bakker Shut's "Stammheim", S. 290-295) - von der zensierten Öffentlichkeit bewusst in den Mittelpunkt gestellt - erst einmal verschoben wurde, verabschiedeten die Herrschenden im Windschatten dieser "Diskussion" . Gesetze, die zum einen bisher legalen Widerstand für illegal erklärt - und zum anderen militante Aktionen (z.B. Strommasten umsägen) als "terroristische Verbrechen" ahndet.

Zukünftig soll jegliche Auseinandersetzung und/oder Solidarität mit militantem Widerstand unter Strafe gestellt werden.

Neben der Ausweitung des 129a und der vorgezogenen Verabschiedung von ZEVIS (Bestandteil des sog. "Sicherheitspaketes") gilt ab dem 1. Januar dieses Jahres nun auch der § 130a ("Anleitung zu Straftaten"). Dessen Inhalt betrifft

" ... z.B. Leute, die Flugblätter, Broschüren oder Zeitungen machen oder herausgeben, diejenigen, die sie drucken, setzen, vervielfältigen, jene, die sie verkaufen, verteilen, für sie werben. Und damit ist der Kreis geschlossen, der alle, von RAF bis Flugblattverteiler zum Terroristen stempelt und zu eliminieren versucht." (Grün-Alternative Liste: "Die Justiz als Instrument der präventiven Konterrevolution", November 1986).

Als Buchladenkollektiv sind wir - nach wie vor - der Meinung, dass eine vorrangige Aufgabe der radikalen Linken darin bestehen muss, den Freiraum zu erkämpfen, in dem sämtliche Schriften öffentlich zu bekommen sind; Stellungnahmen ect., die sowohl für unsere eigene politische Perspektive unentbehrlich, als auch für zukünftige gemeinsame Diskussionen und Aktionen ect. (z.B. Demonstrationsbündnis) unersetzbare Voraussetzung sind. Ein gutes Beispiel hierfür, stellt der kriminalisierte Reader zur bereits erwähnten Anti-AKW-Konferenz dar: In ihm wurde - und wird - die gesamte Breite des AKW-Widerstandes dokumentiert, von der Unterschriftensammlung bis zum Mastensterben.

Als Versuch staatstragender Personen und Organisationen, militanten Widerstand politisch zu vereinzeln, sei hier als (wenn auch herausragendes) Beispiel Otto Shily zitiert:

" ... Militante Atomkraftgegner nützen objektiv, sind objektiv Verbündete der Atomkraftbefürworter und nützen also auch nur deren Interessen ... Ich denke daran, dass man sich dann räumlich trennen muss von gewalttätigen Demonstranten, dass man vielleicht durch Einwirken auf Demonstranten sie von Gewalttätigkeiten abhalten muss, und dass man im Notfall sie sogar entwaffnen muss ... " (Interview in "Panorama" am 22.07.1986).

Dieser Politik kann - unseres Erachtens - nur durch politische Auseinandersetzung innerhalb der Linken bzw. der Bewegungen entgegengetreten werden und nicht durch "Dialoge" mit den Herrschenden und/oder (integrativen) Vertretern.

Dabei muss die politische Diskussion offen und tolerant geführt werden, um mögliche gemeinsame Berührungspunkte offen zu legen und weiter zu entwickeln.

"Strommasten der Atommafia zu kippen ist ein legitimes Mittel des Widerstandes. Gute Flugblätter sind so ,wichtig wie die Löcher im Wackersdorfer Bauzaun, Info-Veranstaltungen sind so nötig, wie das Abbrennen von Baumaschinen und Planungsbüros, juristische Verfahren haben ihren Stellenwert wie die hoffentlich lebendige Demo hier. Allein die Einheit in dieser Vielfalt, Radikalität und Unberechenbarkeit kann einen anhaltenden Druck der Straße schaffen, um das Atomprogramm zum Kippen zu bringen. Von herrschenden Gesetzen lassen wir uns die Widerstandsformen nicht vorschreiben, und staatliches Gewaltmonopol akzeptieren wir niemals. Die Wahl der Mittel richtet sich vielmehr nach unseren eigenen moralischen und politischen Kriterien. Diese haben wir zu erarbeiten. An ihnen orientieren sich unsere Kampfformen, und hierüber muss unter uns eine selbstkritische, solidarische Auseinandersetzung um Möglichkeiten, Risiken und konkret Ziele stattfinden ... Ehrliche Auseinadersetzungen sind eine Voraussetzung dafür, radikale Vorstellungen breiter zu vermitteln, die momentane Stärke und Entschlossenheit des Widerstandes zu festigen und den Kampf voranzutreiben." (Redebeitrag der Autonomen auf der Hanau-Demo am 08.11.1986; abgedruckt u.a. in "atom", Januar/Februar 1987).

Innerhalb dieser so notwendigen Diskussion nehmen Info- oder Buchläden, Umwelt- und Kommunikationszentren usw. eine zentrale Funktion wahr: sie sind Multiplikatoren der politischen Auseinandersetzungen, d.h., in öffentlichen Räumen können Informationen, Stellungnahmen ect. eingebracht und -gesehen, ausgetauscht und "konsumiert" werden. Die politische Einsicht in die Notwendigkeit Gegenöffentlichkeit (und mehr) durch organisatorische Strukturen zu schaffen, prädestiniert Buchläden u.a.m. natürlich geradezu zu bevorzugten Kriminalisierungsobjekten des Staatsschutzes - dies gilt für sämtliche Bereiche selbstbestimmter politischer Organisierung, z.B. auch für besetze Häuser wie die Hamburger Hafenstraße. Hier soll exemplarisch selbstbestimmte und nicht-(mehr)- integrierbare Politik ausgeschaltet werden, Diskussionsräume bzw. -zusammenhänge zerrissen werden.

Mit dieser staatlichen Praxis werden bestimmte Auswirkungen bei den Betroffenen kalkuliert bzw. ersehnt, die (zumindest präventiv) auch auf das politische Umfeld der Läden o.ä. wirken sollen und somit zum Teil einen Stellvertretercharakter haben. Mit Durchsuchungen, Ermittlungsverfahren, Prozessen, Einknastungen soll erreicht werden:

- Unsicherheit, Angst und Vereinzelung sollen sich einschleichen als bewusst geplante Kollidierung mit den eigenen und kollektiven Ansprüchen;

- Jede Menge Zeit soll mit eingeleiteten Ermittlungsverfahren abgezogen werden, als Blockierung der (selbstbestimmten) politischen Entwicklungen und Auseinandersetzungen;

- Materielle und justizielle Belastungen sollen die Existenz der Läden/Zentren gefährden;

- Ein Wink mit dem Zaunpfahl: mit einer selbstauferlegten Zensur wären Repressionen zu vermeiden.

Damit dieses staatliche Konzept nicht aufgeht, bedarf es der Einsicht in die politische Notwendigkeit, sich das Thema der Repression nicht derart aufzwingen zu lassen, dass alle weiteren - selbst -bestimmten - Entwicklungen blockiert und gelähmt werden. Eine Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Kriminalisierungen bleibt uns jedoch dabei nicht erspart. Diese jedoch muss in eine politische Gesamtstrategie eingebunden werden, die selbst offensiv agiert - und nicht nur reagiert. Mit diesem Info wollen wir - anhand unseres derzeitigen Diskussionsstandes - hierzu einen Beitrag leisten.

Mitte Januar 1987
- Das Buchladenkollektiv –

Spendenkonto für Rechtshilfe und Öffentlichkeitsarbeit:
Volksbank Detmold – „Solidaritätsfond“ (Empfänger) - BLZ: 47690080 - Nr.: 131029700


Zeitschrift „atom“:

Die atom ist eine Gemeinschaftsproduktion der beiden bundesweiten Anti-AKW-Zeitschriften Atom Express (gegründet 1977) in Göttingen und der Atommüllzeitung (gegründet 1978) in Lüneburg. Sie erscheint 2monatlich und hat einen Umfang von 68 Seiten. Regelmäßig wird über folgende Themen berichtet:

- Standorte von Atomanlagen in der BRD;
- Grundsätzliche Artikel zur Energieversorgung;
- Die „Un"sicherheit atomarer Anlagen;
- Einschätzungen zum Widerstand gegen das Atomprogramm;
- Über die Widerstandsschwerpunkte Wackersdorf und Gorleben;
- Die Kriminalisierung der Bewegungen durch den Staat;
- Frauenseiten;
- Neues aus der unabhängigen Friedensbewegung.

Das Einzelheft kostet 4.-DM (regelmäßig im Laden erhältlich; alle Ausgaben sind zudem archiviert), ein Abo für 5 Ausgaben ist für 25,-DM beim

Göttinger Arbeitskreis gegen Atomenergie
Postfach 1945
D-3400 Göttingen

erhältlich.


Buchladenkollektiv Distel:
Unvollständige Chronologie zweier Ermittlungsverfahren nach § 129a in Detmold

Am 18. Oktober 1985 findet eine Veranstaltung des Buchladens unter dem Titel "Einen Revolutionär können sie töten, aber nicht die Revolution" im Detmolder Autonomen Kultur- und Kommunikationszentrum statt:

"Das Datum dieser Veranstaltung ist nicht zufällig. Am 18.10.1977 wurden in Stammheim während der Kontaktsperre die Gefangenen aus der RAF, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan Carl Raspe ermordet. Die einzige Überlebende ist Irmgard Möller ... " (Redebeiträge).


Inhaltlich ging es um die politische Entwicklung in Detmold, Situation und Selbstverständnis des Buchladen, damals anstehende Prozesse gegen Gefangene aus RAF und antiimperialistischen Widerstand, der Freilassungsforderung für Günter Sonnenberg sowie dem bevorstehenden antikapitalistischen und antiimperialistischen Kongress in Frankfurt:

"Diese Veranstaltung kommt nicht vom ganzen Ladenkollektiv, sondern von einem Teil. Dass hier einzelne aus dem Laden Veranstaltungen durchführen, liegt daran, dass wir ziemlich unterschiedliche Menschen sind, deren Vorstellungen sich nur an manchen Punkten decken, oft auch gegensätzlich sind ... Anders als bei der Südafrika-Veranstaltung, wo sich Menschen mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen aus dem Laden aufgrund der aktuellen Situation zusammengesetzt haben für diesen einen Punkt, entstand Idee und Durchführung dieser Veranstaltung aus unserer kontinuierlichen Auseinandersetzung ... " (Ebenda).

Am 25.11.1985 werden die Redebeiträge Brigitte Mohnhaupt - Gefangene aus der RAF - mit einem Begleitbrief über Inhalt und Ablauf der Veranstaltung zugeschickt. Mit Brigitte bestand zu diesem Zeitpunkt bereits ein Briefwechsel.

Mit Datum vom 16.12. ordnet Gollwitzer, Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, die Beschlagnahme

" ... des an die Untersuchungsgefangene Brigitte Mohnhaupt gerichteten Druckwerks "Redebeiträge zur Veranstaltung Detmold 18.10.85" und des Briefes des Buchladen "Distel" ... "

an.

Der Beschluss erfolgt im Rahmen eines

"Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt (unbekannte Veranstalter und Redner der Veranstaltung ... unbekannte Herausgeber, Hersteller und Verbreiter des Druckwerks "Redebeiträge ... ) wegen Verdachts eines Vergehens nach. § 129a StGB u.a. (Werben für die terroristische Vereinigung "RAF") ... ".

Als "Gründe" für die Zensurmaßnahme wird ausgeführt,

" ... dass am 18.10.1985 vom Buchladen "Distel" eine Veranstaltung unter dem Motto "Einen Revolutionär können sie töten, aber nicht die Revolution" organisiert wurde und die im Druckwerk "Redebeiträge ... enthaltenen Vorträge vor 70 Zuhörern gehalten wurden ... Das vorliegende Exemplar des Druckwerks ... und der Brief ....sowie der Briefumschlag kommen als Beweismittel in Betracht ... ".

Am 28.12. erscheint in der lippischen Lokalpresse unter der Überschrift "Demokratiefeindlich" ein Leserbrief der Detmolder "Schüler-Union:

" .. Was der Buchladen Distel an Büchern, Broschüren und Sonstigem anbietet, ist eindeutig demokratiefeindlich und leistet der extremen Linken hervorragende Dienste. Sympathiebekundungen gegenüber der "RAF", Bezeichnungen wie "NATO-Angriffspakt", Unterstellungen von Angriffskriegen an die Adresse der USA, Bezeichnung der Bundesrepublik als ein Land voll entsetzlicher Armut sprechen wohl eine deutliche Sprache ... Wer solcherart Buchladen toleriert, muss sich nicht wundern, wenn entsprechendes Gedankengut sich bei Teilen der Bevölkerung breitmacht und die Bedeutung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung an Wert verliert."

Am 19.03.1986 stellt Berghoff, Richter am Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf einen "Beschluss"

" ... in dem Ermittlungsverfahren gegen 1. ... , 2. ... , 3. ... , 4. ... , wegen Verdachts der Werbung für eine terroristische Vereinigung ... "

auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf zur Durchsuchung der Wohnungen der 4 Beschuldigten sowie des Buchladens aus.

Nach 2seitigem Zitieren aus den Redebeiträgen ist dann dort zu lesen:

" ... Der Buchladen "Distel" wird als "Ladenkollektiv" betrieben. Der Beschuldigte ... ist die für dieses Einzelhandelgeschäft verantwortliche Person im Sinne der Gewerbeordnung. Die Beschuldigten ... und ... gehören zu den Mitarbeitern des Buchladens. Der Beschuldigte ... ist Verfasser eines an das "RAF"-Mitglied Adelheid Schulz gerichteten Briefes ... , der sich mit der Veranstaltung ... befasst und dem ein Exemplar der vorbezeichneten Druckschrift als Anlage beigefügt ist ... ".

Erst 2 Monate später, am 14.05., durchsuchen aufgrund o.g. Beschlusses über 100 Bullen den Laden und die Wohnungen. Daran beteiligt sind Bundeskriminalamt (BKA), Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA) mit seiner Abteilung 2.22, das Politische Kommissariat 14 aus Bielefeld, Bereitschaftspolizei. - darunter Sondereinsatzkommandos (SEK).- aus Gütersloh, Politische und Streifenbullen aus Detmold sowie als "Zeugen" Gemeindebeamte der Stadt Detmold (die Herren Klemme und Zimmermann vom Ordnungsamt). Von den Detmolder politischen Bullen sticht Kliegelhöfer heraus, von dem später noch die Rede sein wird. Die Durchsuchungen beginnen alle parallel gegen 6 Uhr morgens und dauern 2 bis 2 3/4 Stunden; den "freien Zugang" besorgt in den meisten Fällen ein Schlüsseldienst. Sämtliche Wohnungen werden umstellt und abgeriegelt, zum Teil werden einzelne Leute mit gezogener Knarre und/oder Schäferhund aus den Betten geholt. Mit unterschiedlichem Erfolg versuchen die Bullen dabei, einzelne auf ihren Zimmern festzuhalten, um ein Zusammenkommen zu verhindern. Mit gängigen Schikanen (die Bullen gehen beim Anziehen nicht heraus, es wird nicht informiert, worum es geht, Verständigungen mit Anwälten werden unterbunden ... ) sollen die Leute eingeschüchtert werden.

Die Durchsuchungen sind sorgfältig und gezielt: Überall werden Skizzen und Fotos von Räumen und Inventar - zum Teil auch von Personen - angefertigt. Beschlagnahmt wird u.a.: Exemplare der Sonderausgabe von "Zusammen kämpfen" (April 86), Briefwechsel mit politischen Gefangenen, Buchladenunterlagen u.a.m. Anschließend werden alle 4 Beschuldigten auf 's Detmolder Bullenpräsidium gebracht und "erkennungsdienstlich behandelt", d.h., Fingerabdrücke werden abgenommen, Fotos gemacht, die anschließend in die verschiedenen Computer bis zum BKA landen. Bei o.g. Behandlungen gehen die Bullen zum Teil mit äußerster Brutalität vor.

Am gleichem Tag wird eine weitere Detmolder Wohnung von "Unbekannten" demonstrativ verwüstet. In einer Wohngemeinschaft beschlagnahmen 2 besonders eifrige örtliche Bullen eine Baulampe, ein im November deshalb stattfindender Prozess wird eingestellt. Am 15.05. - einen Tag später - halten wir auf einer Detmolder Anti-AKW-Demonstration (mit ca. 1000 Leuten eine der größten in den letzten Jahren) einen Redebeitrag zu den vorangegangenen "Ereignissen", in dem wir betonen, dass wir uns das Recht zur politischen Auseinandersetzung nicht nehmen lassen werden.

Viele Leute erfahren so zum ersten -mal von dem Bulleneinsatz. Die Bullen reagieren nervös, greifen jedoch nicht ein.

Eine Woche später veröffentlichen wir ein "Info zum § 129a":

" .., Mittels des politischen Strafrechts, in dem der § 129a eine ganz zentrale Funktion hat, wird versucht, ... z.B. jegliche Auseinandersetzung mit politischen Gefangenen mit einem immer weiter gefassten Schleier der Kriminalisierung zu überziehen und sie als "terroristisch" zu denunzieren. Der Begriff "terroristisch" zielt vor allem auf Teile der Linken ab, die, wenn dieser Begriff erst einmal gefallen ist, nichts mehr gegen die Beseitigung der entsprechend Bezeichneten vorzubringen hat ... ".

Das Flugblatt wird bundesweit vertrieben und in einigen Zeitungen/ Infos (Über- u.. regional) abgedruckt, meistens auszugsweise. Daraufhin erhalten wir einige Stellungnahmen, Solidaritätserklärungen und Spenden.

Ende Mai erscheint ein Flugblatt aus dem antiimperialistischen Widerstand "Gegen den Angriff auf Veranstaltungen aus dem antiimperialistischen Widerstand":

" ... Im Herbst letzten Jahres haben viele ähnliche Veranstaltungen stattgefunden. Die Erfahrung während des Hungerstreiks der Gefangenen aus RAF und Widerstand im Winter 84/85, die Diskussionen über die am gemeinsamen
Ziel orientierten Angriffe der Guerilla und Militanten des Widerstandes im Sommer 85, das Projekt Kongress - es passierte einfach total viel, veränderte sich ständig. Das Bedürfnis, für uns genauer zu bestimmen, wo wir jetzt sind, was wir anpacken wollten und da an konkreten Punkten mit anderen zu diskutieren, war Motor für die Durchführung der Veranstaltung ... ".

Das Flugblatt wird u.a. auch in der "radikal" Nr. 132 veröffentlicht, die später - darauf kommen wir noch - beschlagnahmt wird. Im bundeseinheitlichen Beschlagnahmebeschluss heißt es betreffs des Flugblattes:

" ... Der Artikel ... auf den Seiten 37 und 38 befasst sich mit strafrechtlichen Ermittlungen. Er endet mit der Forderung "Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand" und mit dem Aufruf "Für die revolutionäre Front in Westeuropa". Damit wird bei den Lesern um Sympathie für die Zielsetzung der terroristischen Vereinigung "RAF" geworben. Mit dem Aufbau einer revolutionären Front in Westeuropa will die "RAF" eine Internationalisierung ihrer verbrecherischen Aktionen erreichen. Mit der Zusammenlegungsforderung will die "RAF" ihren Kampf aus den Justizvollzugsanstalten heraus intensivieren. Dies ist zumindest Werben ... ".

Die ab Anfang Juni von allen Betroffenen über Rechtsanwälte (RA) gestellten Anträge auf Akteneinsicht werden bis heute abgelehnt.

Am 09.07. wird eine Person durch Verfassungsschutz (VS) und einem örtlichen Zivilbullen in Detmold angesprochen, mit dem Ziel als V-Mann gegen die Szene und den Buchladen insbesondere zu arbeiten. Der Versuch mit Einschüchterung ("Sie haben da doch noch was ... ") und finanziellen Angeboten schlägt fehlt. Interessant an dem Anwerbungsversuch ist, dass der Kontakt ("... wenn Sie es sich doch noch mal anders überlegen ... ") über den "Leiter der Kriminalpolizei des Kreises Lippe", Günter Meyn, laufen soll.

Wir veröffentlichen in aller Schnelle ein Flugblatt, in dem wir u.a. auf die Einschüchterungspraktiken des VS hinweisen und dazu auffordern, Anwerbungsversuche öffentlich zu machen.

Auf G. Meyn kommen wir übrigens auch noch zurück (s.o.).

Mit Beginn der letzten Juli-Woche finden bundesweit Durchsuchungen wegen der Nr. 132 der Zeitschrift "radikal" statt (Vgl. hierzu das hinten dokumentierte Flugblatt "Polizeiaktion gegen Buchhandlungen“).

Am 31.07. erscheinen vormittags 4 Bullen in Zivil im Buchladen, darunter der schon erwähnte Klieglhöfer (der die Razzia leitet) und sein Lehrling Hausmann. Nach Hinterlegung einer (beglaubigten!) Kopie des bundeseinheitlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses von Gollwitzer (Bundesgerichtshof), durchsuchen sie ca. eine Viertelstunde sämtliche Räume des Ladens und "beschlagnahmen" 4 Exemplare der gesuchten "radikal"-Ausgabe, die sich selber mitgebracht haben (das ist sicher)!

Stolz auf ihren "Fund" fordert Kligelhöfer den anwesenden Ladendienst (1 Person) auf, das Durchsuchungsprotokoll zu unterschreiben, indem als "Zufallsfund" noch die Kommandoerklärung der RAF zu Beckurts und eine Besucherin des Ladens als "Zeugin" (!) vermerkt ist. Der Ladendienst (LD) ignoriert dies und verlangt die Ausweisung sämtlicher Bullen. Auf Klieselhöfers Anweisung wird dies unterlassen (er selbst weist sich breitwillig aus), denn: "Wenn Sie das Protokoll unterschreiben, weisen sich meine Kollegen auch aus." Insgesamt probiert er dies drei- bis viermal, bevor er "Unterschrift verweigert" ankreuzt. Daraufhin lässt Kliegelhöfer auch keine Durchschrift des Protokolls da (wozu die Bullen immer verpflichtet sind) mit der Bemerkung LD könne es sich ja abholen. Als am nächsten Tag eine Anwältin die Durchschrift einholt, muss siel die Aushändigung quittieren.

Anfang August veröffentlichen "Lipper/inn/en beobachten die Polizei" und die "Brigade Willi Langenberg" ein Flugblatt "Radikal beschlagnahmt“, in dem in Kürze die Durchsuchung des Ladens dargestellt und der vollständige Gollwitzer-Beschluss dokumentiert wird,

" ... weil darin deutlich sichtbar wird, wer, wie und womit politisch kriminalisiert werden soll. ... Vom Kaufhausdiebstahl bis zum Diskussionspapier der Revolutionären Zellen ... ".
Erst mit Datum vom 08.09 stellt die Generalstaatsanwaltschaft den 4 Beschuldigten im Ermittlungsverfahren wegen der Veranstaltung einen Beschlagnahmebeschluss des OLG Düsseldorf (Richter Berghoff) vom 13.06 zu:

" ... In dem Ermittlungsverfahren ... wird nach Widerspruch der- Beschuldigten auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ... die Beschlagnahme ... bei dem Beschuldigten ... sichergestellten Schriftstücke ... Gegenstände ... angeordnet ... Gründe: Diese Gegenstände unterliegen sämtlich der Beschlagnahme, weil die Möglichkeit nicht fern liegt, dass sie für dien Be- oder Entlastung der Beschuldigten oder sonst für die Untersuchung Bedeutung gewinnen können ... Die sichergestellten Schriftstücke befassen sich zum großen Teil mit der "RAF" sowie deren Themenkreisen und belegen teilweise Kontakte zu Mitgliedern dieser Vereinigung. Die Gegenstände beziehen sich des weiteren teilweise auf die Veranstaltung vom 18: Oktober 1985, den Veranstaltungsort ... und .die Zugehörigkeit zum "Ladenkollektiv Buchladen Distel" ... ".

Am 10.09. betreten Volker Schmook und Theo Barth vom BKA Wiesbaden nachmittags den Laden und fragen nach LD., der nicht anwesend ist (" ... der ist doch sonst immer da ... "). Nachdem sie keine Antwort auf die Frage nach dem Aufenthalt von LD erhalten, teilen sie folgendes mit:

Es ginge um die radikal, Herr LD. wisse da schon Bescheid. Sie wollen bloß eine Vernehmung machen und wären sich schon im Klaren darüber, dass LD. nicht aussagen würde. Es ginge ja lediglich um eine "Formsache“, derentwegen sie am nächsten Tag noch einmal um 10 Uhr wiederkommen werden; verhaften wollen sie LD. nicht.

Am nächsten Tag ruft der BKA-Bulle Barth um 9 Uhr 45 bei der Anwältin an, die das Durchsuchungsprotokoll von Klieglhöfer (s.o.) abholte und quittierte: Er sei gerade bei der Detmolder Polizei und habe dort in den Unterlagen das quittierte Protokoll "gefunden". Gegen LD. sei nämlich vom Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen § 129a eingeleitet worden und er sei gleich mit LD. im Buchladen "verabredet" (!), ob sie denn nicht kommen wolle!

Als die BKA-Bullen anschließend am Laden abgefangen werden und LD. nicht anwesend ist ("Ist er denn überhaupt noch im Lande?"), erklären sie, dass LD. jetzt "ordentlich vorgeladen“ werde und sollte er wiederum nicht erscheinen, werde 'man' weitersehen. Diese Vorladung wird LD. mit Datum vom 23.09. zugestellt, allerdings von der "Kreispolizeibehörde Detmold - Kriminalpolizei" unterschrieben von – Kliegelhöfer.

Wie schon beim ersten Verfahren, wird auch bei der radikal-Ermittlung keine Akteneinsicht gewährt. Mit Schreiben vom 29.10. teilt der Generalbundesanwalt mit, dass das Verfahren (LD.) an die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf abgegeben worden ist.

Am 17.09. referiert der VS-Kontakt-Mensch Günter Meyn (s.o.) in einer "öffentlichen Sitzung des Jugendwohlfahrtsausschusses des Kreises Lippe" über das Thema "Politisch extremistische Gruppierungen in Lippe und ihre Einflussnahme auf junge Menschen".

Unter TOP 4., "Aktivitäten im linken Bereich" weiß er folgendes zu berichten:

"Die Ursprünge für verstärkte Aktivitäten in diesem Bereich liegen eindeutig in der Besetzung und späteren Räumung der ehemaligen Fabrik "Klingenberg" Ende August 1980, Anfang 1981. Aus dieser Szene ist in der Folgezeit ein harter Kern hervorgegangen, der 10-12 Personen umfasst, der jedoch nicht unter einer speziellen Gruppenbezeichnung zu erfassen ist. Ein Großteil davon trat im Juni 1983 anlässlich des "Bush-Besuchs" in Krefeld bei gewalttätigen Demonstrationen in Erscheinung, so dass es nicht zu unerheblichen Verurteilungen wegen Landfriedensbruch kam. Das Zubetonieren von Sprengschächten, eine bundesweit initiierte Aktion, ruft im März 1984 auch Aktionisten im Kreis Lippe auf den Plan. Wenig später kommt es im Mai 1984 im Rahmen einer Industrieausstellung der Firma Nixdorf in Gütersloh zur Zerstörung von dort ausgestellten Computern. Maßgeblich sind daran zwei aus dem Kreis Lippe stammende Personen der von mir hier skizzierten linken Szene beteiligt. Im Mai und August 1985 kommt es zu einer Serie von Farbschmiererein in der Innenstadt von Detmold, wobei linksradikale Parolen Solidarität mit der RAF und verurteilten gewalttätigen Demonstranten verkünden. Erheblichen Sachschaden richtete ein Brandanschlag im Oktober 1985 in Lage an, der sich gegen die dortige Mercedes-Vertretung richtet. Diese Tat muss jedoch in einer Serie bundesweit verübter Anschläge zum Nachteil von Firmen der Großindustrie, der Hochtechnologie und der Banken eingeordnet werden. Auch im November und Dezember 1985 kommt es noch einmal zu Farbschmierereien an öffentlichen Einrichtungen und am PKW und Wohnhaus eines Bundeswehroffiziers in Detmold-Heiligenkirchen. Beide Taten haben einen unmittelbaren lokalen Bezug. Schließlich kommt es aufgrund überörtlicher Ermittlungsverfahren im Mai und Juli 1986 bei verschiedenen Personen zu Durchsuchungen, gegen die Ermittlungen wegen Werbens und Unterstützen einer terroristischen Vereinigung eingeleitet worden sind."

Betreffs des Veranstaltungsverfahren

" ... ist Termin zur Vernehmung der Beschuldigten auf Dienstag, den 23. Dezember 1986, 11Uhr vor dem Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts Düsseldorf ... anberaumt worden."

Aufgrund unterschiedlicher politischer Positionen kommt es zu keinem gemeinsamen Handeln: Nachdem das OLG die von allen Betroffenen geforderte Absetzung des Termins - alle kündigen an, keine Aussagen zu machen - ablehnt, kommen 2 Leute dem Termin nach, während 2 der Vorladung fern bleiben. Vor Ort stellt sich heraus, dass das Verfahren inzwischen auf eine fünfte Person ausgeweitet worden ist, der Betroffene hat die Vorladung jedoch nicht erhalten.

Bei einem der Erschienen fragt Richter Berghoff (nach Personalienaufnahme, "Rechtsbelehrung" und der Zur-Kenntnis-Nahme der Aussageverweigerung) sinngemäß:

'Aus den Unterlagen geht hervor, dass im Buchladenkollektiv unterschiedliche Meinungen vorherrschen. Wollen Sie sich deshalb erst zu Ihren persönlichen Verhältnissen äußern?'

Auch bei der 2. Person wird nach derselben Prozedur ein Versuch nicht unterlassen:

'Aus einer Mitteilung dem Ordnungsamt Detmold wissen wir, dass Sie den Buchladen Distel ... abgegeben haben. Wollen Sie sich dazu äußern?'

Beide bleiben bei der grundsätzlichen Aussageverweigerung, der Termin ist nach einer Viertelstunde vorüber.

Gegen die 3 Leute, die am Termin nicht anwesend waren, sind (bisher) keine Zwangsmittel angewendet worden.

Am 13.01.1987 kommt es zu einer weiteren Hausdurchsuchung, das Veranstaltungsverfahren wird auf eine sechste Person ausgeweitet. Der Durchsuchungsbeschluss vom OLG Düsseldorf (Richter Berghoff) stammt vom 08.12.1986, derselbe Tag, an dem die vorhergehenden Vorladungen zum OLG (s.o.) ausgestellt worden sind:

" ... Der Beschuldigte war Mitarbeiter des Buchladens. Er hat dort im Juli 1986 die Druckschrift "Radikal Nr. 132" verkauft, in der es unter, anderem heißt: "wir grüßen die genossen/innen aus der Stadtguerilla, die siemens-vorstandsmitglied beckurts liquidiert haben ... kraft und liebe allen kämpfenden menschen." Den kriminalpolizeilichen Ermittlungen zufolge war der Beschuldigte zudem der eigentliche Geschäftsführer der inzwischen beim Ordnungsamt, abgemeldeten Firma "Distel" ... ".

Den Buchladen gibt's übrigens immer noch! Der Durchsuchungsbeschluss enthält zwar den Verweis auf das Radikal-Verfahren, ist jedoch ausschließlich auf die 85er-Veranstaltung bezogen:

" ... Es ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird, insbesondere in Gestalt von Manuskripten, Aufzeichnungen und Gegenständen, die zur Herstellung der Druckschrift (gemeint sind die "Redebeiträge zur Veranstaltung" – Anm.d.V.) benutzt worden sind ... ".

Landeskriminalamt (Einsatzleiter Grote) und Kriminalpolizei Detmold - Kliegelhöfer!- "finden" in 2 3/4 Stunden das bereits zitierte Flugblatt (s.o.) "Gegen den Angriff auf Veranstaltungen aus dem antiimperialistischen Widerstand", "De Knispelkraant" vom 07.01.1987, die "Radikal 132", 8 verschiedene "s'blättle'", 5 verschiedene "Zusammen kämpfen", den "Kriminalisierungsrundbrief Nr.4", den "Pressespiegel zur Verhaftung von Jens aus Bielefeld". Sämtliche Beschlagnahmungen werden letztendlich vom Einsatzleiter Grote bestimmt, der zahlreiche "Vorschläge" der ihm unterstellten Bullen ablehnt (" ... dagegen liegt nichts vor ... , kenne ich schon ... ").

Skizzen und Fotos der Wohnung werden zahlreich angefertigt, die Schreibmaschine auseinandergebaut und Schriftproben entnommen. Auf der formalen Rechtsebene wird bewusst 'zurückhaltend' gehandelt, z.B. kann ein Anwalt informiert werden, nach Widerspruch gegen die Durchsuchung und Beschlagnahme ("Sind Sie mit der Durchsuchung einverstanden?" (!)) wird gefragt, der Betroffene wird nicht in einem Zimmer festgehalten u.s.w. Als "Zeuge" wird der Verwaltungsangestellte der Stadt Detmold, Karl Müller, geb. 28.10.1953, mitgebracht. Anschließend wird noch bei den Detmolder Bullen unter Aufsicht Kliegelhöfers eine ED- Behandlung ("Wollen Sie gegen die Maßnahme Widerstand leisten? ) durchgeführt, formal war noch eine Vernehmung durch Grote geplant, die nicht stattfindet.

Datiert am Tag o.g. Durchsuchung (13.01.1987) wird im Radikal- Verfahren eine Vorladung vor das Amtsgericht Detmold für den 03.02.1987 zur "Vernehmung der Beschuldigten" zugestellt. Auch das Verfahren ist auf eine weitere Person ausgeweitet worden; d.h. 2 von den 6 Leuten, gegen die das Veranstaltungsverfahren läuft, haben mit der radikal ein 2. 129a-Ermittlungsverfahren am laufen.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Radikal- Ermittlungen gänzlich vom OLG Düsseldorf an das Amtsgericht Detmold abgegeben worden sind, da dies durch die im Zusammenhang mit der Erweiterung des 129a erfolgten Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht nur möglich, sondern auch gewollt ist, da hiermit die Möglichkeit massenhafter Verurteilungen/ Kriminalisierungen geschaffen worden ist.

Dies steht jedoch bei Herausgabe dieses Infos nicht fest.

Ergänzung zur Chronologie:

Nach der Druckfertigung dieses Infos hat sich in beiden 129a-Ermittlungsverfahren noch einiges entwickelt, das wir an dieser Stelle nachtragen wollen.

Die von uns auf Seite 13 vermutete Abgabe des Radikal-EV hat sich nicht bestätigt; die Vorladungen zum 03.02.1987 waren eine Vertretung für die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf. Beide Betroffenen hatten die Absetzung des Termins beantragt, stattgegeben wurde dies nur bei einer Person. Die andere Person musste zur Vorladung erscheinen, berief sich auf das Aussageverweigerungsrecht (als Beschuldigter) und konnte wieder gehen (keine Nachfragen).

Im Veranstaltungsverfahren sind in der Zwischenzeit die Akten eingegangen.


An unterschiedlichen Tagen ausgestellt und versandt erhielten - ebenfalls im Veranstaltungsverfahren - 4 Beschuldigte eine Vorladung zur Vernehmung durch den Ermittlungsrichter am 10.02.1987 vor das OLG Düsseldorf. Zitat:

'"Sollten Sie sich zur Zeit des Termins auf freiem Fuß befinden, so kann, wenn Sie ohne ausreichende Entschuldigung ausbleiben, Ihre Verhaftung oder Vorführung angeordnet werden".

3 der 4 Vorgeladenen hatten bereits die Vorladung zum 23.12.1986 erhalten und waren damals nicht erschienen (vgl. Chronologie, S. 12), die 4. Person war jene, die zuletzt in dieses Verfahren aufgenommen wurde (Hausdurchsuchung am 13.01.1987).

Diese kam als einzigste der Vorladung nach und wurde prompt - gleich zweimal - nach dem Verbleiben der anderen, der "persönlichen Bekannten", gefragt.

Auch hier hatte Richter Berhoff nach der üblichen 'Rechtsbelehrung' und der Zur-Kenntnis-Nahme der Aussageverweigerung eine vorbereitete Frage parat:

'Sie können z.B, erklären, dass Sie nicht zu dem Teil des Buchladens gehören, der die Veranstaltung ... durchgeführt hat' (sinngemäß).

Der Beschuldigte bleibt bei der Aussageverweigerung und kann anschließend gehen.

Gegen die 3 anderen Beschuldigten sind bis zum 16.02.1987 keine Zwangsmaßnahmen durchgeführt worden.


Ein Solidaritätsbrief
Café Korn
c/o UJZ Kornstr. 28/30, 3000Hannover 1

Liebe Leute vom Buchladen Distel,

ganz liebe und solidarische Grüße aus der "Kornstr." an euch, die ihr mit dem § 129a bekämpft werdet. Klar geht es ihnen um die Zerschlagung unserer Organisationsansätze, an die Verunmöglichung von Diskussion über revolutionäre Organisation und Praxis, die "Austrocknung des Sumpfes", wie sie es nennen. Aber wir müssen halt auch sehen, dass da etwas ist, das sie zu ihren Notstandsmanövern veranlasst, nicht nur als präventive Maßnahmen, sondern als Reaktion. Weil wir begonnen haben, um Befreiung zu kämpfen, wollen sie mit ihren 129a-Konstrukten (und all den anderen Kladerradatsch) uns wegschaffen. "Auge um Auge, Zahn um Zahn", hat das mal eine Genossin formuliert. Es liegt an uns, dass wir schärfer sehen lernen und vor allem zuzubeißen.

Freiheit und Glück


Pieter Bakker Schut:
Stammheim, Der Prozess gegen die Rote Armee Fraktion: Die notwendige Korrektur der herrschenden Meinung.
Verlag Neuer Malik, 685 Seiten, DM 39,80

Politische Gefangene, Hochsicherheitstrakte, Isolation und Kontaktsperre; Prozessveranstaltungen in einer eigens dafür gebauten, auf Gefängnisgebiet liegenden Gerichtsfestung sind keine "Klassiker" der deutschen Geschichte. Sie sind bis zum heutigen Tag gegenwärtiges Geschehen. Zusammen mit den politisch verfügten Eingriffen in das Prozessrecht und begleitet von den Toten nicht nur der Insassen des siebenten Stocks zu Stammheim, ergibt sich das Bild einer möglichst rücksichtslosen und vorbeugenden Abrechnung mit einer nicht integrierbaren politischen Opposition: auf allen Ebenen und in allem dem Staat heute möglich und sinnvoll scheinenden Varianten. Es ist das Bild einer Republik, die niemals wirklich und endgültig Abschied vom faschistischen Erbe genommen hat.

Bakker Schut verteidigt seit 1975 als Rechtsanwalt Gefangene aus der RAF, u.a. vertrat er 1976 Andreas Baader im Verfahren vor der europäischen Menschenrechtskommission in Staßburg. Zur Zeit ist er Anwalt von Knut Folkerts und Adelheid Sch Schulz.


Rote Brigaden – Fabrikguerilla in Mailand 1980-81.
Ex- Militante der Kolonne Walter Alasia erzählen ihre Geschichte
Commune Verlag, 211 Seiten, DM 10,00

Die Kolonne Walter Alasia steht für eine besondere Erfahrung des bewaffneten Kampfes in Italien: nach der Niederlage der Bewegung und der großen Repressionswelle gelingt es ihnen, die BR- (Brigate Rosse/ Rote Brigaden) Struktur in Mailand zu reorganisieren. 1980/81 sind sie ungefähr überall organisiert vertreten: im Krankenhaus, in den Klein- und Mittelbetrieben, vor allem aber bei Alfa Romeo, wo sie 1981 ihre bekannteste Aktion durchführen: sie entführen den Generaldirektor für die Arbeitsorganisation und erreichen, dass die Kurzarbeit für mehrere hundert Arbeiter/innen zurückgenommen wird.

Das Buch besteht in den wesentlichen Teilen aus Prozesserklärungen, in denen die Genoss/inn/en ihre Geschichte rekapitulieren: aufgewachsen in den Trabantenstädten der Peripherie Mailands, politisiert in den Bewegungen der siebziger Jahre, wurden die 77 er Bewegung und ihr Ende für die meisten von ihnen zu einschneidenden Erfahrungen.


Zeitschrift" Die Vergessenen"

Die Zeitung über politische Gefangene "Die Vergessenen" erscheint in unregelmäßigen Abständen seit 1984. Zu ihrem politischem Selbstverständnis schreibt die Redaktion:

"Ausgehend von der Tatsache, das es in der BRD zur Zeit über 100 politische Gefangene gibt, ist es unsere Absicht, einen Beitrag zur Verwirklichung der Forderung nach "Sofortiger und bedingungsloser Freilassung der politischen Gefangenen" zu leisten. Wir wollen mit dieser Zeitung die Därme einreißen, die 1977 von dem Bürgerlichen Staat und seiner getreuen Linken um die Diskussion über die politischen Gefangenen hier im Land errichtet wurden.

Die linke Bewegung muss die politischen Gefangenen im Knast wieder als einen Teil ihrer selbst begreifen. Wir zählen zu den politischen Gefangenen all die Menschen hier im Land, die wegen ihrer Opposition zu dem System im Knast sind. Hierzu gehört sowohl der Mutlangenblockierer als auch die Genossen aus der RAF und dem Widerstand.

Auch "soziale Gefangene", die auf Grund ihrer politischen Entwicklung aus einem Bezug zur Kritik des politischen Gesamtsystems gegen die staatliche Repression kämpfen, sind politische Gefangene. Der Kampf der politischen Gefangenen muss vereinheitlicht werden, damit man die Forderung nach "Sofortiger und bedingungsloser Freilassung" besser angehen kann. "Die Vergessenen" sind aus diesem Grund ein offensives Diskussionsforum für die Interessen der politischen Gefangenen ... ".

Die Zeitschrift ist im Buchladen regelmäßig erhältlich. Wer sie direkt beziehen will muss Bargeld (das Konto ist wegen einer laufenden Kriminalisierung nach 129a aufgelöst) an folgende Anschrift schicken:

"Die Vergessenen"
Mainzerlandstr. 147
6000 Frankfurt/M.


Ramsch - Ramschtausch:

Wir tauschen: Zwei gebrauchte gute Bücher gegen ein gebrauchtes Buch nach Wahl. Eine Auswahl der vorhandenen gebrauchten Bücher:

N. Mawatani:
Weißer Vogel - schwarzes Pferd
Ein Kinderbuch, Indianergeschichten
DM 3

Rius:
Marx für Anfänger
DM 3

J. Zillig:
Gelegenheit macht Liebe
Bauernroman aus Biblis
DM 2

Hermann Kant:
Das Impressum
DM 5

R. Hauth:
Nach der Seele greifen
Psychokult und Jugendsekten
DM 4

Jack London:
Der Sohn des Wolfes
Roman
DM 5

Strugatzki:
Ein Gott zu sein ist schwer
Phantastischer Roman
DM 2

Papa - Charly hat gesagt
Bd. 3
DM 2

Ephraim Kishon:
Nicht so laut vor Jericho
Satiren
DM 3

Theater Nebenan:
Deutschland kleinstes Kneipentheater
DM 10

James Guillaumie:
Johann Heinrich Pestalozzi
Bürger der Revolution
DM 6

Klaus Hurrelmann:
Soziologie der Erziehung
Beltz Studienbuch
DM 4

Zur Kritik der politischen Ökologie
Subrealisten-Bewegung
DM 6

Jan Peters:
Alternativen zum Atomstaat
DM 6

Dieter Richter / Johannes Merkel:
Märchen, Phantasie und soziales Lernen
DM 3

Frauen in der Offensive:
Lohn für Hausarbeit oder:
Auch die Berufstätigkeit macht nicht frei
DM 4

Nika Hardmann:
Überwachung total
Der neue Personalausweis
DM 4

Gianfranco Sanguinetti:
Über den Terrorismus und den Staat
DM 8

Jürgen Bodello:
Computerstaat - nein danke
Zur Diskussion: Volkszählung und totaler Staat
DM 4

Herbert Nagel / Monika Seifert (Hrsg.):
Inflation der Therapieformen
DM 5

Helge Pross:
Die Wirklichkeit der Hausfrau
DM 3,50


Über die Schwierigkeit in einem 129a-Ermittlungsverfahren - als Zeuge - solidarisch zu handeln

Vorweg bemerkt: Derzeit ist noch niemand als Zeuge im 129a- Ermittlungsverfahren benannt. Tatsächlich aber ist jederzeit, dies zeigt die Erfahrung mit anderen Verfahren, mit der Benennung von Zeugen zu rechnen. Was damit verbunden ist, dazu hier mehr:

Erinnern wir uns: Die Ermittlungen zielen auf den Nachweis der Mitgliedschaft, Unterstützung und Werbung für eine terroristische Vereinigung. Die Beweisführung in einem solchen Verfahren zielt folglich auf die einer möglichen "Unterstützung" zugrundeliegende, allerdings 'staatsfeindliche' Gesinnung.

In diesem Sinne scheint jede noch so banale Aussage der Zeugen zweckedienlich zur Konstruktion einer Anklage nach §129a. Oder anders: In einer Situation, in der nicht die Tat, sondern eine Gesinnung nachgewiesen werden soll, kann jede noch so 'taktisch-kluge' Aussage im Sinne der Anklage funktionalisiert werden. Womit wir beim sogenannten "Zeugen der Anklage" wären. Ein auf alle Fragen bezogenes Aussageverweigerungsrecht gibt es nicht. Nach § 55 kann ein Zeuge nur Auskunft auf solche Fragen verweigern, die ihn (als Zeugen) nicht selbst belasten könnten ( was bedeutet, dass er Fragen die andere Personen betreffen , nicht verweigern darf). Wobei aus einer/m Zeugin/en schnell ein/e Beschuldigte/r wird. Somit sitzen die Zeugen von vornherein in einer Art Zwickmühle.

Wer als Zeuge/in das Spiel des Staatsschutzes nicht mitmachen will, zahlt für die Aussageverweigerung (juristisch nicht möglich) einen hohen Preis. Ordnungsgeld bzw. Erzwingungshaft bis zu einem 1/2 Jahr sind die möglichen Konsequenzen, von der psychischen Belastung mal abgesehen.

Hier wird deutlich, dass Repression im "Vorfeld" des Verfahrens materielle Gestalt im Sinne von Angst, Verunsicherung, Einschüchterung etc. gewinnt.

Nur ein gemeinsames solidarisches Vorgehen der Zeugengruppe kann ein Aufspalten in "Verräter" einerseits und "Szenefunktionäre" andererseits verhindern.

Zu dieser Problematik - im besonderen zum § 129a - hat die Arbeitsgruppe 129a Hannover ihre Erfahrungen in einer Broschüre zusammengefasst (ist über den Buchladen Distel zu beziehen für 5 Mark).


Polizeiaktion gegen Buchhandlungen

Generalbundesanwalt lässt die Zeitung "Radikal" beschlagnahmen

Seit Juli dieses Jahres werden die linken Buchhandlungen und Infozentren in der BRD und Westberlin von einer Durchsuchungswelle der Politischen Polizei heimgesucht. Ziel dieser Aktion ist die Beschlagnahmung der Zeitung 'Radikal' Nr. 132, Initiator ist die Bundesanwaltschaft in Zusammenarbeit mit dem BKA und den lokalen Polizeibehörden. Fleißig dabei waren auch die Dienststellen der Bundespost, denn irgendwie wurde der Inhalt eines Paketes, das die 'Radikal' enthielt, bekannt. Es wurden dann anhand der Paketkarte und einer Beschreibung des gefundenen Paketes weitere Pakete und Päckchen ausfindig gemacht.

Besondere Aktivitäten entfaltete dabei das Paketamt in Bielefeld, bei dem ein Großteil der Sendungen mit der 'Radikal' eingeliefert worden war. In anderen Paketämtern der Post zirkulierte ein Rundschreiben, in dem bis ins letzte Detail Verpackung und Beschriftungen der gesuchten Sendungen angegeben waren. Postbeamte wurden von der Polizei stundenlang verhört und nach der Auslieferung dieser Pakete ausgefragt: ob ausgeliefert wurde, ob bekannt gewesen sei, welchen Inhalt die Pakete gehabt hätten, an wen persönlich ausgeliefert worden sei usw.

Durch einen Fehler der Absender wusste die Polizei, wieviele Zeitungen in den jeweiligen Paketen gewesen sein sollen. So konnte sie gezielt in die Läden gehen und sagen: "Sie haben die und die Menge von der 'Radikal' erhalten, wo sind sie?"

Die Beschlagnahmungen liefen jedoch nicht immer so zurückhaltend ab, zumindest nicht bei den zweiten Besuchen, die manche Buchläden und Infozentren vom BKA erhielten.

Polizei und BKA durchsuchen Buchläden und Infozentren

In der ersten Durchsuchungswelle beschränkte sich die Polizei in der Regel darauf, nach der 'Radikal' Nr. 132 zu fahnden und - wenn sie fündig wurde - zu beschlagnahmen. Betroffen davon waren Läden und Zentren in Berlin (insgesamt zwölf Projekte), Hamburg (vier Projekte), in Siegen, Gießen, Osnabrück, Braunschweig (zwei Projekte), Mainz, Moers, Düsseldorf, Köln, Mönchengladbach, Bochum, Bielefeld, Dortmund, Krefeld, Hannover, Frankfurt (vier Projekte), Kaiserslautern, Kassel, Freiburg, Darmstadt, Rendsburg, Bremen, Marburg, Karlsruhe, Itzehoe, Kiel, Detmold, Oldenburg, Konstanz, Göttingen (so weit unser bisheriger Informationsstand). In manchen Fällen wurden bei dieser Aktion auch Rechnungsordner eingesehen und andere Zeitungen ('Freiraum') in den Läden beschlagnahmt. Beteiligt waren in der Regel nur Beamte der lokalen Staatsschutzabteilungen.

Anders sah es schon bei den zweiten Besuchen aus, die verschiedene Buchläden von der Politischen Polizei erhielten. Das BKA hatte sich direkt eingemischt und seine Schnüffler auf den Weg geschickt, so u.a. in Osnabrück, Berlin, Braunschweig, Mainz, Hannover, Frankfurt, Kassel, Köln.

Sie beschränkten sich diesmal nicht auf eine Nachfrage nach der 'Radikal', sondern durchsuchten die Läden gezielt, durchstöberten Rechnungsordner und andere Unterlagen und machten sich eifrig Notizen über Dinge, die für sie bemerkenswert waren; für sie wichtige Schriftstücke wurden beschlagnahmt. In einem Fall ('Guten Morgen'-Buchladen in Braunschweig) sperrten sie den Laden zu, um ungestört arbeiten zu können. Diesen Ladenbesuchen schlossen sich Hausbesuche der Staatsschützer bei den Geschäftsführerinnen der Läden an. Die Privatwohnungen wurden durchsucht, dabei spielte keine Rolle, ob der Wohnungsinhaber anwesend war oder nicht. Die Leute aus dem 'Cardabela'-Buchladen in Mainz erhielten eine Aufforderung zur erkennungsdienstlichen Behandlung.

Was wurde gefunden? Wenig, wenig ... Hier mal ein Exemplar der 132, dort ein anderes, in den meisten Fällen jedoch nichts. Die Zeitung hatte offensichtlich ihre Leser gefunden, obwohl viele Leute, die die 'Radikal' einzeln abonniert hatten, kein Exemplar erhalten haben (insgesamt ist wohl die Hälfte der Auflage beschlagnahmt worden).

Postkontrolle und Ermittlungsverfahren angeordnet

Die Postkontrolle, die auch bei den Einzelabonnenten verhängt wurde, hat also funktioniert. Diese Postkontrolle besteht auch weiterhin; sie wurde vom Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof angeordnet und richtet sich gegen Briefe und Pakete, auf denen die bisherigen Absenderadressen der 'Radikal' angegeben waren: Internationale Grüne, Kopenhagen und Alternative Liste, Wien. Diese Sendungen werden beschlagnahmt.

Gegen alle Geschäftsführer der Buchläden laufen derzeit Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts, in einigen Fällen auch gegen andere Personen, die in den Läden und Zentren arbeiten. Wir schätzen die Gesamtzahl der Verfahren auf etwa Hundert. In Karlsruhe wurden im Rahmen der 'Radikal'-Beschlagnahmeaktion vier Frauen vorübergehend festgenommen und erkennugsdienstlich behandelt, während gleichzeitig ihre Privatwohnungen durchsucht wurden.

Ermittelt wird hauptsächlich nach § 129a StGB, d.h. konkret wegen des Verdachts die "terroristische Vereinigung RAF zu unterstützen und für die terroristische Vereinigungen RAF und RZ durch die Verbreitung der Druckschrift 'Radikal' zu werben". In einigen Fällen wurden die Ermittlungsverfahren an die zuständigen Oberlandesgerichte abgegeben.

Auszüge aus dem Beschlagnahmebeschluss

In dem Beschluss des Generalbundesanwalts heißt es zur Begründung, die 'Radikal' Nr. 132 zu beschlagnahmen, dass folgende Straftatbestände vorlägen:

- Verdacht von Straftaten nach § 129a u.a.;
- die 'Radikal' enthalte Beiträge, in denen Gewalt bis hin zu terroristischen Anschlägen das Wort geredet würde,
- enthielte eine Tatbekennung zum Anschlag auf Beckurts (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung § 129a),
- fordere zum Kaufhausdiebstahl auf (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten § 111),
- enthielte eine Anleitung für den Bau eines elektrischen Zeitzünders (§ 111);
- in der Behauptung, Ulrike Meinhof sei von Schergen des BRD-Staates ermordert worden, sei eine Verunglimpfung des Staates zu sehen (§ 90a);
- Ziele und Strategien der RAF würden verherrlicht werden, die Aufzählung von Aktionen bestärke die Mitglieder in ihrem Zusammenwirken (§ 129a);
- die BRD würde als Mörderstaat herabgewürdigt werden (§ 90a);
- weiter enthielte die 'Radikal' ein Zitat aus einem RZ-Papier, das geeignet sei, bei den Lesern Sympathie für diese terroristische Vereinigung zu wecken und sie für deren Ziele und Strategien einzunehmen (§ 129a),
- einen Artikel, in dem der militante Widerstand gegen die WAA in Wackersdorf dokumentiert und zu ähnlichen Aktionen aufgerufen würde (§ 111),
- Berichte und Bekennungen zu den Anschlägen im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die WAA und mögliche Anschlagsziele (Liste der Firmen) (§ 111).

In dem Schlusssatz der umfangreichen Begründung heißt es dann, dass eine Trennung der strafrechtlich relevanten Seiten der 'Radikal' 132 von den übrigen Seiten praktisch undurchführbar sei und nur unbedeutende und unverkäufliche Teile der Zeitung zurücklassen würde.

Die Bedeutung der §§ 129a und 130a

Die Durchsuchungen in den Buchläden und Infozentren sehen wir in engem Zusammenhang mit den derzeitigen Plänen des Staates, seine Unterdrückungsmechanismen auszuweiten. Das geschieht durch die weitere Verschärfung polizeilicher Fahndungsmezhoden (z.B. Rasterfahndung), die Verfolgung sozialer Protestbewegungen als kriminelle Vereinigungen und die juristische Absicherung dieser Kriminalisierung durch die Ergänzung bzw. Ausweitung von Artikeln des Strafgesetzbuches (§§ 129a, 130a).

Gegen Radikalität im politischen Handeln (§ 129a) ...

Die Ausweitung des § 129a und die Wiedereinführung von § 130a stehen in der Kontinuität einer sich verschärfenden Repression gegen soziale Bewegungen. Vor 10 Jahren war es die sozialliberale Koalition, die die Terrorismushysterie zur Verabschiedung fast wortgleicher Gesetze (damals §§ 130a, 88a) ausnutzte. Nun sieht die CDU/CSU/FDP-Koalition ihre Chance gekommen, radikalen Widerstand per weitreichender Gesetze effektiver zu bekämpfen. In den Medien wird die Kronzeugenregelung breitgetreten. Viel einschneidender sind aber die Gesetze, an denen derzeit gebastelt wird: Mit ihnen können bisher legale Widerstandsformen kriminalisiert und für illegal erklärt werden (ein Beispiel dafür sind die bereits jetzt gefällten Gerichtsentscheide über Blockadeaktionen), andere, militante Widerstandsaktionen als "terroristische Verbrechen" geahndet werden. Die Gesetzesvorhaben stellen damit eine einschneidende qualitative Veränderung dar.

Viele, die in den Bewegungen aktiv sind - ob Anti-AKW, Ökologie, Frieden oder 3. Welt - können zu Terroristen gestempelt werden, die es zu bekämpfen gilt. Das solidarische Verhalten zwischen 'kritischen Bürgern', Initiativen und militanten Widerstand à la Startbahn West hat durch die Kämpfe am Baugelände der WAA Wackersdorf eine neue Dimension erhalten. Hier konnte der breite Widerstand, der sich über die unterschiedlichen Aktionsformen spannte, nicht in 'Gute' und 'Böse' gespalten werden. Diese Spaltung soll nun durch die Ausweitung des § 129a erreicht werden.

Wer nach Verabschiedung dieses Gesetzes beim Fällen eines Strommastes oder bei Anschlägen auf Munitionstransporte erwischt wird, steht nun juristisch auf einer Stufe mit den politischen Gefangenen aus der RAF und kann mit dem gleichen juristischen Instrumentarium bekämpft werden (U-Haft, Hochsicherheitstrakt, Kontaktsperre etc.).

... und im politischen Denken (§ 130a)

Die 1976 eingeführten und nach Protesten der bürgerlich-liberalen Öffentlichkeit wieder abgeschafften Gesinnungsparagraphen 88a ("Verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten") und 130a ("Anleitung zu Straftaten") sollen in einer Neufassung des Paragraphen 130a wieder eingeführt werden.

Sobald der Gedanke zum Wort wird oder gar schriftlichen Niederschlag findet, drohen demnächst hohe Strafen. Mit dem § 130a ist ein weiterer Schritt in Richtung auf die Gleichschaltung der Medien getan. Unterdrückung von Gegeninformation ist nicht neu, aber so wackelige juristische Konstruktionen wie ein "Beihilfe zur Werbung für eine terroristische Vereinigung" werden demnächst nicht mehr notwendig sein: Der § 130a bedeutet die maßgeschneiderte juristische Absicherung von Methoden, die schon längst praktiziert werden und bereiten den Boden für noch weiter reichende Unterdrückungsmaßnahmen. Seine vollständige Ausschöpfung bedeutet - im Zusammenhang mit der schleichenden Ausweitung des Gewaltbegriffs (passive Bewaffnung, Auslegung von "Nötigung" als Gewaltanwendung ... ) - die Kriminalisierung jedes Papiers, das sich mit politischem Widerstand beschäftigt: Wo dieser Widerstand nicht zerschlagen werden kann, soll er wenigstens - wenn überhaupt - nur in der offiziellen Darstellung an die Öffentlichkeit gelangen.

Jede Solidarität mit militantem Widerstand, jede Sympathie mit radikalen Ideen wird unter Strafe gestellt. Das betrifft z.B. Leute, die Flugblätter, Broschüren oder Zeitungen machen oder herausgeben, diejenigen, die sie drucken, setzen, vervielfältigen, jene, die sie verkaufen, verteilen. Und damit ist der Kreis geschlossen, der - alle von RAF bis Flugblattverteiler - zu Terroristen stempelt und der Verfolgung durch den Staatsschutz freigibt.

Militanter Widerstand, Materialblockaden, Sabotageakte werden noch riskanter, als sie es ohnehin schon sind. Wer weiterhin Widerstand leisten will, muss damit rechnen, mit allen Mitteln bekämpft zu werden. Die Bedrohung durch Prozesse, Knast, Denunziation soll zum immer gegenwärtigen Bestandteil unseres politischen Handelns werden; Angst im Kampf gegen Staat und System soll alltäglich werden.

Die Häuserräumungen in Hamburg, die Durchsuchungen in Düsseldorf und Duisburg, die Polizeiaktion in München haben gezeigt, wie schnell Menschen zum Terroristenumfeld erklärt und als Freiwild bekämpft werden.

§ 129a: Bildung terroristischer Vereinigungen

(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind
1. Mord, Totschlag oder Völkermord (§§ 211, 212, 220a),
2. Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des 239b oder
3. gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 308, 310b Abs. 1, des § 311 Abs. 1, des § 311a Abs. 1, der §§ 312, 315 Abs. 1, 316b Abs. 1, 316c Abs. 1 oder des § 319 zu begehen oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 10 Jahren bestraft.
(2) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren zu erkennen.
(3) Wer eine in Absatz 1 bezeichnete Vereinigung unterstützt oder für sie wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

§ 130a: Anleitung zu Straftaten

(1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer
1. eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder
2. öffentlich oder in einer Versammlung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat eine Anleitung gibt, um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen.

Wer wir sind und was wir wollen

Die linken Buchläden und Infozentren haben u.a. die Funktion, politische Informationen zu verbreiten. Sie nehmen damit an den Diskussionen innerhalb der Linken teil. Dieser Funktion stehen die Interessen des Staatsschutzes gegenüber, diejenigen Informationen zu unterbinden, die den Staatsapparat (oder die Interessengruppen, die er vertritt) bedrohen.

Wir werden daher gezwungen, unsere Funktion unter der Bedrohung wahrzunehmen, kriminalisiert zu werden und entsprechende Konsequenzen tragen zu müssen (Strafverfolgung). Oder aber wir fangen an, die Informationen zu zensieren, die möglicherweise den Staatsschutz in Aktion treten lassen.

Wir sind der Auffassung, dass die Öffentlichkeit alle Informationen erhalten muss, die für die Diskussionen in den sozialen Bewegungen notwendig sind. Dazu gehört, dass jede Form von Widerstand öffentlich dokumentiert werden kann. Wir wollen nicht mit der Schere im Kopf darüber entscheiden, welche Informationen in welcher Form über unsere Läden verbreitet werden.

Selbstverständlich entwickeln wir zu bestimmten politischen Aussagen unsere eigenen Meinungen. Nur, die lassen wir uns nicht durch Staatsschutzmaßnahmen aufzwingen: Weder müssen wir automatisch mit politischen Aussagen sympathisieren, nur weil die Zeitungen, in denen diese Aussagen stehen, verbreiten: noch lassen wir uns dazu nötigen, uns von diesen Meinungen zu distanzieren, wenn sie vom Staatsschutz verfolgt werden.

Die Beschlagnahmeaktion gegen die "Radikal" ist kein Einzelfall. In diesem Jahr gab es u.a. Beschlagnahmungen des Münchener "Freiraum", "s'Blättle", vor kurzem die Beschlagnahme der "RadiAktiv". Diese Staatsschutzaktionen sind ein Zeichen dafür, dass die Auseinandersetzung über Militanz und Widerstand in den sozialen Bewegungen verhindert werden soll.

Aber wir lassen uns nicht vorschreiben, welche Bücher und Zeitungen in diesem Land geschrieben, gedruckt, verteilt und diskutiert werden dürfen und welche nicht!

Januar 1987: der aktuelle Stand der Dinge ...

Die Buchhandlung "Roter Stern" in Marburg wurde im Dezember ein zweites Mal von der Polizei durchsucht, ebenso die Privatwohnungen aller zehn Mitarbeiter; gleiches passierte in den Hamburger Buchläden "Gegenwind" und "Nautilus" und im Info-Zentrum "Schwarzmarkt". Bei dieser Aktion wurde zwar keine "Radikal" gefunden, wohl aber andere Schriften beschlagnahmt; vom "Schwarzmarkt" besitzt die politische Polizei in Hamburg jetzt eine Grundrißskizze des Ladens - sie ließ sie sich von ihren durchsuchenden Staatsdienern anfertigen. Bei einer zweiten Durchsuchung des "Prolibri"-Buchladens in Mönchengladbach konnte eine erkennungsdienstliche Behandlung des Geschäftsführers nur mit Mühe vom Anwalt verhindert werden.

Die laufenden Ermittlungsverfahren wurden in der Regel von der Bundesanwaltschaft an die lokal zuständigen Oberlandesgerichte abgegeben; die Mitarbeiterinnen in dem Gießener Buchladen "Kleine Freiheit" erhielten inzwischen eine Vorladung ihres Ermittlungsrichters zur Vernehmung.

Annabee Frauenbuchladen, Hannover; Aragon Buchladen, Moers; Buchhandlung Nautilus, Hamburg: Autonomie Buchladen, Osnabrück; Buchladen in der Osterstraße, Hamburg; Buchladen Männerschwarm, Hamburg; Buchhandlung in der Schanzenstraße, Hamburg; Buchladen Roter Stern, Marburg; Buchladen Kleine Freihiet, Gießen; Cardabela Buchladen, Mainz; Frauenbuchladen, Hamburg; Guten Morgen Buchladen, Braunschweig; Politische Buchhandlung Jos Fritz, Freiburg; Gegenwind Politische Buchhandlung, Hamburg; Schwarzmarkt Buchladen und Infozentrum, Hamburg: Büchereck, Worms; Frauenbuchladen, Bielefeld; Aradia Frauenbuchladen, Kassel; Buchladen Zapata, Kiel; Land in Sicht Buchladen, Frankfurt; Buchladen 46, Bonn; Tucholsky Buchladen, Offenbach; Der 'Andere' Buchladen, Karlsruhe; Buchladen Distel, Detmold; Attatroll Buchladen, Recklinghausen; Buchladen im Ostertor, Bremen; Buchhandlung in der Werkstatt 3, Hamburg.

V.i.S.d.P.: Peter Offenborn, c/o Buchladen in der Osterstraße, Hamburg

2. Auflage: 06.01.1987


- Wird fortgesetzt -



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