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Neue Westfälische ,
03.06.1993 :
Mindestens 5.000 Teilnehmer / Aufgeheiztes Klima / Protest gegen den Solinger Anschlag
Bielefeld (Gün). Mindestens 5.000 Menschen (Polizeischätzung) haben in der Bielefelder Innenstadt gegen den Brandanschlag von Solingen demonstriert, bei dem fünf Türkinnen ums Leben kamen. Am Rande der Abschlusskundgebung gegen 19 Uhr auf dem Jahnplatz kam es zu einer Schlägerei unter Türken. Dabei wurde eine türkische Frau verletzt und kam ins Krankenhaus. Die Polizei griff ein, nahm einen Türken fest, ließ ihn aber am Abend wieder frei. Das Klima bei der Demonstration bezeichnete die Polizei als aufgeheizt. Gleichwohl zog Klaus Rees von den Grünen ein positives Resümee.
Um 20.45 Uhr erklärten die Veranstalter die Demonstration für beendet. Um 20.55 Uhr forderte die Polizei die Menschen zum Gehen auf. Ab 21 Uhr rollte der Verkehr am Jahnplatz wieder. Aufgerufen zu der Mahn- und Protestaktion hatten unter anderem der Flüchtlingsrat, das Internationale Begegnungszentrum, die Aktion Symbolisches Asyl und die Grünen.
Bereits vor Beginn der Demonstration gegen 15.50 Uhr besetzten 15 vermummte Türken am Jahnplatz die Geschäftsstelle eines Bielefelder Verlagshauses. Zu diesem Zeitpunkt waren dort neun Angestellte und drei Kunden. Die Besetzer verriegelten von innen die Türen und klebten drinnen Plakate an das Fenster.
SEK von der Ritterstraße
Ein Spezialkommando (SEK) der Polizei drang von der Ritterstraße in die Geschäftsstelle ein und nahm die Besetzer fest. Dabei wurde ein Türke am Kopf verletzt. Gegen 16.45 Uhr war die Aktion beendet. Nach Angaben eines Polizeisprechers wurden die meisten am Abend wieder auf freien Fuß gesetzt, der Rädelsführer zuvor erkennungsdienstlich behandelt. Eine Gruppe von 60 Menschen, so der Polizeisprecher, machte sich auf den Weg nach Brackwede und blockierte dort bis gegen 20 Uhr die Hauptstraße.
Rechtsstaat in die Knie
In seiner Rede bei der Abschlusskundgebung auf dem Jahnplatz sagte Industrie- und Sozialpfarrer Eberhard Hahn, der soziale Rechtsstaat sei vor der Ellenbogengesellschaft in die Knie gegangen. Es könne zwar nicht darum gehen, den "Schwarzen Peter" nach Bonn weiterzugeben, aber alle in der Demokratie Verantwortliche müssten begreifen, dass sie es zugelassen hätten, dass das soziale Klima im Land kälter geworden sei und eisig zu drohen werde.
Angriffe gegen die Parteien in Bonn richtete Britta Jünemann vom Bielefelder Flüchtlingsrat. Die Asyldebatte des Bundestages und die Entscheidung zur faktischen Abschaffung des Asylgrundrechts seien fatale Zeichen gewesen, die der Öffentlichkeit deutlich machten, dass Flüchtlinge unerwünscht seien. Jünemann erklärte: "Deutschland schirmt seinen Wohlstand ab gegen Menschen, auf deren Kosten er produziert wurde."
Harman Ali von der Föderation der Demokratischen Arbeiterparteien aus der Türkei in der Bundesrepublik sagte, er bezweifle die Aufrichtigkeit der Beileidsbezeugungen von Politikern, da sie für die Änderung des Asylrechts gestimmt hätten.
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