www.hiergeblieben.de

Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NRW e.V. , 17.12.2000 :

Willy Langenberg / Gedenkveranstaltung am 17. Dezember 2000

Der vom NS- Regime verfolgte und im Zuge der Fahndungen im März 1944 gestorbene Willy Langenberg (17. Dezember 1910 - 31. März 1944) wäre am Sonntag, den 17. Dezember 2000, 90 Jahre alt geworden. Um ein Zeichen des Erinnerns zu setzen, hatten sich 25 Personen auf dem Braker Friedhof zu einer kleinen Gedenkstunde eingefunden auf der u.a. auch ein Kranz zu Ehren Willy Langenbergs niedergelegt wurde.

Die Gedenkanprache hielt Dr. Eike Stiller, Autor der Biografie von Willy Langenberg:

"Meine sehr verehrten Damen und Herren - liebe Freundinnen und Freunde!

Wir haben uns heute auf dem Braker Friedhof eingefunden, um ein gemeinsames Zeichen des Erinnerns an den vor 90 Jahren geboren Willy Langenberg zu setzen. Ein Geburtstag, insbesondere in diesem Alter, wird eigentlich im Kreise der Familie, der Kinder, Enkel vielleicht sogar der Urenkel begangen. Bei Verstorbenen finden sich Verwandte und Freunde am Grab ein, um sich an gemeinsame Zeiten zu erinnern und den Toten zu ehren.

Beides ist im Fall von Willy Langenberg nicht möglich. Zum einen leben keine direkten Verwandten mehr von Willy Langenberg, die heute unter uns sein könnten. Die letzten Spuren des Bruders Karl Langenberg verwischen sich in Köln in den 1980er Jahren. Um die Möglichkeiten, eine eigene Familie aufzubauen, eigene Kinder und Enkel zu haben, langjährige Freundschaften bis ins Alter zu bewahren, sind Willy Langenberg und seiner langjährigen Wegbegleiterin und Partnerin Anneliese Ilert durch den Nationalsozialismus beraubt worden. Wie wir alle wissen, starben beide im Ende März 1944 im Zuge der NS- Fahndungen. Zum anderen sind wir jedoch auch heute in Brake kaum in der Lage einen authentischen Ort des Erinnerns oder auch des Trauerns aufzusuchen, da es kein Grab von Willy Langenberg mehr gibt - wir können nur vermuten, wo er seine letzte Ruhe gefunden hat. Auch wenn keine direkten verwandtschaftlichen oder persönlichen Bande mehr von dem Verstorbenen bis in die heutige Zeit bestehen, so glaube ich dennoch, dass alle heute hier Anwesenden ein tieferes Bedürfnis verspüren, dem Menschen Willy Langenberg an diesem Tag durch ihre Anwesenheit, durch diesen Kranz, aber auch durch eigene Gedanken ihre Achtung zu erweisen. Für mich persönlich stehen dabei folgende Gedanken im Vordergrund.

1. Willy Langenberg ist für mich ein Beispiel dafür, dass im NS-Staat nicht jeder zwangsläufig zum Mitläufer oder sogar Mittäter werden musste - es gab nicht nur "willige Vollstrecker" des Systems! Die Tatsache, dass Willy Langenberg nicht nur gewaltfreien Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hat, sondern auch in bewaffneter Form, hat bis heute die öffentliche Beurteilung seiner Taten stark beeinflusst und manchen sachlichen Blick getrübt.

2. Willy Langenberg ist einer der wenigen Lemgoer Bürger, die offiziell als Verfolgte des Nationalsozialismus von staatlicher Seite anerkannt wurden. Dieser Umstand alleine sollte eigentlich ausreichen, die Stadt Lemgo dazu zu motivieren, Langenberg an einem Tage wie heute öffentlich zu gedenken. Warum dies nicht geschieht, hat nicht nur etwas mit den Ergebnissen der letzten Kommunalwahlen zu tun, vielmehr scheint mir dies ein Beleg dafür zu sein, dass noch viel politische Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, um einen nachhaltigen Wandel in der Traditionspflege der Stadt zu initiieren. Ziel sollte dabei sein, das Gedenken an Willy Langenberg nicht weiter dem Zufall oder der Beliebigkeit zu überlassen. Zu lange wurden die antifaschistischen Traditionen, die es auch in Lemgo gab und gibt, von Teilen der Öffentlichkeit verdrängt oder bewusst aus dem offiziellen Erinnern ausgeblendet.

3. Die Geschehnisse um die Person Willy Langenbergs in der NS-Zeit stellen für mich auch beispielhafte Zeugnisse für die vielen unterschiedlichen Formen des Verweigerns gegenüber dem Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus dar. Auch in einer Diktatur zeigten viele Menschen in Lemgo Mut, Mitmenschlichkeit und Solidarität. Sie taten dies ohne materiellen Gewinn aus diesen Taten zu ziehen, unter Gefährdung der eigene Person, zum Teil sogar der eigenen Familie. In einer Zeit, in der das offene Eintreten für den anderen, das Zeigen von Zivilcourage gegen rechtsextreme Gewalt und dumpfen Ausländerhaß wieder wichtige Eigenschaften eines jeden von uns werden müssen, kann gerade das Erinnern an diese Taten Mut machen und Orientierung geben.

4. Ich stehe heute auch hier, um mich an die vielen Opfer zu erinnern, die im Zuge der Fahndungen nach Willy Langenberg zu beklagen waren. Opfer hat es viele gegeben, unter den Verfolgten aber auch unter den Verfolgern. Ich denke dabei an Wilhelm Sewöster, der seinem Leben selbst nach seiner Verhaftung ein Ende setzte und an die Wegbegleiter Langenbergs Anneliese Ilert und Christian Bausch, die ebenfalls seit 1944 auf diesem Friedhof begraben liegen. Ich denke auch an die vielen Verhafteten Helfer und Helferinnen Langenbergs, die der sicheren Todesstrafe vor dem Volksgerichtshof ins Auge blickten und nur durch das Kriegsende überleben konnten. Ich schließe aber auch bewusst die Menschen in mein Erinnern mit ein, die ganz sicher nicht zu den Freunden Langenbergs gezählt werden können und ihr Leben ließen, weil sie Langenberg festsetzen oder verhaften wollten. Dies sind der Gendarmeriemeister Heinrich Hellweg aus Bösingfeld, der Sprengmeister Willi Meier aus Barntrup und der Standortarrestvorsteher Heinrich von Hören aus Hannover. Ich bin mir sicher, all diese Menschen wären sich ohne den Nationalsozialismus nicht in dieser verhängnisvollen Weise begegnet und ihr Schicksal wäre nicht auf diese grausame Art und Weise miteinander verknüpft worden.

5. Letztlich möchte ich mit meinem heutigen Erscheinen auch zum Ausdruck bringen, dass mich das menschliche Schicksal Langenbergs auch persönlich bewegt. Ich habe den Eindruck, dass vielleicht ein tieferer Sinn mancher jener grausamen Ereignisse der Märztage im Jahre 1944 darin verborgen liegen mag, dass wir diese Ereignisse heute zum Anlass nehmen, uns kritisch mit den verschiedenen Formen der Intoleranz und Gleichgültigkeit in unserer Gesellschaft auseinander zu setzen und unsere eigene Stimme immer dann zu erheben, wenn Unrecht in unserer Nähe geschieht."


tenhomp@stadt-muenster.de

zurück