Arbeitsgemeinschaft Theorie (T-AG).
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05.12.2003 :
Rezension / Uta Halle: "Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!" Prähistorische Archäologie im Dritten Reich
Uta Halle: "Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!" Prähistorische Archäologie im Dritten Reich.
Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte, 2002, 573 S, 27 Tafeln, hbk, ISNB 3–89534–446 X, EUR 49.00.
Warum ist eine Archäologin bereit, das heiße Eisen "SS-Propagandagrabungen an den Externsteinen" anzufassen, an die sich jahrzehntelang niemand gewagt hat, warum beschäftigt sie sich mit der Forschungsgeschichte einer uns Heutigen kaum verständlichen Zeit?
Ist Anfang der 1980er Jahre das Interesse über Theorie oder gar die jüngere Geschichte des eigenen Faches zu reden in der deutschsprachigen prähistorischen Archäologie noch äußerst gering, wandelt sich die Stimmung in den 1990ern deutlich. Anfang der 1980er stieg Uta Halle hinab ins Magazin des Lippischen Landesmuseums Detmold, um nach Vergleichsmaterial für mittelalterliche Keramik zu suchen. Sie fand eine Kiste mit Material von den Externsteinen: Funde der "SS-Propagandagrabung". Zwanzig Jahre später erzählte Halle bei der Präsentation ihres hier rezensierten Buches, niemand wollte sich in jenen Jahren mit SS-Grabungen die Finger verbrennen. Deshalb war auch die Keramik der gefundenen Kiste nicht aufgearbeitet worden und für sie nicht zu verwenden. Erst Anfang der 1990er, als Halle erneut in Detmold nach Material suchte, wurde die Idee geboren, "das Thema "Archäologie im Dritten Reich" mit seinen verschiedenen Facetten politischer und ideologischer Verknüpfungen am Beispiel einer konkreten Grabung, nämlich die der Externsteine, darzustellen" (S. 11). Zu dieser Zeit begann ein Umschwung im Denken in der Archäologie in Deutschland. Die Theorie-AG und das Netzwerk archäologisch arbeitender Frauen nahmen ihre Arbeit auf, und die Debatte hat seitdem nicht mehr pausiert.
Was aber ist Uta Halles Motivation für ihre Arbeit? Warum Forschungsgeschichte des eigenen Faches? Sie erklärt dies in der Einleitung: sie sieht Archäologie als Teil der Geschichtswissenschaften und beide als "zu den ideologisch bedrohten und manipulierbaren Wissenschaftsgebieten – vor allem in der Ära des Nationalsozialismus" gehörig (S. 18). Deshalb seien "Verknüpfungen" zwischen Archäologie und Zeitgeschichte notwendig, um "das nationalsozialistische Spannungsfeld für die Vor- und Frühgeschichtsforschung zu beleuchten und die Manipulationen aufzuzeigen", denen sie ausgesetzt war (ebd.). Es geht ihr also darum zu zeigen, wie unsere Wissenschaft von den politischen und institutionellen Zeitumständen und dem Zeitgeist beeinflusst wurde.
Es begann eine langwierige Archivarbeit in Grabungsunterlagen, Nachlässen von Laienforschern etc., wie sie in jenen Jahren noch kaum durchgeführt worden war (zu seitdem erschienen Arbeiten vgl. Krämer 2001; Grünert 2002). Im Jahr 2002 wurde Uta Halle dann mit ihrer Studie zu den Externsteinen an der Humboldt Universität zu Berlin bei Prof. J. Callmer habilitiert.
Viele der gegenwärtigen Ansätze, Fachgeschichte zu schreiben, gehen von der Biographie aus, von einem oder mehreren Mitgliedern der scientific community, und versuchen vom Individuum aus Ideengeschichte zu schreiben (z. B. die Beiträge in Leube 2002; Steuer 2001). Uta Halles Arbeit ist dagegen weder von Konzepten und Begriffen ausgehende Ideengeschichte noch biographische Personengeschichte. Sie stellt statt dessen ein Forschungsprojekt in den Mittelpunkt. Ihr nun publiziertes Buch ist eine willkommene Untersuchung zur Archäologie im Dritten Reich, die nicht nur die politischen Hintergründe diskutiert, sondern exemplarisch anhand eines begrenzten Forschungskomplexes, den Externsteinen, die Praxis archäologischer Arbeit jener Zeit aufarbeitet. Dabei macht sie die enge Verknüpfung von nationalsozialistischem Denken und alltäglicher archäologischer Arbeit deutlich. Halle setzt z. B. konsequent die Sprache des Dritten Reiches – die lingua tertii imperii (LTI), wie V. Klemperer sie nannte – kursiv, wo immer sie sie im Text (indirekt) zitiert.
Die Externsteine liegen in einer Landschaft, die mit dem Teutoburger Wald und dem Hermannsdenkmal bei Detmold bereits den Völkischen als Wiege Germaniens, als exemplarischer (Erinnerungs-)Ort "deutscher" Urgeschichte galt. So erklärt sich die Aufmerksamkeit, die die verschiedenen Gruppierungen nationalsozialistischer Archäologie diesem Raum und besonders den Externsteinen entgegenbrachten. Die Externsteine wurden zur Schnittstelle des Interesses von Himmlers "Ahnenerbe", der SS-Organisation "Amt Rosenberg", völkischer Laienforscher und lokaler Archäologen.
Schwerpunkt des vorliegenden Buches sind also nicht Biographien und Einzelschicksale oder die Geschichte von Institutionen, vielmehr stehen die Interessen und Konflikte verschiedener Gruppen, aber auch deren Auswirkungen auf Grabungsziele und -ergebnisse im Vordergrund. Wie die auch andernorts vorherrschenden Auseinandersetzungen zwischen "Ahnenerbe" und "Amt Rosenberg" geführt wurden, kann Halle so am Beispiel Externsteine verdeutlichen. Zudem waren viele überregional tätige Forscher in der Diskussion um das "Heiligtum" Externsteine involviert, die, wie hier deutlich wird, weder unpolitisch waren noch gar im "inneren Widerstand".
Halle gelingt es, die konkreten archäologischen Forschungen und Grabungsergebnisse konstant mit den politischen und strukturellen Hintergründen zu verknüpfen. Nachdem sie einen Überblick über "Forschungsstand, Fragestellungen und methodisches Vorgehen" (Kap. 2, S. 21–53) gegeben hat, fasst sie "Äußerungen von Hitler, Himmler und Rosenberg zur Vor- und Frühgeschichte" zusammen (Kap. 3, S. 55–67), stellt die beteiligten Akteure der Externstein-Forschung vor ("Unheilvolle Phantasten kontra beamtete Wissenschaft – die Akteure", Kap. 4, S. 69–91), darunter auch Kurt Tackenberg und Hans Reinerth, geht zeitlich zurück zum Völkischen Denken und der Geschichte der Archäologie ("Die Entwicklung der prähistorischen Archäologie im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert", Kap. 5, S. 93–138), bevor sie die Anfänge der Archäologie im Dritten Reich, besonders in Ostwestfalen, beschreibt ("Es finden sich jederzeit … namhafte Parteigänger (Januar 1933 bis April 1934)", Kap. 6, S. 139–189). Erst dann widmet sie sich ausführlich den eigentlichen Ausgrabungen (Kap. 7, S. 191–343), der sich wandelnden politischen Landschaft im Lauf der 1930er (Kap. 8, S. 345–380), der Konflikte um und mit Reinerth (Kap. 9–10, S. 381–466) und der Forschung der Kriegsjahre (Kap. 11–12, S. 467–503). Abgeschlossen wird das Buch von einer "Zusammenfassung" (Kap. 13, S. 505–512), "Nachwirkungen und Perspektiven" (Kap. 14, S. 513–519) und der Angabe der verwendeten Quellen, Personenregister, Katalog und Tafeln.
Damit erschließt sich den Lesern eine heute kaum noch direkt zugängliche Sprache und Denkweise, die die prähistorische Archäologie weit über die kurze Zeit des Dritten Reiches hinaus prägte. Doch auch heute noch sind die Externsteine Gegenstand kontroverser Diskussion. Noch immer werden sie mit esoterischen Welterklärungsmodellen verknüpft (und auch viele völkische Phantasien waren nichts anderes als esoterisch). Während Archäologen noch immer die Externsteine als heißes Eisen betrachten, haben Laienforscher offenbar keine Angst vor verbrannten Fingern – und tradieren "extreme Auffassungen" (S. 518). Heute feiern, wie Halle bei der Buchvorstellung Anfang des Jahres 2003 erzählte, verschiedene Neu-Heidnische Gruppen die Sommersonnenwende am "Heiligtum" (s. a. S. 518 f.). Stellt sich also erneut und noch immer die Frage: "who owns the past?".
Zum Schluss: Was bringt die Auseinandersetzung mit Fachgeschichte? Trotz der Detailfülle und oft kleinteiligen Beschreibung lokaler Ereignisse und Auseinandersetzungen liest sich Uta Halles Buch meist spannend wie ein Krimi. Vor allem aber: Es packt Fleisch auf die Knochen des nüchternen, nackten Skeletts abstrakter fachgeschichtlicher Analyse und gibt ihm die erfassbare Gestalt eines konkreten Beispiels. Es zeigt die Vielschichtigkeit der Geschichte unseres Faches auch und gerade in der Zeit des Nationalsozialismus, zeigt die inneren Spannungen jener Zeit und macht verständlich, welche Folgen diese Geschichte für die deutschsprachige Archäologie im 20. Jahrhundert hatte.
Alexander Gramsch, Leipzig
Literatur:
Grünert 2002:
H. Grünert, Gustaf Kossinna (1858–1931). Vom Germanisten zum Prähistoriker. Ein Wissenschaftler im Kaiserreich und in der Weimarer Republik (Rahden 2002).
Krämer 2001:
W. Krämer, Gerhard Bersu – ein deutscher Prähistoriker, 1889–1964. Ber. RGK 82, 2001, 5–101.
Steuer 2001:
H. Steuer (Hrsg.), Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähis-toriker zwischen 1900 und 1995. Ergänzungsbände Reallexikon Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 29 (Berlin 2001).
sabine_reinhold@hotmail.com
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