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Mindener Tageblatt , 28.03.2001 :

Heutiges Wissen Wehrmachtsangehörigen nicht generell unterstellen / Betr.: Mindener Wehrmachtseinheiten an der Ostfront

Spätestens seit der Hamburger Wehrmachtsausstellung ist historisch unbestritten, dass die Wehrmacht insbesondere im weltanschaulichen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion im Januar 1942 den Völkermord an den Juden durch die Besatzungspolitik ermöglicht hat und auch an (Kriegs-)Verbrechen unmittelbar beteiligt war. Insofern ist die Frage nach der Beteiligung Mindener Einheiten legitim und lokalgeschichtlich naheliegend.

Allerdings muss wie bei allem wissenschaftsorientierten Vorgehen eine Hypothese durch Fakten beziehungsweise Quellen empirisch hinreichend belegt und dadurch verifiziert werden. Das ist offenbar wie bei der insofern umstrittenen und deswegen zurückgezogenen Wehrmachtsausstellung auch in der aktuellen Auseinandersetzung (noch) nicht hinreichend gelungen. Zwar ist unstreitig und in jedem Standardwerk zur Geschichte des NS-Staates nachzulesen, dass die im Reichsgebiet 1941 erlassene Verordnung nur Kennzeichnung der Juden auch auf die eroberten und besetzten Gebiete übertragen wurde, die Erfassung und menschenrechtswidrige Diskriminierung der Zivilbevölkerung durch eine Besatzungsmacht ist aber völkerrechtlich noch kein Kriegsverbrechen. Die Sonderbehandlung der jüdischen Bevölkerungsteile wurde von der Wehrmachtsführung militärisch damit begründet, dass das "Judentum als Mittelsmann zwischen dem Feind im Rücken und den noch kämpfenden Resten der Roten Armee und der Roten Führung" verdächtigt war. Offenbar hatte hier die NS- Propaganda mit der Gleichsetzung von Kommunismus und Judentum ihre Wirkung getan.

Zur "Selektion" im Sinne einer vorbereitenden Entscheidung über Leben oder Tod beziehungsweise zur "Beihilfe zum Rassenmord" wird die Kennzeichnung der jüdischen Bevölkerung im Reichs- und Besatzungsgebiet erst aus der Kenntnis des geplanten und systematischen Völkermordes durch den SS-Staat; dieses heutige Wissen kann den damaligen Wehrmachtsangehörigen und Zeitgenossen aber nicht generell unterstellt werden.

Die "Aktionen" der Sondereinsatzkommandos (SEK) und ihre Einsatzgebiete sind akribisch in den "Ereignismeldungen UdSSR" des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD dokumentiert und teilweise auch publiziert. Danach machte das SEK 7a am 21. Oktober 1941 Rshew zu seinem Hauptstandort und "setzte dort einen Ordnungsdienst und einen Judenrat" ein. Infolge der militärischen Rückschläge vor Moskau wurde Rshew im Januar 1942 vorübergehend aufgegeben, war dann aber wieder von Juni bis August 1942 Standort des Sondereinsatzkommandos (nach dem Bericht des MT war der Kommandeur des "Mindener" Pionierbataillons 6 im August 1942 Stadtkommandant von Rshew geworden). Auch wenn aus den oben angegebenen Quellen oder den Erinnerungen von Wehrmachtsangehörigen eine konkrete Beteiligung von (Mindener) Wehrmachtseinheiten an "Sonderbehandlungen" von Juden oder kommunistischen Funktionären nicht nachgewiesen werden kann, gilt wohl für Einheiten aus Minden wie für die Wehrmacht im Allgemeinen die Feststellung des Nestors der internationalen Holocaust-Forschung, Raul Hilberg (Die Wehrmacht im Rassenkrieg, 1996): "Wie auch immer in einzelnen Fällen die jeweiligen Befehlshaber handelten - letztlich beteiligte sich die Wehrmacht am Prozess der Judenvernichtung so wie jeder andere Machtapparat im 'Dritten Reich' ... "

Dr. Gerd Rohlfing
Bergkirchener Straße 318
Bad Oeynhausen


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