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Mindener Tageblatt , 25.01.2003 :

"Namenspatron stand den Nazis viel zu nah" / Soziales Wirken aber auch Hitler-Begeisterung

Minden (sk). Im Rahmen seiner zeitgeschichtlichen Untersuchungen über den Kirchenkampf in Minden stieß der Publizist Kristan Kossack auf einen weiteren, seiner Meinung nach durch die Nähe zur NS-Ideologie belasteten Namen: Viktor Pleß - Namensgeber einer Kindertagesstätte des Diakonischen Werkes.

Viktor Pleß, 1894 geboren, war von 1924 bis zu seinem Tod im Jahre 1935 Pfarrer an der Martinikirche. Neben seiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer engagierte er sich im städtischen Ausschuss der kommunalen Jugendfürsorge. Er war zudem Vorsitzender des Evangelischen Jugend- und Wohlfahrtsamtes, Seelsorger am städtischen Krankenhaus sowie Mitarbeiter im Kinderhort. Und er war auch verantwortlicher Schriftleiter beim "Mindener Sonntagsblatt", das die evangelischen Pastoren der Synode Minden herausgegeben hatten.

Kossack: Das Engagement von Pleß sei unstrittig. Allerdings dürfe nicht vergessen werden, dass der Martinipfarrer schon früh eine besondere politische Nähe zur braunen Bewegung in Wort und Schrift bewiesen habe. "In Minden war im Sommer 1931 bekannt geworden, dass Pleß Trauungen unter der Hakenkreuzfahne vorgenommen hatte." Von anderen Pfarrern der Stadt sei eine derartige Praxis zu diesem Zeitpunkt nicht überliefert.

Auch anlässlich einer Fahnenweihe am Porta-Denkmal im Sommer 1934 sei Pleß einschlägig in Erscheinung getreten. Vor 5.000 Kyffhäusern habe er das Erscheinen Hitlers auf der politischen Bühne in Deutschland als eine Art Gottesgeschenk gerühmt und von der "tiefen Sehnsucht im Volk" gesprochen nach einem "heldischen Mann, der die Nacht verbannt und Not besiegt".

Problematisch sei die Person PleßÕ nicht nur wegen seiner Verbeugung vor dem Dritten Reich, sondern auch wegen seiner Haltung gegenüber der so genannten Judenfrage. Unter anderem zeige dies eine Predigt aus dem Jahr 1934, in der er den Vorwurf der Kirchen wiederhole, dass "die Juden" "Christusmörder" seien. Sie, so Pleß wörtlich, "schlugen ihn, den Gottgesandten, ans Kreuz. Und darum ist Israel verflucht bis auf diesen Tag".

"Vorbildfunktion nicht erkennbar"

Kossack: "Die Auffassung, dass die Juden von Gott verflucht und daran selber schuld seien, teilte Pleß mit fast allen führenden Geistlichen der Bekennenden Kirche." Neben Dietrich Bonhoeffer habe vor allem der langjährige Kirchentagspräsident Pechmann diese Haltung verurteilt und sei 1934 aus der Kirche ausgetreten.

Kossack hält es für ungeschickt, dass das Diakonische Werk Minden 1987 die Einrichtung an der Kuhlenstraße mit Pleß Namen versehen hatte. "Eine Vorbildfunktion ist nach dem vorliegenden Material jedenfalls nicht zu sehen." Aber: Im Gegensatz zu Adolf Stoecker, der bei der politischen und innerkirchlichen Verankerung des Antisemitismus im nationalen Maßstab gewirkt habe, sei Pleß nur eine lokale Folgeerscheinung. "Hier eine weitere Umbenennung zu fordern, führt zu weit."


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