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Mindener Tageblatt , 30.01.2008 :

Auch durch Minden führt 1933 ein Fackelzug / Übertragung der Macht auf Adolf Hitler löst vor 75 Jahren in der Mindener Presse nicht überall Besorgnis aus

Minden (jhr). "Hitler im Vordergrund der Regierungs-Verhandlung" lautete die Schlagzeile des Mindener Tageblatts am 30. Januar 1933. Am selben Tag ernannte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler.

Von Jan Henning Rogge

Der 21. Machtwechsel seit Bestehen der Weimarer Republik sorgte bei den Mindener Bürgern offenbar kaum für Besorgnis. Allenfalls erhofften sie sich eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation, die seit der Weltwirtschaftskrise 1929 durch hohe Arbeitslosigkeit und Inflation geprägt war.

In Minden ging das Leben seinen gewohnten Gang: Schulen schlossen wegen einer Grippewelle, der Kreis-Ziegenzuchtverband tagte, das Städtische Gaswerk hatte eine Betriebsstörung, die dafür verantwortlich war, dass die "Mindener Zeitung" nur eingeschränkt erscheinen konnte.

Dies waren die lokalen Nachrichten, die Mindener Zeitungsleser am 30. Januar 1933 in den örtlichen Blättern lesen konnten.

Damals erschienen in Minden mehrere Zeitungen, neben dem bürgerlichen "Mindener Tageblatt" die deutlich rechte "Mindener Zeitung" (Nationales Tageblatt für Minden und die Nachbargebiete), die sozialdemokratische "Weser-Warte" (Ende Februar 1933 verboten) und das kirchliche "Sonntagsblatt". Aus unterschiedlichen Positionen berichteten sie über die lokalen und politischen Geschehnisse.

Am 31. Januar 1933 veranstalteten die Nationalsozialisten einen Fackelzug durch Minden. Das MT meldete, dass an der Demonstration etwa 500 Nationalsozialisten aus Minden und Umgebung teilgenommen haben.

Die "Mindener Zeitung" berichtete ausführlicher: Die Bevölkerung habe die Veranstaltung durchaus sympathisch aufgenommen, von einer "eindrucksvollen" Kundgebung ist die Rede. "Unter flotter Marschmusik bewegte sich der stattliche Zug" durch die Stadt.

Im selben Blatt wurde in einer spöttischen Notiz über die am selben Tag durchgeführte Demonstration der Kommunisten berichtet. Der Verfasser kritisierte die Zuschauer, die aus reiner Neugier den "wüsten Schreiern" Gesellschaft leisteten.

Keine Berichterstattung über politische Ziele

Auch die "Weser-Warte" berichtete über beide Demonstrationen, ausgiebiger über den Fackelzug der Nationalsozialisten, der auch an den Redaktionsräumen vorbeigeführt habe. 408 Teilnehmer habe man dort gezählt. Hauptsächlich beschwerte sich der Verfasser jedoch darüber, dass der Zug durch die Bäckerstraße geführt habe, für die ein Demonstrationsverbot bestand.

Aus heutiger Sicht vielleicht verwunderlich, fand keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus statt. Weder Hitlers politische Ziele, formuliert in dem 1925 erschienenen programmatischen Buch "Mein Kampf", noch das nur zweiseitige Parteiprogramm der NSDAP vom 24. Februar 1920 flossen in die Berichterstattung ein.

Die Ziele der Nationalsozialisten waren diesen Programmen zu entnehmen: Rassenwahn, Eroberungspolitik (Kolonien), Zensur der Presse.

Am 2. Februar titelte das MT "Auflösung des Reichstags / Neuwahl am 5. März". Es sollten die letzten demokratischen Wahlen bis Kriegsende werden. Der Reichstagsbrand am 27. Februar lieferte den Vorwand für Hitlers Kabinett, die Macht weiter an sich zu reißen. Die Notverordnung "Zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar wurde zu einem Instrument um unliebsame Kritiker und politische Gegner ohne Angabe von Gründen zu inhaftieren und die Pressefreiheit einzuschränken.

Absolute Mehrheit erst durch KPD-Verbot

Trotz dieser Maßnahmen erreichte die NSDAP bei den Wahlen vom 5. März nicht die absolute Mehrheit, wurde mit 43,9 Prozent der Stimmen jedoch stärkste Kraft. Mit der Aberkennung der Reichstagsmandate der KPD am 8. März verfügte sie jedoch über die Mehrheit im Reichstag.

Die Übergabe der Kanzlerschaft an Hitler am 30. Januar vor 75 Jahren war der Auftakt für eine Herrschaft, die wenige Jahre später in den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust führte.

Auch in Minden begann der Nazimob zu wüten: Die "Weser-Warte" meldete am 1. Februar 1933, dass in der Nacht die Schaufensterscheibe der Bauhütte, Ritterstraße 13, durch fünf Revolverschüsse von Nationalsozialisten zertrümmert worden sei.

Bildunterschrift: Das Rathaus, vermutlich 1933, mit den Insignien der neuen Machthaber.


mt@mt-online.de

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