www.hiergeblieben.de

Neue Osnabrücker Zeitung , 27.01.2001 :

Rechtsradikalität im Nordkreis ohne Gesicht

Bersenbrück (eb). Gibt es rechtsextreme Tendenzen auch im Osnabrücker Land? – Diese Frage, die sich speziell auf die Situation im Nordkreis beziehen sollte, stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen.

Johannes Bartelt (Kreisgeschäftsführer der Grünen) führte durch einen dreistündigen Informations- und Diskussionsabend. Daran nahmen die Leiterin des 4. Fachkommissariats im Landkreis, Gertrud Nabrotzky, der Leiter der Polizeiinspektion Osnabrück-Land, Hermann Niermann, der Leiter der Bersenbrücker Berufsbildenden Schulen, Siegfried Leicht, und Wolfgang Rathmann als Leiter des Bersenbrücker Polizeikommissariats teil. Wie sich rechtsextremes bzw. -radikales Gedankengut artikuliert, gab zunächst ein von Gertrud Nabrotzky verlesener Textauszug aus einer NPD-Schrift wider. Mit menschenverachtenden Parolen proklamiert die Anhängerschaft darin unverhohlen, dass sie Fremde als minderwertig ablehnt und nur "eigenes Blut" gelten lässt. Sie frönt allen Bestrebungen des Nationalismus und Rassismus, preist Führergefolgschaft und verfolgt das Ziel, den Staat mit seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu beseitigen.

"Eigenen Recherchen und Befragungen im Nordkreis zufolge", so Johannes Bartelt wörtlich, "ist hier gar nichts angezeigt, was nicht heißt, dass hier nichts sein muss". Den Hinweis "nichts angezeigt" bestätigte auch der nachfolgende Bericht Nabrotzkys. Als Beamtin für Staatsschutz gab sie einen Einblick in polizeiliche Unterlagen über Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund. Diese hatten sich durchweg im Osnabrücker Südkreis zugetragen. Mit Blick auf NPD-Aktivitäten warnte Nabrotzky jedoch generell: "Die bleiben nicht mehr in ihren Nischen, die suchen die Öffentlichkeit." Ob Hakenkreuzschmierereien, entsprechende Literatur oder Flugblätter, die rechte Jugendszene sei erschreckend angewachsen. Die Neonazis kontaktierten bundesweit.

Der "harte Kern" sei "anpolitisiert", der Rest eine mitmarschierende Masse, zumeist aus der Skin-Szene. In der Regel endeten die Auftritte auf Skin-Konzerten oder auf Feten in eigens angemieteten Gasthäusern mit gewalttätigen Prügeleien nach exzessivem Alkoholkonsum.

Was macht die Polizei? Diese Frage ergab sich an diesem Abend nicht nur ein Mal. Der Leiter der Polizeiinspektion Osnabrück-Land, Hermann Niermann, verwies auf intensive Öffentlichkeitsarbeit, auf verstärkte Kontakte zu den Gemeinden vor Ort sowie auf polizeiliche Beobachtungsaktionen. Er betonte, dass die Polizei besagter Szene vor allem vermitteln wolle, dass man um ihr Tun wisse. Rechtsradikalität habe im Bereich der Polizeidienststelle Bersenbrück bislang "kein Gesicht", berichtete Wolfgang Rathmann aus seinem Dienstbereich. Lediglich zwei Hinweise seien aus der Bevölkerung gekommen. Er appellierte an die Zuhörer, Vorkommnisse unbedingt zu melden. "Es gibt ein Tun und ein Gewährenlassen", mahnte er und klärte darüber auf, dass auch gezieltes Ansammeln rechtsradikaler Utensilien in privaten Räumen strafbar sei.

Um Tendenzen vorzubeugen, möglicherweise der rechtsradikalen Szene zuzuneigen, warnte Rathmann, dürfe man die 17-prozentige Arbeitslosenquote unter den bis zu 30-Jährigen in der Samtgemeinde Bersenbrück keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen. "Keine Vorkommnisse" meldete auch Siegfried Leicht von Bersenbrücks BBS. Er rief kurz einen Fall in Erinnerung, der zwei Jahre zurückliegt. Der Betreffende sei ein typisches Opfer gewesen, ohne jegliche Perspektive und aus einem Elternhaus mit autoritärem Gedankengut. Weniger anfällig für ein mögliches Abdriften, meinte Leicht, seien die jungen Menschen, die aus katholisch geprägtem Milieu stammten, die so etwas wie Haltepunkte hätten und über persönliche Probleme sprechen könnten. "Bildung ist die beste Prävention", warb der Schulleiter abschließend mit Blick auf geplante Schulprojekte für verstärkte Investitionen im Schulbereich und begrüßte auch Überlegungen des Landkreises, dem Problem der Unterrichtsabwesenheit zu begegnen. Gerade die Schule berge die letzte Möglichkeit, positiv auf junge Menschen einzuwirken.

Den Darstellungen "im Nordkreis nichts angezeigt" mochten nicht alle Zuhörer der Veranstaltung folgen. Neben einer Ankumer Geschäftsinhaberin, die von einem Vorfall erzählte, berichteten einige Jugendliche von einschlägigen Erfahrungen auf Wochenendveranstaltungen in Ankum und Eggermühlen. "Bunte Haare" reichten da schon, hieß es, um von Alkoholisierten verbal oder auch tätlich angegriffen zu werden. Wenn man äußerlich nicht dem Durchschnittsjugendlichen entspreche, ständen Wirte und auch die Polizei ihren Erfahrungen nach bei Vorfällen auf der anderen Seite. Das allerdings wollte Wolfgang Rathmann so nicht gelten lassen. Kritisch hinterfragt wurden in der Versammlung auch Verhalten und Gedankengut mancher Erwachsener. "Wo sind die eigentlichen Rechtsradikalen?", hieß es da zugespitzt. "Die eigentliche Brutstätte ist das deutsche Wohnzimmer", formulierte ein anderer und schloss hier das Erzählen von Juden- und Türkenwitzen mit ein.


f.wiebrock@neue-oz.de

zurück