Lippische Landes-Zeitung ,
13.08.2003 :
Die Mehrheit will es so / Leserbief "Lahme Politik", LZ vom 26./27. Juli
Erhard Goecken hat den Fall der kurdischen Familie Bozkurt, deren "Oberhaupt" in Silixen Kirchenasyl erhalten hat, zum Anlass genommen, das restriktive, nicht selten inhumane deutsche Ausländer- und Asylrecht zu kritisieren. Es sei die "lahme Politik" der Legislative, so Goeken, die die deutsche Bevölkerung "blind" und "schwerhörig" mache für die Bedürfnisse Asyl suchender Flüchtlinge.
Es ist natürlich richtig, dass Politiker für jenen so genannten Asylkompromiss verantwortlich sind, der vor nunmehr zehn Jahren das Grundrecht auf Asyl bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt hat. Wahr ist auch, dass die Verabschiedung eines modernen und liberalen Zuwanderunsgesetzes bislang an der Uneinigkeit der großen Volksparteien gescheitert ist. Hieraus nun allerdings die Schlussfolgerung zu ziehen, es sei "die Politik", die letztendlich eine humane Gesetzgebung und Rechtsprechung auf diesem Gebiet be-, wenn nicht sogar verhindert, würde bedeuten, die Bürger dieses Staates von jeglicher Verantwortung freizusprechen.
Wenn Politiker, die sich ja bekanntlich permanent im Wahlkampf befinden, Gesetze auf den Weg bringen und verabschieden, dann fast immer, weil sie sich davon Zustimmung bei einem großen Teil des Publikums erhoffen. Als 1993 der schändliche "Asylkompromiss" mit den Stimmen der damaligen Oppositionspartei SPD zustande gekommen ist, war das nichts anderes als die parteipolitische Exekution des Volkswillens. Sich "christlich" nenenende Regierungspolitiker hatten sich monatelang als verbale Brandstifter bestätigt und im Verein mit der gleich gesinnten Publizistik dem Volk nach dem Munde geredet respektive geschrieben. Schließlich wusste niemand mehr, was der Auslöser für die sich peu a peu ausbreitende Pogromstimmung gewesen war. Forderte die Bevölkerungsmehrheit eine restriktive "Reform" des Asylrechts, weil ihr diese angebliche Notwendigkeit tagtäglich eingehämmert wurde, oder sahen sich Politik und konservative Publizistik nur als Vollstrecker des Volkswillens? Als Ergebnis des gegenseitigen Sich-Hochschaukelns wurde jedenfalls der "Asylkompromiss" auf den Weg gebracht.
Die Einwohner von Silixen haben im Fall der Familie Bozkurt auf eindrucksvolle Weise Solidarität und Menschlichkeit unter Beweis gestellt. Tatsache ist aber auch, dass es hier zu Lande immer noch zu wenige "Silixen" gibt. In dieser Republik gewinnen Politiker nach wie vor Wahlen, wie zum Beispiel Herr Koch in Hessen im Jahr 1999, indem sie der Karte der Fremdenfeindlichkeit spielen.
Nicht bornierte Politiker sind verantwortlich für das, was Flüchtlinge wie die Familie Bozkurt erdulden müssen. Die Mehrheit der deutschen Wahlbürger will es leider so.
Uwe Tünnermann
Weißer Weg 29
Lemgo
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