Der Patriot - Lippstädter Zeitung ,
11.11.2003 :
"Viel zu wenige zeigten Wut"
Etwa 50 Bürger erinnerten bei einem Gedenkspaziergang an die Ereignisse der Reichspogromnacht vor 65 Jahren. Mahnung gegen Vergessen und für Zivilcourage
Lippstadt. "Nur in einer Welt, in der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit das Handeln der Menschen bestimmen, kann der Gefahr von Krieg und Faschismus dauerhaft begegnet werden." Mit einem Plädoyer für die Werte der modernen Demokratien trat J. J. am Sonntag im Namen der Jungen Linke Lippstadt für das Erinnern an die Gräueltaten des Nationalsozialismus ein. Unterstützt vom Netzwerk gegen Hass und Gewalt sowie dem Initiativkreis für Frieden und Solidarität, hatte die politische Gruppe zu einem Gedenkspaziergang am 65. Jahrestag der Reichspogromnacht aufgerufen. Etwa 50 Teilnehmer begaben sich daraufhin auf den Weg zu Orten des Holocaust in Lippstadt.
Auch in Lippstadt zündeten Anhänger des Regimes am Abend des 9. November 1938 die jüdische Synagoge an und demolierten jüdische Geschäfte. "Viel zu wenige zeigten Wut und Empörung, als Jüdinnen und Juden entrechtet, verfolgt, gefangen und vernichtet wurden", erklärte J. vor dem Gebäude in der Stiftsstraße, das einst die Synagoge war. "Noch weniger waren bereit, sich den Faschisten in den Weg zu stellen und Widerstand gegen dieses staatlich verordnete Verbrechen zu leisten."
Insbesondere warnte die Rednerin vor einer gesellschaftlichen Verharmlosung der Verbrechen in der Gegenwart, um auf diese Weise "die Weste der deutschen Geschichte reinzuwaschen". Beispielhaft führte sie die Instrumentalisierung von Auschwitz zur Legitimation des Kosovo-Krieges im Jahr 1999 durch Verteidigungsminister Rudolf Scharping und die Pläne der Vertriebenenverbände für ein "Zentrum gegen Vertreibung" in Berlin an. "Der Nationalsozialismus mit seiner Ideologie der totalen Ausrottung aller Juden ist und bleibt ein Verbrechen, welches mit keinem anderen in der Geschichte vergleichbar ist."
Die Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann, der Juden als "Tätervolk" bezeichnet hatte, stellen nach Einschätzung J.´s eine neue Qualität in der Debatte dar. "Dieser unverhohlene Antisemitismus zeigt, wie wichtig es ist, heute gegen das Vergessen und die Umkehrung der Geschichte auf die Straße zu gehen."
An der ehemaligen Außenstelle des KZ Buchenwald in der Hospitalstraße, wo in den 40er Jahren jüdische Zwangsarbeiterinnen untergebracht waren, mahnte Brigitte Zitzmann vom Initiativkreis für Frieden und Solidarität daher zur Zivilcourage: "Gleichgültigkeit ist uns schon einmal zum Verhängnis geworden." Konkret bedeute dies auch, Menschen nicht als Sache zu sehen und "humane Regeln und Verfahren" für Asylbewerber durchzusetzen.
Als Zeichen gegen das Vergessen legten die Teilnehmer am jüdischen Erinnerungsmal in der Rathausstraße einen Kranz nieder und zündeten Kerzen an.
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