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Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische , 03.04.2007 :

In gefährlicher Mission nach Kabul / Der Leiter der Lübbecker Polizeiwache bildet vor Ort afghanische Kollegen aus / Einsatz für ein Jahr

Von Reinhard Günnewig

Lübbecke/Hüllhorst. "Ich muss mich noch von meinem Landrat verabschieden." Detlef Geschke greift zum Telefonhörer und sagt Wilhelm Krömer "Auf Wiedersehen"Dass sich ein Polizeibeamter bei seinem Behördenchef abmeldet, ist eher die Ausnahme. Geschke hat dafür einen guten Grund. Wenn der Leiter der Lübbecker Polizeiwache im Frühjahr 2008 wieder an seinen Schreibtisch in der Osnabrücker Straße zurückkehrt, ist Krömer schon seit elf Monaten in Pension .

Denn heute Morgen steigt der 54-jährige Polizist auf dem Düsseldorfer Flughafen in eine Maschine – Richtung Kabul. Ein Jahr lang will der Erste Polizeihauptkommissar in der Hauptstadt Afghanistans leitende Kollegen unterstützen und beraten. "Deutsche Polizeiaufbauhilfe" heißt das Projekt, in dem derzeit knapp 50 deutsche Experten mitwirken. Geschke ist als einer von zwei Beamten aus Nordrhein-Westfalen dabei.

Es ist eine Mission nicht ohne Gefahren und Risiken. Neben dem Irak gilt der Staat am Hindukusch als derzeit gefährlichste Region Asiens. Religiöse Fundamentalisten, eine instabile Lage und desolate Infrastruktur sowie militante Warlords, die mit exzessivem Mohnanbau ihre Kassen füllen, erschüttern das islamische Land.

Mit politischen Krisen und gewalttätigen Konflikten hat Geschke, der schon als Kind nur eines, natürlich Polizist, werden wollte und mittlerweile in vielen Funktionen und Polizeistellen 37 Dienstjahre hinter sich hat, einige Erfahrung. Vor fünf Jahren ging der Polizeibeamte aus der deutschen Provinz im Rahmen der Mission UNMIC (United Nations Mission in Cosovo) gemeinsam mit Kollegen aus Kanada und Indien, den Fidschi-Inseln und Malawi ("Der Kollege machte in seiner Heimat Dienst auf einem Elefanten") auf Wach- und Streifenpatrouille in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo. Nach jeweils sechs bis acht Wochen kam er für ein paar Tage zurück zu Frau und Tochter an den Wiehen.

Auch ein bisschen Abenteuer

Die Zeit auf dem Balkan hat Geschke ("Ein bisschen Abenteuer ist auch dabei") in guter Erinnerung: "Bei einem solchen Einsatz lernt man vieles zu relativieren." Ein paar lose Gehwegplatten auf dem Bürgersteig in der Heimat, die sofort die zuständige Behörde auf den Plan rufen? Deutsche Sorgen! Geschke: "In Pristina gab es metertiefe Bombenkrater mitten auf der Fahrbahn. Das kümmert niemand. Autofahrer weichen dem Loch einfach aus."

Er habe dort seinen "Beruf in ganz anderer Bandbreite erfahren können". Mal baten Flüchtlinge um polizeiliche Hilfe, die aus ihrem Haus vertrieben worden waren und nach der Rückkehr Besatzern in den eigenen Räumen gegenüberstanden. Oder überfallene Kosovaren, gefesselt und mit einer Granate in den Händen, wandten sich in Todesangst an die internationalen Einsatzkräfte.

Als der Lübbecker Wachenleiter Ende 2002 wieder in Deutschland ankam ("Ich wäre sofort zurückgeflogen, wenn man es mir angeboten hätte"), war sein Interesse an besonderen Auslandseinsätzen noch größer geworden. So meldete er sich für den Afghanistan-Job.

Zu tun ist viel vor Ort. Anders als im Kosovo haben die Deutschen diesmal keine exekutiven Aufgaben, sind nicht auf Streife unterwegs, sondern kümmern sich ausschließlich um die Aus- und Fortbildung einheimischer Ordnungskräfte, den Aufbau einer funktionierenden Polizei. Und dafür wurden erfahrene Fachkräfte gesucht. Solche, wie Geschke.

Mehrere Wochen Vorbereitung – medizinische Untersuchungen, Sprachtests, Kurse über Landeskunde, Sicherheits- und Verhaltensvorschriften – musste der Schnathorster absolvieren, bevor die endgültige Zusage eintraf und die eigene Behörde ihr "Okay" gab.

Von Düsseldorf aus geht der Flug heute zunächst bis nach Usbekistan zum deutschen Luftwaffenstützpunkt und einige Tage später mit einer Bundeswehrmaschine weiter nach Kabul. Dort, am Rande der afghanischen Hauptstadt, liegt das Haupt- und Wohnquartier der deutschen Polizei – hinter meterhohen Betonmauern, Stacheldraht und mit peniblen Eingangskontrollen. Geschke ist sicher: "Wir werden da bestens geschützt und versorgt."

Afghanistan – Land am Scheideweg

Das zentralasiatische Land ist mit 652.000 Quadratkilometern fast doppelt so groß wie Deutschland. Die rund 28 Millionen Einwohner gehören vielen ethnischen Gruppen an, bekennen sich aber fast ausschließlich zum Islam. 1919 wurde Afghanistan von Großbritannien unabhängig, Anfang 2004 nach dem Sturz der Taliban eine neue Verfassung verabschiedet. Im September 2005 gab es die ersten Wahlen seit 1969.

Seit 2002 engagiert sich Deutschland beim Wiederaufbau des Landes und hilft im Rahmen des "Stabilitätspaktes Afghanistan" personell (Aus- und Fortbildung) und materiell (Ausrüstung, Gebäude) bei der Einrichtung einer funktionierenden und rechtsstaatlichen Polizei.

49 deutsche Beamte von Bundespolizei, -kriminalamt und den Länderpolizeien sind derzeit in vier Orten im Einsatz. Die Bundesregierung hat bislang mehr als 70 Millionen Euro für den Polizeiaufbau bereitgestellt. Mehrere Tausend afghanische Polizisten wurden schon von Deutschland und seinen Partnern geschult.

Dennoch hat sich die Lage in den letzten Monaten deutlich verschlechtert. Vor Reisen nach Afghanistan wird derzeit vom Berliner Auswärtigen Amt "dringend" gewarnt, da die Sicherheitskräfte nicht in der Lage seien, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Trotz Anwesenheit der internationalen Schutztruppe ISAF könne es landesweit zu Attentaten kommen.

Deutschland hat gestern sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge in das Land entsandt.

Bildunterschrift: Patrouille in Pristina: Vor fünf Jahren sorgte Detlef Geschke im Rahmen einer UN-Mission mit Kollegen aus aller Welt für Sicherheit in der Hauptstadt des Kosovo. Hier posiert er auf einem gepanzerten Fahrzeug.


lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de

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