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Die Glocke , 08.08.2003 :

Asylbewerber im Straßenbild / Im Blaumann mit Würde am Fegen

Von Gerd Daub-Dieckhoff

Rietberg (gdd). "Fremde pflegen unsere Stadt." Der dies ohne sarkastischen Unterton feststellte, war ein Rentner. Er beobachtet, wie auf der Straße Pulverdamm Rabatten gesäubert und Bürgersteige gefegt wurden. Die Arbeiter: Asylbewerber in der Obhut der Stadt Rietberg. Ihr Stundenlohn: ein Euro. Ihr Betreuer Jürgen Berger, auch ohne Sarkasmus: "Arbeit ist sinnstiftend." Menschen, so sagt Berger, hätten ein Recht auf Asyl, damit aber auch Pflichten: "Fordern und Fördern heisst bei uns die Devise." Im Klartext: Es war seine Idee, die jetzt, nach einem Jahr Experimentieren, als gelungen angesehen wird: Praktische Integration von Menschen zu betreiben, die ihr Asylantenschicksal in den Händen der Behörden wissen. Gegenwärtig sieht man im Ortsteil Mastholte einen Afrikaner und zwei Iraker, die ganz selbstverständlich Straßenränder reinigen, Blumenkübel überprüfen, Müll beseitigen und ihren blauen oder grünen Arbeitsanzug mit Würde tragen. Vor einem Jahr bereits stellte Berger Asylbewerber an die Seite von Hausmeistern in verschiedenen Schulen. Letztere waren zunächst ausgesprochen skeptisch. Inzwischen sei das Verhältnis überwiegend kumpelhaft gediehen, und auch in den Sommerferien seien die fremden Hilfskräfte in Lehranstalten mit Ausbesserungen etc. im willkommenen Einsatz. Jürgen Berger: "Da wurden auch einige von Schülern angemacht, Tenor: Bleibt dort, wo ihr herkommt. Lehrer reagierten sofort, luden den einen oder anderen als Nigger bezeichneten in die Klassen ein, wo sie sich vorstellten und über ihre Herkunft erzählen konnten." Dem Asylantenbetreuer gelang es auf diese Weise nicht nur, rassistische Parolen zu parieren und Ressentiments abzubauen, sondern auch "faule Eier" aufzuspüren: "Da gibt es welche, die in Rietberg registriert sind, die aber wochenlang gar nicht in ihren Wohnunterkünften aufzufinden sind, weil sie Schwarzarbeiten nachgehen. Die haben wir jetzt aussortiert." Heisst: Sie kriegen solange keinen Cent mehr, bis sie die Schwarzarbeit definitiv beenden. Berger: "Wir müssen uns selbst helfen - keine Ausländerbehörde reagiert auf solche Tatbestände." Tatsache sei auch, dass Streitigkeiten in den ausschließlich von Männern besetzten Unterkünften und auch Straftaten, die polizeilich erfasst werden, deutlich weniger geworden seien, seit das Berger-Beschäftigungsprojekt läuft. Es ist damit wohl einmalig in dieser praktizierten Form im Kreisgebiet.

Rietbergs Asylbewerber

Genau 117 Asylbewerber, die meisten von ihnen Moslems, empfangen die vollen Leistungen der Stadt Rietberg (Stand vom 15. Juli 2003). An der Spitze der Liste stehen 19 Türken (zwei von ihnen wurden gerade als Verfolgte anerkannt), acht Armenier, elf Jugoslawen. Eine elfköpfige Familie kommt aus dem Libanon. Jeweils zehn Personen Personen wollen aus Aserbaidschan, 17 Personen aus Georgien sein; vier Algerier, jeweils drei Afghanen und Kameruner sind gemeldet. Eine Mutter mit zwei Kindern gelangte aus dem Iran nach Rietberg. Sieben Iraker und zwei Männer aus Sierra Leone sowie weitere sieben Einzelpersonen aus Kasachstan, Kirgistan, Niger, Syrien, Guinea, Angola und Weissrussland sind in der Emsstadt ebenfalls untergebracht. Unter den Letzgenannten sind fast alle ohne Pässe bzw. Papiere, die über ihre wahre Herkunft etwas aussagen. Der zuständige Sachbearbeiter im Sozialamt, Georg Bartnik: "Die meisten Leistungsempfänger sind Armutsflüchtlinge." Und dann gibt es noch einen Asylbewerber: Er behauptet zwar, in Libanon geboren zu sein, aber vielleicht stammt er auch aus der Türkei oder Syrien. Sein Schicksal ist seit langem ungeklärt. So bleibt er in Warteposition.


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