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Bündnis 90/Die Grünen im Kreis Höxter ,
18.06.2001 :
Einblicke in den Rechtsextremismus / Ungeschönter Blick auf die gesellschaftliche Realität
Einfache Antworten hat er nicht zu bieten. Stattdessen unerschöpflich viele, wenn er den Rechtsextremismus jenseits gängiger Vorurteile beschreibt. Jörg Weltzer, der unter anderem als Sozialarbeiter und als Bildungsreferent tätig ist, vermittelt auf Einladung der Grünen im Kreis Höxter seinen Zuhörern ungeschönte Einblicke in den Rechtsextremismus und seine gesellschaftlichen Zusammenhänge. Neben umfassendem Wissen gibt Jörg Weltzer insbesondere von seinen langjährigen beruflichen und persönlichen Erfahrungen weiter und scheut dabei auch nicht vor unangenehmen Wahrheiten zurück.
"Als sechzehnjähriger Antifaschist schleuste ich mich in eine Gruppe von Rechtsextremisten ein. Nach anderthalb Jahren fiel es mir schwer, mich wieder von der Gruppe zu lösen. So groß war die Anerkennung und Zusammengehörigkeit, die ich innerhalb der Gruppe erlebte, so wohl fühlte ich mich dort. Wären da nicht ein paar schlimme Dinge passiert, die mich wieder zur Besinnung brachten, wäre ich vermutlich ein sehr guter Rechtsextremist geworden."
Mit diesen persönlichen Worten beschreibt Jörg Weltzer eine der erfolgreichen Strategien der sich systematisch ausbreitenden Rechtsextremisten. "Sie betreiben offensive Jugendarbeit. Mancherorts sind sie damit die einzigen, die den Jugendlichen noch vermitteln, ernst genommen zu werden. Sie locken mit dem, was in unserer Gesellschaft immer seltener wird: Anerkennung, Zugehörigkeit, Ideale."
Dabei machten sie sich zunutze, dass ein zunehmend großer Teil der Jugendlichen der Gesellschaft den Rücken kehrt. „Die größte Jugendbewegung unserer Tage ist der Eskapismus," zitiert Jörg Weltzer die Shell-Jugendstudie. Eskapismus als Flucht aus einer Welt, an der die Jugend keinen Anteil hat, die ihr keinen Einfluss gewährt, die ihr keine Zukunft bietet, in der sie sich als ohnmächtig, überflüssig und wertlos erfährt. "Ob Jugendliche sich in Scheinwelten flüchten, drogensüchtig oder rechtsextremistisch werden, ist vor diesem Hintergrund eher eine Frage des Zufalls bzw. in wessen Hände sie geraten," macht Jörg Weltzer deutlich.
Den Rechtsextremisten sei es mittlerweile gelungen, sich zu sämtlichen Richtungen der Jugendkultur Zugang zu verschaffen. Es gebe keine Musikrichtung mehr ohne rechtsextremen Ableger. Bei jedem Lebensstil, bei jedem Selbstverständnis gebe es Anknüpfungsmöglichkeiten für den Rechtsextremismus. Mal lasse sich ein elitäres Bewusstsein ansprechen, mal sei das Ausgegrenztsein Zugang, mal Todessehnsucht, mal Schicksalsglaube, mal Esoterik, mal Macho-Gehabe. Anthroposophische Ansätze taugten dazu ebenso wie "haidnische"(heidnische), ökologische wie soziale. "Auf der Love-Parade in Berlin versammeln sich mehr Rechtsextremisten als auf jeder rechtsextremen Kundgebung," ist Jörg Weltzer überzeugt und widerspricht damit einem unserer vielen Klischees.
Überhaupt seien rechtsextreme Einstellungen nicht auf bestimmte Schichten oder Altersgruppen beschränkt. "Rechtsextreme Jugendliche sind weniger Gegenspieler der Gesellschaft als ihr Abbild. Sie sind nur extremer, wenn sie die Ausländer tätlich angreifen, die von großen Teilen der Bevölkerung nicht gern in Deutschland gesehen werden. Rechtsextreme Einstellungen finden sich - um zwei willkürlich herausgegriffene Beispiele zu nennen - auch bei ausländischen Mitbürgern oder bei Pädagogen," stellt Jörg Weltzer klar. Als Sozialarbeiter, der in der offenen Jugendarbeit wie in der Projektarbeit mit Schulklassen tätig ist, der Bildungsarbeit bei der Bundeswehr wie mit angehenden Lehrerinnen und Lehrern macht, begegnet er rechtsextremistischem Gedankengut in unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen.
"Deshalb muss unsere Gesellschaft insgesamt anfangen, über sich selbst nachzudenken. Was für eine Welt schaffen wir, welches Menschenbild vermitteln wir? Wir müssen uns klar darüber werden, ob wir wirklich leben, was wir für gut und richtig halten", macht Jörg Weltzer selbstkritisch deutlich. "Wie verhalten wir uns gegenüber Jugendlichen, wie gegenüber den Randgruppen? Was bedeutet unserer Gesellschaft der einzelne Mensch? Wie sieht unsere real gelebte Mitmenschlichkeit aus? Wie gehen wir mit anderen Meinungen um, wie mit Schwierigkeiten, mit eigenen Unsicherheiten? Gelingt es uns, eine gute gesellschaftliche Alternative zum rechtsextremistischen Herrschaftsstaat Tag für Tag neu zu verwirklichen?"
"Wir müssen eine bessere Jugendarbeit machen, als die Rechtsextremisten," fordert Jörg Weltzer. Dazu reiche es nicht aus, die Persönlichkeit junger Menschen stärken zu wollen, ohne ihnen entsprechend Mitwirkungsmöglichkeiten zu schaffen. Erst wenn Jugendliche tatsächlich beteiligt würden, zeige sich, dass sie respektiert werden. Auch in der Konfrontation mit rechtsextremistischen Einstellungen habe der Respekt vor der Person oberste Priorität. Zugleich müsse unmissverständlich klar gemacht werden, dass es in der Sache keine Kompromisse gebe. Dann werde man als Gesprächspartner akzeptiert, werde seitens der Jugendlichen sogar das Gespräch gesucht, berichtet Jörg Weltzer von seinen Erfahrungen.
Der Ausbau der rechtsextremistischen Szene organisiere sich im Moment weitestgehend im Verborgenen und im Bemühen, der staatlichen Kontrolle zu entgehen. Die bisherigen Gewalttaten seien spontane Taten gewesen. Gezielter Terror stehe noch aus, aber eine wachsende Zahl von Gewaltbereiten und im Dienste ihrer Sache zu allem Entschlossenen stehe schon jetzt zur Verfügung. "Was das bedeutet, will ich am Beispiel einer brennenden Synagogen in der Pogromnacht vom 9. November 1938 verdeutlichen. 20 Leute zünden die Synagoge an. Zweihundert stehen dabei und klatschen oder gaffen. Zwanzigtausend bleiben in ihren Betten, heißen das Feuer gut oder wollen nichts wissen oder haben Angst. Keine einzige Hand aber rührt sich, um zu löschen! Damals wurde der Beweis erbracht: Es braucht nur wenige Gewalttäter, um ein ganzes Land in Brand zu setzen."
Die Zeit der Verharmlosung ist schon lange vorbei, lautet das Fazit von Jörg Weltzer. Und Berno Schlanstedt von der Initiative für Solidarität und Toleranz "rechts-freie Zone Höxter" ergänzt: "Nach solchen Einblicken in die gesellschaftliche Realität können wir die Augen nicht mehr verschließen. Darum bieten wir weiterhin allen Menschen und Gruppen in Höxter an, als ersten Schritt öffentlich ein Zeichen gegen den Rechtsextremismus zu setzen." Wer die Initiative unterstützen will, könne dies durch den Aufkleber "rechts-freie Zone Höxter" machen, oder sich bei Herrn Schlanstedt melden unter der Telefonnummer 05271/180176. Die Grünen im Kreis Höxter kündigen an, ihre Aufklärungsarbeit zum Rechtsextremismus fortzusetzen. Die nächste Veranstaltung werde bereits geplant.
gruene.kv.hoexter@t-online.de.
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