Gütersloher Zeitung / Neue Westfälische ,
01.08.2003 :
Ein angekündigtes Drama / Versuchte Selbstverbrennung eines 33-jährigen Türken
Von Marion Pokorra-Brockschmidt
Rheda-Wiedenbrück. Ein Fall von versuchter Selbstverbrennung erschütterte gestern Morgen Rheda-Wiedenbrück: Vor den Augen seiner Frau und deren fünf Kinder hatte sich ein 33-jähriger Türke in der Ausländerbehörde des Kreises Gütersloh angezündet. Hüseyin D. erlitt lebensgefährliche Verbrennungen zweiten und dritten Grades an Kopf und Oberkörper und wurde in eine Spezialklinik in Gelsenkirchen-Buer geflogen. Am Tag zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster die Beschwerde des in Rietberg lebenden Mannes gegen eine Ausreiseverfügung abgelehnt. Die Politik des Kreises gegenüber Schutz suchenden Menschen kritisierte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).
Gegen neun Uhr hatte die 32-jährige Ehefrau des Türken mit ihren Kindern im Alter von vier bis zwölf Jahren das Büro des zuständigen Sachbearbeiters betreten, wo es "eine intensive verbale Auseinandersetzung gab", sagte Polizei-Pressesprecher Karl-Heinz Stehrenberg. Kurz darauf sei D. herein gekommen: In einer Ecke des Raumes habe er sich mit Grillanzünder übergossen und sofort mit einem Feuerzeug selbst angesteckt.
Nach der Verkündung des OVG-Urteils hatte D. über seinen Anwalt mitteilen lassen, "dass etwas passieren könnte", so Stehrenberg. Darum hätten Polizisten das Amt Reckenberg in ihre routinemäßigen Kontrollen einbezogen. So waren sie zur Stelle, um mit Mitarbeitern des Ausländeramtes den Mann, der brennend über den Flur lief, mit Decken und Jacken zu löschen. Zuvor hatten sie gegen D. und seine Frau Pfefferspray eingesetzt, um sie zu überwältigen. Der Sachbearbeiter, in dessen Büro sich das Drama abspielte, steht unter Schock. Die 32-jährige türkisch-stämmige deutsche Frau wurde leicht verletztund kam ins Krankenhaus, die Kinder betreute das Jugendamt und die Notfallbegleitung, später kamen sie zu Verwandten. Die leicht verletzten Polizisten wurden im Krankenhaus behandelt.
"Wir sind erschüttert über diesen Selbstmordversuch", so die GfbV. Verwundert zeigten sich die Kritiker aber nicht. Gerade in jüngster Zeit habe die GfbV im Kreis Gütersloh beobachtet, "wie die dortigen Behörden unsensibel, hartherzig und unmenschlich über das Schicksal hilfloser und schwer kranker Flüchtlinge entscheiden", so Generalsekretär Timan Zülch. Er bezog sich dabei auch auf einen am Mittwoch abgeschobenen Yezidi aus Georgien.
Die Vorgeschichte des Hüseyin D.: Er kam 1999 im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland. Verheiratet war er mit einer Türkin, die eine Aufenthaltsgenehmigung hatte und heute eingebürgert ist. Kurz darauf sei die Ehe geschieden worden, "faktisch gab es gar keine eheliche Lebensgemeinschaft", erklärte Carola Kietmann, Pressesprecherin des Kreises Gütersloh.
Im Oktober habe die Ausländerbehörde D. mitgeteilt, dass seine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werde und eine so genannte Ausreiseverfügung erlassen werde. Der Türke legte dagegen alle Rechtsmittel ein. Am vergangenen Mittwoch wies das OVG die Beschwerde ab. Grund: D. war wiederholt straffällig geworden. Er war "wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, gefährliche Körperverletzung sowie anderer Delikte rechtskräftig verurteilt worden", so Kietzmann.
"Wir lassen uns auch künftig nicht unter Druck setzen."
Besonders tragisch an dem Unglück ist, dass D. eine zweite Chance bekommen hätte. Der 33-Jährige hatte im Januar geheiratet: die Frau, die gestern mit ihren Kindern Zeugin der versuchten Selbstverbrennung wurde. D. "hätte nur befristet ausreisen müssen", ließ Landrat Sven-Georg Adenauer verlauten, dann hätte er zu seiner Familie zurück gekonnt. Das habe der 33-Jährige auch gewusst. Nur die Frage wann und wie lange er Deutschland hätte verlassen müssen, sei mit der Ausländerbehörde noch auszuhandeln gewesen.
Nun aber müsse die gestern versuchte Selbstverbrennung, "die Mitarbeiter der Behörde und Polizisten gefährdet hat, als neue Bewertungsgrundlage gelten", meinte Kietzmann. Adenauers Statement über den "absolut tragischen Vorfall" ist eindeutig: "Es ist unglaublich, mit welchen Mitteln die Ausreise verhindert werden sollte. Meine Mitarbeiter versuchen stets, humane Lösungen zu finden. Wir lassen uns auch künftig nicht unter Druck setzen, erst recht nicht durch solche Aktionen."
Selbstverbrennung
In der Vergangenheit haben Ausländer in mehreren Fällen durch Selbstverbrennung versucht, ihre Abschiebung zu verhindern.
- Juli 1992: Aus Angst vor der Abschiebung versucht in Karlstadt (Bayern) ein 31 Jahre alter Rumäne auf dem Polizeipräsidium sich selbst zu verbrennen.
- November 1992: Ein 28 Jahre alter Asylbewerber aus der Türkei droht in Frankfurt damit, sich und seine zwei Jahre alte Tochter vor dem Hauptbahnhof zu verbrennen.
- Mai 1997: 21 Armenier stürmen das Gelände der US-Botschaft in Bonn. Einige der fünf Männer, sechs Frauen und zehn Kinder übergießen sich mit Benzin und drohen damit, sich anzuzünden. Die Gruppe aus Paderborn will so ihr Bleiberecht in Deutschland erzwingen.
- November 1998: Ein kurdischer Asylbewerber zündet sich in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim an. Der Mann befand sich in Stuttgart in Abschiebehaft. Er starb an seinen Verletzungen.
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