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Die Grünen im Bundestag , 15.12.1987 :

Zensur-Pflicht für Buchhändler bestätigt / Dritte Verurteilung wegen angeblicher Terrorismus-Werbung

Anläßlich der gestrigen Verurteilung eines Buchhändlers wegen angeblichen Verkaufs der Broschüre "Radikal" Nr. 132, in welcher Werbung für eine terroristische Vereinigung enthalten sein soll, erklärt der Obmann der GRÜNEN Bundestags-Fraktion im Innenausschuss, MdB Thomas Wüppesahl:

Am 14.12.1987 wurde der Detmolder Buchhändler Dieter K. vom OLG Düsseldorf zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf 4 Jahre Bewährung sowie einer Geldstrafe von 1.000 DM verurteilt. Zwar konnte ihm der eigenhändige Verkauf der inkriminierten Zeitschrift nicht nachgewiesen werden. Das Gericht behalf sich jedoch mit einer kühnen Hilfskonstruktion: Der Angeklagte sei regelmäßig in seinem Buchladen tätig gewesen, und nach seiner anderweitig bekannten politischen Gesinnung sei ihm der hemmungslose unzensierte Verkauf auch der "Radikal" zuzutrauen gewesen. Dass Dieter K. die Zeitschrift zuvor gelesen und deren strafbaren Inhalt - mit der gleichen Rechtsauffassung wie der ermittelnde Generalbundesanwalt - erkannt hatte, wurde dabei einfach unterstellt.

Mit dieser Variante "Düsseldorfer Landrechts" hat der politische Senat des OLG nun schon das zweite Mal innerhalb von 14 Tagen zugeschlagen und dabei die höchste von bisher insgesamt drei Verurteilungen von angeblichen Verkäufern der "Radikal" ausgesprochen. Am 02.12.1987 hatte das OLG bereits mit ähnlich holpriger Beweisführung einen Bonner Buchhändler zu acht Monaten Freiheitsstrafe auf drei Jahre Bewährung verurteilt.

Diese Urteile gehen zurück auf eine im Juli 1986 eingeleitete bundesweite Durchsuchungs- und Einschüchterungsaktion gegen Buchhändler in zahlreichen Städten; die meisten der ursprünglich eingeleiteten 173 Ermittlungsverfahren sind allerdings inzwischen eingestellt worden. Dabei hat Ende August auch der Bundesgerichtshof die Einstellungsbegründung zum Beispiel des Kammergerichts Berlin bestätigt, wonach Buchhändlern die inhaltliche Kenntnisnahme und vorherige Zensur ihres Verkaufsangebots regelmäßig nicht abverlangt werden könne.

Genau eine dahingehende Einschüchterung des Medienhandels ist jedoch das Anliegen der Bundesanwaltschaft beziehungsweise zumindest die tatsächliche Wirkung ihrer bundesweiten Kriminalisierungsaktion. Unter hoher Strafandrohung und dem existenziellen Druck langer Bewährungsfristen werden die betroffenen Zeitschriftenhändler gezwungen, ihr Verkaufsangebot mit der "Schere im Kopf" und Herrn Rebmanns Rechtsverständnis vorzuzensieren.

Es steht zu befürchten, dass die Beschränkung der Meinungsfreiheit und des Medienhandels unter der Geltung der neuen Strafvorschriften §§ 130 a und b StGB ("Anleitung beziehungsweise Befürwortung von Straftaten") demnächst noch zunimmt.

Ich habe zum Ermittlungsstand in Sachen Radikal Nr. 132 die anliegende parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung gerichtet.


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