Buchladen Distel ,
30.11.1987 :
Radikal-Prozess
Am 8., 14. und 15. Dezember findet jeweils um 9.30 Uhr ein Radikal-Prozess gegen einen Genossen aus dem Detmolder Buchladen statt.
Verhandelt wird vor dem 5. Senat des Oberlandesgericht Düsseldorf im Nebengebäude Tannenstraße (das extra für diesen Senat gebaut wurde, der nur Staatsschutzprozess macht - u.a. ab Januar die Hamadei-Prozesse und kürzlich die Wuppertaler). Der Prozess findet unter den für diesen Senat üblichen Bedingungen statt (Bullen mit MPs, Personalausweise werden kopiert, filzen, Trennscheibe im Gerichtssaal und massig Bullen im Zuschauerraum).
Im Juli 1986 wurden die alternativen und linken Buchläden und Infozentren in der BRD und West-Berlin von einer Durchsuchungswelle der politischen Bullen heimgesucht.
Ziel dieser Aktion war die Beschlagnahmung der Zeitung "Radikal" Nr. 132. Initiator war die Bundesanwaltschaft (BAW) in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt (BKA) mit den lokalen Bullenbehörden.
Fleißig dabei waren aber auch die Dienststellen der Bundespost, denn irgendwie wurde der Inhalt eines Paketes, das die Radikal enthielt, bekannt.
In 31 Städten kam es zu fast 200 § 129a-Ermittlungsverfahren mit ED-Behandlungen, Durchsuchungen, Zeugenvorladungen und Beschlagnahmungen, von denen aber im Endeffekt nur eine HandvollProzesse stattgefunden haben beziehungsweise stattfinden werden.
Als am 31.07.1986 der Buchladen Distel im Rahmen der Beschlagnahmungswelle durchsucht wurde, fanden die Detmolder Bullen vier der - von ihnen selbst mitgebrachten - Exemplare der Radikal Nr. 132.
In dem Beschluss des Generalbundesanwalts heißt es zur Begründung, die Radikal 132 zu beschlagnahmen, dass folgende Straftatbestände vorlägen:
- Verdacht von Straftaten nach § 129a u.a.;
- die Radikal enthalte Beiträge, in denen Gewalt bis hin zu terroristischen Anschlägen das Wort gerdet würde;
- enthielte eine Tatbekennung zum Anschlag auf Beckurts (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung - § 129a);
- fordere zum Kaufhausdiebstahl auf (öffentliche Aufforderung zu Straftaten - § 111);
- in der Behauptung, Ulrike Meinhof sei von Schergen des BRD-Staates ermordet worden, sei eine Verunglimpfung des Staates zu sehen (§ 90a);
- Ziele und Strategien der RAF würden verherrlicht werden, die Aufzählung von Aktionen bestärke die Mitglieder in ihrem Zusammenwirken (§ 129a);
- die BRD würde als Mörderstaat herabgewürdigt werden(§ 90a);
- weiter enthielte die Radikal ein Zitat aus einem RZ-Papier, das geeignet sei, bei den Lesern Sympathie für diese terroristische Vereinigung zu wecken und sie für deren Ziele und Strategien einzunehmen (§ 129a);
- einen Artikel, in dem der militante Widerstand gegen die WAA in Wackersdorf dokumentiert und zu ähnlichen Aktionen aufgerufen würde (§ 111);
- Berichte und Bekennungen zu den Anschlägen im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die WAA und mögliche Anschlagsziele - Liste der Firmen (§ 111).
In dem Schlußsatz der umfangreichen Begründung heißt es dann, dass eine Trennung der strafrechtlich relevanten Seiten der Radikal 132 von den übrigen Seiten praktisch undurchführbar sei und nur unbedeutende und unverkäufliche Teile der Zeitung zurücklassen würde.
Mit der Radikal soll einem Symbol der Unbeugsamkeit und Kontinuität das Wasser abgegraben werden. Seit Jahren war die Radikal die Zeitung, die im autonomen Bewegungsspektrum am unermüdlichsten und intensivsten die Diskussion um revolutionäre Inhalte und Perspektiven geführt hat. Ihre größte Bedeutung und relative Unangreifbarkeit bekam die Zeitung mit der früheren Stärke der Berliner und westdeutschen Häuserkampfbewegung, abgesehen von der Nichtgreifbarkeit der Redaktion im Berliner Bewegungssumpf. Der bis dahin massivste Angriff des Staatsschutzes auf die Radikal erfolgte mit der Niederlage der Häuserkampfbewegung und führte zur Verurteilung von Benny Härlin und Michael Klöckner (den presserechtlich Verantwortlichen) anstelle der Redaktion. Das staatliche Kriminalisierungsinteresse hatte sich gegen eine breite öffentliche Solidaritätskampagne - mitgetragen von linksbürgerlichen und liberalen Kreisen - durchgesetzt.
Die Radikal erschien weiter - wenn auch unregelmäßiger und mit neuem, konspirativ arbeitendem Redaktionskollektiv - so doch umso ungenierter in der Formulierung revolutionärer Positionen wie auch gewisser technischer Details.
Unter anderem wohl aufgrund der Unregelmäßigkeit des Erscheinens, der sicherheitsbedingten Abschottung der Redaktion nach außen wie auch der Zunahme allzu platter Analysen, verlor die Zeitung jedoch allmählich ihre Bedeutung für die autonome Bewegung. Diese relative Bedeutungslosigkeit scheint denn auch der günstigste Ansatz für BAW, Bundes- und Landeskriminalämter gewesen zu sein, die Großaktion gegen das Vertriebsnetz im letzten Jahr zu beginnen, da eine Solidarisierungswelle wie 1983 nicht zu erwarten war.
In den Prozessen, die bislang stattfanden, wurde ein angeblicher Handverkäufer zu sieben Monaten Knast auf vier Jahre Bewährung verurteilt, zwei Buchhändlerinnen und ein weiterer angeblicher Handverkäufer wurden freigesprochen. Bei dem verurteilten angeblichen Handverkäufer wurde die Straftatkonstruktion des Generalbundesanwalts (s.o.) fallengelassen und es ging letztendlich nur noch um die Verurteilung der Gesinnung nach § 129a als Verhandlungsgegenstand.
Mittlerweile hat es sich so entwickelt, dass von den nahezu 200 Ermittlungsverfahren, mit dem Detmolder zusammen, nur noch vier Verfahren übriggeblieben sind. Über Zulassung beziehungsweise Nichtzulassung zur Verhandlung ist in erster Linie politisch und nicht juristisch entschieden worden, denn das so viele Anklagen nicht wegen Mangel an Beweisen abgelehnt wurden, zeigt sich bei der Verurteilung des angeblichen Handverkäufers aus Hanau, wobei es nicht den geringsten Nachweis einer Verbreitung der Radikal 132 gibt.
Schon durch die Beschlagnahme und den damit verbundenen Ermittlungen hat sich für die betroffenen Städte/Szenen folgendes gezeigt:
In einem Papier der Berliner zur endgültigen Einstellung der dortigen Radikal-Verfahren heißt es diesbezüglich u.a.:
"Die Funktion des § 129a als Ermittlungs- und Kriminalisierungsparagraphen, der nicht zuletzt der Abschreckung dienen soll, haben wir real erfahren. Die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der die meisten der betroffenen Betriebe sich als öffentlicher Raum zwischen "Szene" und "Normalos" empfunden haben, in dem die Verbreitung unterdrückter Informationen über Aktionen, Diskussionen und Meinungen des Widerstandes "selbstverständlich" ist, entpuppte sich mehr als traditioneller denn als substantieller Bestandteil dieser Gruppen. Die permanente Bedrohung vor neuen Durchsuchungen hatte verschiedene Auswirkungen auf die Betriebe: die Schere im Kopf ließ Zeitungsständer schrumpfen, und bestimmte Plakate wurden nicht mehr aufgehängt beziehungsweise abgehängt - oder aber erst recht aufgehängt! Nicht überall hat die Abschreckung funktioniert, aber da versuchte die Klassenjustiz gleich wieder anzusetzen: Ein Plakat mit der Forderung nach menschenwürdiger Operation für eine Gefangene aus der RAF und Zusammenlegung wurde in drei der betroffenen Projekte beschlagnahmt und neue 129a-Verfahren eingeleitet ... "
Das ist genau der Punkt, um den es geht! Der Versuch, mittels der Radikal-Ermittlungen die Spreu vom Weizen zu trennen, ist zumindestens tendenziell für den Staatsschutz gut angelegt; d.h. vom alternativen und linken Buchhandel ein klares Verhalten zu erzwingen, was sich jetzt darin äußert, dass Schriften, die sich mit dem militanten Widerstand auseinandersetzen und darüber berichten, aus den Regalen verschwinden.
Damit wird der Radius der Widerstandspresse eingeengt und isoliert. Diese Inszenierung zielt auf die radikale Linke, deren Diskussion und Auseinandersetzung damit unmöglich gemacht werden soll.
Für uns in Detmold ist die Situation so, dass es außer dem Radikal-Verfahren noch zwei weitere Verfahren nach § 129a gibt. Wir sehen sie alle in einem Zusammenhang. In einem der Verfahren geht es um eine Veranstaltung am 18.10.1985 und den dazu veröffentlichten Redebeiträgen. Inhalt der Veranstaltung war die Situation in Detmold, das Selbstverständnis des Buchladens, anstehende Prozesse gegen Gefangene aus der RAF und dem antiimperialistischen Widerstand, Freilassung von Günter Sonnenberg und der Antikapitalistische und Antiimperialistische Kongress in Frankfurt im Januar 1986. Von ursprünglich sechs Leuten wurde jetzt (Ende November) gegen vier Leute die Anklage zugelassen.
Im dritten Verfahren geht es um ein Flugblatt, das sich mit der Zwangsvorführung dreier Leute zu einer Anhörung im Zusammenhang mit dem Veranstaltungs-Verfahren befasst. Hier wird gegen drei Leute ermittelt.
Diese massive Ballung von 129a-Ermittlungsverfahren in einer relativ kleinen "Szene" ist für uns nicht nur die übliche Abschreckung und Einschüchterung, sondern es geht um mehr. Wir schätzen das so ein, dass hier systematisch auf Verurteilung - bis hin zum Knast für einzelne - hingearbeitet wird.
Mehr und Genaueres gibts auf der Informationsveranstaltung zum Prozess am 05.12. um 19 Uhr in der alten Pauline, Bielefelder Straße 3.
Kommt massenhaft! Hinterher gibts noch 'ne "Tanz den Nikolaus"-Party in der Pauline.
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