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Roberta Gibertoni , 10.11.2001 :

Fossoli: Station auf dem Weg in die Vernichtung / Vortrag auf dem Symposium “Von Italien nach Auschwitz – Fossoli und Bozen: Stationen der Deportation 1944/45“ im Nordrhein-Westfälischen Staatsarchiv Detmold

Ich heiße Roberta Gibertoni und war von 1992 bis zum Jahr 2000 verantwortlich für die kulturelle und didaktische Arbeit in der Gedenkstätte Fossoli und im Museum der Deportierten in Carpi. Zuallererst danke ich den Organisatoren dieses Kongresses, der Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen unseren Institutionen werden könnte.

In meiner Funktion als Mitarbeiterin der Stadt Carpi werde ich heute mit Hilfe einiger Lichtbilder über die Geschichte des Lagers Fossoli sprechen und dabei insbesondere auf Ereignisse eingehen, die sich während der Nutzung als Polizei- und Durchgangslager unter Leitung der nationalsozialistischen Besatzungsmacht ereignet haben.

Danach werde ich kurz von den Verbrechen sprechen, die in dieser Zeit in Fossoli passierten, und dabei insbesondere vom Massaker am 12. Juli 1944.

Ich werde kurz auf die Untersuchungen eingehen, die nach Kriegsende hinsichtlich des Massakers angestellt wurden.

Mit einer Beschreibung der im Lager Fossoli und im Museum der Deportierten in Carpi durchgeführten Gedenkstättenarbeit werde ich meinen Vortrag beenden.

Im Mai 1942 bestimmen die italienischen Streitkräfte ein Ackergebiet bei Fossoli, das wiederum nördlicher Ortsteil von Carpi ist, als ideales Gelände für den Bau eines Kriegsgefangenenlagers.

Auf diese Weise entsteht das Kriegsgefangenenlager Nummer 73 für die Internierung von in Nordafrika gefangen genommenen Offizieren und Unteroffizieren der britischen Streitkräfte.

Ab Juli 1942, mit der Ankunft von 2.000 Gefangenen und 350 Wachsoldaten unter Führung des Oberst Giuseppe Ferraresi, nimmt das Lager den Betrieb auf.

Bis zum Herbst desselben Jahres besteht das Lager aus 190 großen Zelten, welche dann durch gemauerte Baracken ersetzt werden. Die Baracken werden von einer großen Baufirma aus Carpi gebaut; der selben Firma, die 30 Jahre später das Museum der Deportierten im Zentrum der Stadt Carpi baulich realisieren wird.

Zeitgleich mit diesen Veränderungen, die im November 1942 abgeschlossen sind, wird ein später als "Neues Lager" bezeichnetes Gebiet ins Lager einbezogen.

Auch in diesem zweiten Lagerteil werden die Zelte als bald durch Baracken ersetzt, deren Bau den gesamten Sommer 1943 andauert.

Die Lebensbedingungen der britischen Kriegsgefangenen sind dank der bis heute erhalten gebliebenen schriftlichen Zeitzeugnisse hinreichend bekannt. Die Haftbedingungen scheinen nicht außergewöhnlich schwer gewesen zu sein, das zeigen sowohl die regelmäßige Ankunft von Paketen des Roten Kreuzes, als auch die Behandlung der Gefangenen, die keinerlei Arbeit verrichten mussten, und die die Langweile besiegen, indem sie Sportwettkämpfe und Theateraufführungen organisieren.

Im Sommer 1943 befinden sich insgesamt etwa 4.000 Kriegsgefangene der britischen Streitkräfte in beiden Lagerteilen.

Der Waffenstillstand vom 8. September 1943 ermöglicht den Deutschen, die Pläne zur Besetzung der wichtigsten strategischen Punkte auf dem italienischen Territorium zu realisieren.

Auch das dazu zählende Lager Fossoli wird zwischen dem 8. und 9. September besetzt. Interessant macht Fossoli die Existenz neuer gemauerter Gebäude, vor allem jedoch die geografische Lage entlang der Eisenbahnlinien, die zum Brennerpass führen. Das italienische Kommando wird entwaffnet, gefangen genommen und nach Modena verbracht.

Zwischen dem 14. und 25. September werden die Kriegsgefangenen der britischen Streitkräfte in Lager nach Deutschland verlegt.

Zur selben Zeit (September 1943) hatte sich die RSI – Italienische Sozialrepublik – in Salò konstituiert. Diese beschließt im November 1943 ein politisches Manifest, bekannt als die Charta von Verona.

In Punkt 7 dieses Dokumentes heißt es, dass "die Angehörigen der jüdischen Rasse Ausländer sind und während dieses Krieges einer feindlichen Nationalität angehören".

Die Anwendung der Bestimmungen laut Punkt 7 lässt nicht auf sich warten: Am 30. November 1943 unterzeichnet der Innenminister Buffarini Guidi den Polizeibefehl 5, nach dem "alle in der Italienischen Sozialrepublik wohnhaften Juden in Konzentrationslager in den Landkreisen zu sammeln sind, um dort den Transport in eigens errichtete Speziallager abzuwarten". Fossoli wird zum eigens eingerichteten Spezialkonzentrationslager und nimmt als solches am 5. Dezember 1943 seine Tätigkeit unter der Leitung der Präfektur von Modena auf, und es ist nicht länger unter militärischer Autorität.

Wenn mit dem Erlass der Rassegesetz 1938 das faschistische Italien die Rechte der Jüdinnen und Juden verfolgt hat, so geht es, laut des Historikers Michele Sarfatti, mit dem Polizeibefehl 5 zur Verfolgung ihrer Leben über. Selbst wenn die italienischen Faschisten nicht selbstständig die Deportation beginnen, so trägt jedoch die von ihnen durchgeführte Internierung für diejenigen zur Vereinfachung bei, die planten, die Juden der "Endlösung" auszusetzen.

Mit der Einrichtung des Lagers Fossoli als Speziallager beginnt die Phase der vollen italienischen Verantwortung. Die Verhaftungen, die Internierungen und die Beschlagnahmungen von Besitz sind autonome italienische Aktionen; sie werden auf Befehl des Innenministeriums, der Präfekturen und Polizeipräsidien durchgeführt.

Die Kosten für Führung und Versorgung der Gefangenen lasten auch in dieser Phase auf der Stadt Carpi.

In dieser Zeit kommen einige hundert Juden, die bei Durchkämmungsaktionen in verschiedenen italienischen Städten festgenommen wurden, im Lager Fossoli zusammen.

Denn schon ab Februar 1944 übernehmen die Deutschen die direkte Kontrolle des Lagers, unter der Leitung des Befehlshabers der Sicherheitspolizei in Italien mit Sitz in Verona, Wilhelm Harster.

Das Lager Fossoli erhält noch einmal eine andere Funktion: Nachdem es Kriegsgefangenenlager und von der RSI geführtes Internierungslager für Juden war, wird es Polizei- und Durchgangslager unter direkter Führung der SS, als Zwischenstation für politische und rassisch verfolgte Gefangene, die in Konzentrations- und Vernichtungslager zu deportieren sind.

Die italienische Lagerleitung wird gezwungen, ins Alte Lager umzuziehen, aber die bereits gefangenen Juden bleiben im Neuen Lager unter der Kontrolle der SS.

Auf diese Weise wird das Lager Fossoli in zwei voneinander verschiedene Teile getrennt:

Campo Vecchio – das Alte Lager unter Verwaltung der RSI für Gefangene, die nicht zur Deportation bestimmt sind, wie Eltern von Wehrdienstverweigerern, Verdächtigen und Unterstützern der Partisanen. Die gesammelten Dokumente zu diesem Teil des Lagers sind sehr lückenhaft. Dennoch scheint es, als hätte das italienische Lager, das bis Juli 1944 in Betrieb war, eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung von Zwangsarbeitern zur Verschickung nach Deutschland gespielt.

Campo Nuovo – das Neue Lager wird von der SS geführt und dient als Durchgangslager für politisch und rassisch verfolgte Gefangene. Das deutsche Lager wird, wie bereits gesagt, von der Sicherheitspolizei Italien geführt, mit Sitz in Verona; ihr Befehlshaber ist Wilhelm Harster.

Mit dem Kommando über das Lager betraut Harster den SS-Untersturmführer Karl Titho, dessen Stellvertreter ist der SS-Hauptscharführer Hans Haage.

Diese Wahl wurde keinesfalls zufällig so getroffen. Vor der Einrichtung des Judenreferats in Verona, das von Januar 1944 Friedrich Bosshammer leitete, war Haage schon beim Einsatzkommando des Hauptsturmführers Theodor Danneker, dem Verantwortlichen für Durchkämmungsaktionen und Deportationen der Juden in Italien.

Titho, seit 1932 Mitglied der SS, war persönlicher Mitarbeiter von Harster, der einer der Hauptverantwortlichen für die Deportation der holländischen Juden war.

Titho und Haage untersteht eine kleine Gruppe deutscher SS-Leute und einiger ukrainischer Kriegsgefangener, die freiwillig der SS beitraten, sowie etwa dreißig Italiener der RSI.

Viele Zeitzeugen berichten von der Knappheit an Bewachungspersonal, dennoch mussten die Partisaneneinheiten bei allen Angriffsvorhaben immer beachten, dass das Gelände gut kontrollierbar war und keinerlei Deckung bot.

Das von der SS in seiner ursprünglichen Struktur nicht veränderte Neue Lager hat die Form eines rechtwinkligen Trapezes, das von doppeltem Stacheldrahtzaun mit einem permanent ausgeleuchteten Zwischenraum umgeben ist.

An den Scheitelpunkten des Trapezes befinden sich Wachtürme mit Maschinengewehren und entlang der Umzäunung in regelmäßigen Abständen Wachposten.

Der Haupteingang führt in den Teil der Wachmannschaften. Von dort gelangt man in den für die Gefangenen bestimmten Lagerteil, der noch einmal in zwei durch Stacheldraht voneinander getrennte Sektoren geteilt ist: einer mit 8 Baracken für die Juden und einer mit 7 Baracken für die Politischen, außerdem sind Wirtschaftsgebäude in jedem der Sektoren. Die Wohnbaracken der Gefangenen sind mit 12 Meter Breite und 60 Meter Länge recht groß und enthalten Gemeinschaftstoiletten und –waschräume.

Die Baracken haben ein durchschnittliches Fassungsvermögen von etwa 250 bis 300 Personen.

Bis zum April 1944 waren die jüdischen Familien zusammen in der gleichen Baracken einquartiert. Ab Mai desselben Jahres jedoch, und das belegen die Erinnerungen vieler Überlebender, werden die Familien infolge einer Verschärfung der Lagerordnung auseinander gerissen und in verschiedenen, durch Stacheldraht voneinander getrennten Baracken untergebracht.

Die meisten der Internierten in Fossoli sind italienische Staatsbürger, aber sowohl unter den Juden als auch den politischen Gefangenen finden sich Ausländer.

Die Zusammensetzung der politischen ist nicht ganz einfach zu beschreiben: es sind ehemalige Badoglio-Offiziere, die sich geweigert haben, der RSI beizutreten; Frauen und Männer, die wegen Widerstandsaktionen gegen die Deutschen gefangen genommen wurden; Arbeiter, die aus Vergeltung nach den großen Streiks in den norditalienischen Großstädten im März 1944 gefangen genommen wurden. Die Führung innerhalb des Lagers wird an die Gefangenen übertragen und in jedem der beiden Sektoren ein Lagerleiter benannt: Cesare Finzi bei den Juden und Armando Maltagliati bei den Politischen.

Die Gefangenen kommen aus den nordwestlichen Gebieten Italiens nach Fossoli, ihre Geschichten und Transportwege sind sehr vielfältig.

Bei ihrer Ankunft im Lager werden die Gefangenen verhört und eingeschrieben. Die Übergabelisten zu jedem einzelnen Gefangenen werden auch nach Verona geschickt und vorher mit ein bis drei großen X versehen, je nach Schwere des vorgeworfenen Verbrechens.

Das Alltagsleben in Fossoli ist nicht vergleichbar mit dem Leben, das die selben Menschen kurze Zeit später in den Lagern am Bestimmungsort erwartete. Wecken war um sieben Uhr, und zweimal täglich wurde der Appell durchgeführt. Meistens wurden die Gefangenen in Ruhe gelassen, außer in den Fällen, in denen Arbeitsgruppen für Feldarbeit und Säuberungsarbeiten im Lager zusammengestellt wurden. Im politischen Sektor wird die Arbeit einiger Handwerksbetriebe zugelassen.

Die Häftlinge tragen ihre persönliche Kleidung mit der aufgenähten Matrikelnummer und einem farbigen Dreieck, dessen Farbe je nach Internierungsgrund variiert.

Von den Politischen wird auch von der Verteilung eines graugrünen Hemdes sowie einer langen und kurzen Hose berichtet.

Die Verpflegung besteht aus Brot und Gemüse und wird ergänzt durch die ankommenden Pakete.

Es ist erlaubt, insgesamt viermal im Monat zu schreiben, 2 Postkarten und 2 Briefe auf lagereigenem Papier.

Hinsichtlich der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung für die Gefangenen gibt es zahlreiche Bestätigungen, aber es ist genauso überliefert, dass einige aus dem Handel mit dem Lager großen Nutzen gezogen haben.

Die Deportationen beginnen im Februar 1944, und bei deren Durchführung scheint nichts dem Zufall überlassen worden zu sein.

Die Lagerfunktionäre sind verantwortlich für die die Haft betreffende Bürokratie, alles was aber in Verbindung mit der Organisation der Transporte steht, wird stattdessen von Verona aus erledigt.

Titho selbst begibt sich zwei- oder dreimal im Monat nach Verona und teilt dort die Anzahl der politischen und jüdischen Gefangenen mit. Daraufhin werden in Verona die so genannten Transportlisten aufgestellt; hierbei handelt es sich um die Listen, auf denen die Namen der Menschen stehen, die mit dem nächsten Zug deportiert werden.

Nach der Ausfertigung der Listen wird am Abend vor der Abfahrt ein Appell durchgeführt. Den Aufgerufenen wird mitgeteilt, dass die "Ferien" vorbei sind und man nun nach Deutschland fahren wird. Am darauffolgenden Tag werden die Gefangenen zumeist mit LKW zum Bahnhof von Carpi gebracht. Von hier fahren die Züge mit Viehwaggons ab und haben als Ziel die Konzentrations- und Vernichtungslager.

In den sieben Monaten des Bestehens fahren acht Züge mit Gefangenen aus Fossoli nach Auschwitz, Bergen-Belsen, Ravensbrück, Buchenwald und Mauthausen. Mit dem ersten der fünf Transporte, die nach Auschwitz fuhren, fuhr auch Primo Levi. Auf den ersten Seiten des Buches "Ist das ein Mensch?" erinnert er an seinen kurzen Aufenthalt in Fossoli.

Am 02. August 1944, als die SS aufgrund der vorrückenden Front und der Bombardierung der Brücken über den Po durch die Alliierten beschließt, das Lager zu verlassen und es nach Bozen zu verlegen, fährt der letzte Konvoi aus Fossoli ab.

In den Monaten unter deutscher Leitung passierten mehr als 5.000 Gefangene Fossoli. Die Historiker gehen davon aus, dass die Hälfe von ihnen politische, die andere Hälfte jüdische Gefangene waren. Diese Zahl entspricht einem Drittel der aus unserem Land deportierten Juden (insgesamt waren es 6.746, wovon 5.916 starben).

Obwohl Fossoli nicht als Ort der physischen Vernichtung der Gefangenen eingerichtet worden war, war es dennoch Schauplatz von Misshandlungen und kaltblütigen Tötungen.

Am 22. Juni 1944 wird der Anwalt Leopoldo Gasparotto getötet. Er war Leiter einer Partisanengruppe der Lombardei und gehörte zu den ersten, die den Kampf gegen die Deutschen organisierten, indem er Kontakte zum antifaschistischen Netz in der Schweiz herstellte. Aus dem Mailänder Gefängnis nach Fossoli verlegt, wird er dort Ansprechpartner für diejenigen, die eine Massenflucht organisieren wollten. Wahrscheinlich wurde er verraten und in einem Außengelände des Lagers hinterrücks erschossen.

Das Verbrechen mit der größten Zahl von Opfern ereignet sich jedoch am 12. Juli 1944, wenige Wochen vor dem Umzug des Lagers nach Bozen. Hierbei werden 67 politische Deportierte am Schießstand von Cibeno, einem weiteren Ortsteil Carpis, ermordet.

Am Abend des 11. Juli werden während des Appells 70 Gefangene aus dem politischen Sektor namentlich aufgerufen und von ihrer Abfahrt nach Deutschland am kommenden Tag informiert. Am selben Tag wird eine Gruppe von acht Juden nach Cibeno geschickt, um eine große Grube auszuheben.

Ab morgens vier Uhr des 12. Juli werden die Gefangenen mit einem Lastwagen in drei getrennten Gruppen nacheinander zum Schießplatz gebracht. Einem der 70 gelingt es in der Zwischenzeit, sich in einem der Wirtschaftsgebäude zu verstecken. Zwei weitere Gefangene können durch eine Flucht vom Rand der Grube der Erschießung entgehen.

Die 67 Opfer waren sehr unterschiedlicher Herkunft: einige waren Vertreter des politischen Flügels der Resistenza, andere des militärischen Flügels. Unter ihnen befanden sich herausragende Persönlichkeiten des VAI (Bewaffnete Freiwillige Italiens).

Diese Organisation war von Offizieren zur Bildung einer filomonarchistischen Militäreinheit mit Unterstützung der Badoglio-Regierung gegründet worden.

Sehr unterschiedlich waren auch die politischen Überzeugungen, der soziale und kulturelle Stand der Opfer.

Die Frage nach dem Grund für das Massaker ist noch unbeantwortet: Handelte es sich um die Vergeltung für einen Partisanenangriff in Genua? Handelte es sich um eine Entscheidung, die zwischen Verona und dem Kommando in Fossoli getroffen wurde, um Ausbruchsvorhaben aus dem Lager zu ersticken?

Oder aber sollte es dazu dienen, eine für besonders gefährlich gehaltene Widerstandsgruppe zu beseitigen?

Die Deutschen gaben öffentlich bekannt, dass es sich um eine Vergeltungsaktion für ein Attentat handelte, dass am 25. Juni 1944 in Genua den Tod von sieben deutschen Matrosen verursacht hatte.

Den Verurteilten selbst wird vor der Erschießung eine Mitteilung verlesen, in der dieses Ereignis genannt wird.

In Wirklichkeit weist das Massaker nicht die für die Vergeltungsaktion üblichen Merkmale auf: sowohl aufgrund der fehlenden Beziehung zwischen dem Ort des Attentats und dem Ort der Rache, als auch aufgrund des Ausbleibens der sonst üblichen Verbreitung der Namen der Erschossenen.

Das von mir beschriebene Verbrechen ist nur ein Kapitel in der Geschichte der während des Krieges in Italien verübten Massaker, das von der italienischen Justiz der Nachkriegsjahre nicht wirklich verfolgt wurde.

Die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbeamten führt meistens in Sackgassen und gestaltet die Ermittlung der individuellen Verantwortlichkeit bezüglich der im Lager Fossoli geschehenen Verbrechen schwierig. Das Militärgericht von Bologna lässt im Februar 1947 die Kommandanten von Fossoli und ihre Mitarbeiter im Ausland suchen. Im Sommer desselben Jahres wird bekannt, dass von den Personen, deren Auslieferung gefordert wurde, nur Titho in Haft ist.

Da er wegen Kriegsverbrechen an Holland übergeben worden war, büßte er dort eine siebenjährige Gefängnisstrafe ab, um 1953 als freier Bürger nach Deutschland zurückzukehren.

Ab 1948 stellt sich die rechtliche Situation dann noch verworrener dar: Auf der einen Seite beugt sich die italienische Justiz dem innenpolitischen Druck, der die Untersuchungen versanden lassen will, andererseits fehlen Richtlinien und Koordinierung durch die Alliierten.

In Italien begibt man sich somit in eine Logik der Zeitverzögerung und des Vergessens, die in eine Reihe von einstweiligen Verfahrenseinstellungen mündet. Es war nämlich nicht angebracht, schmerzhafte Wunden zu öffnen, während sich das Deutschland Adenauers, widererstarkt nach dem Krieg, als antikommunistisches Bollwerk an der Seite der NATO anbot.

Ihnen ist sicher bekannt, dass der Militärstaatsanwalt Atonino Intelisano, auf der Suche nach den Dokumenten über Erich Priebke, in den Kellerräumen eines römischen Gebäudes aus dem 16. Jahrhundert 695 Aktenordner entdeckt hat, die alle zu Untersuchungen über nationalsozialistische Verbrechen gehörten und die durch eine einstweilige Einstellungsverfügung blockiert worden waren. In vielen Fällen waren die Dokumente noch nicht einmal aus dem Deutschen oder Englischen übersetzt worden.

Unter den Ordnern befanden sich auch jene über das Massaker in Fossoli. Sie wurden mit über 50 Jahren Verspätung an das zuständige Gericht in La Spezia gesandt. Der Bürgermeister von Carpi hat 1996 den Minister der Justiz zur Beschleunigung der Untersuchungen zur Ermittlung von Wahrheit und Gerechtigkeit aufgefordert.

Im November 1999 kommt es zur Einstellung des Falles mit Hinweis auf die Trägheit der alliierten Richter der Nachkriegszeit.

Auf diese Weise offenbarte das Gericht von La Spezia seine Unkenntnis der von diesen Richtern gesammelten Dokumentation und dem Handeln der italienischen Justiz in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Im Juni 2001 haben die Familienangehörigen einiger Opfer des Massakers von Fossoli und Gianfranco Maris, der Präsident des Nationalen Vereins der Ex-Deportierten, Berufung gegen jene Einstellung eingelegt, und die Eröffnung der Untersuchungen gefordert.

Kehren wir wieder zum Lager zurück. Wie schon gesagt, verlassen die Deutschen Fossoli Anfang August 1944.

Nach dem Krieg, schon im Herbst 1945, wird das Lager in ein Lager für ausländische Flüchtlinge umgewandelt.

Von Mai 1947 an wird das Lager für lange Zeit zu Wohnzwecken genutzt: zuerst, bis 1952, von der katholischen Gemeinschaft Nomadelfia, und dann von Flüchtlingen aus Istrien von 1954 bis zum Ende der Sechziger Jahre.

Diese Veränderungen verleihen dem Lager ein völlig anderes Aussehen: Wer auf diesem Gelände nach dem Krieg wohnt, hat als Hauptziel, dessen Aussehen zu verändern und die Spuren, die an die letzte tragische Verwendung erinnern, zu beseitigen.

Diese Eingriffe verändern nicht nur die innere Aufteilung des Lagergeländes, sondern auch das äußere Aussehen der Baracken, denen zum Beispiel Türen und Fenster hinzugefügt werden. Heute ist nur noch die Form und der Standort der Baracken wie ursprünglich.

Gegen Ende der Sechziger Jahre finden die Flüchtlinge aus Istrien ihren Bedürfnissen besser entsprechende Unterkünfte, und das Lager wird endgültig verlassen.

Es gerät danach schnell in einen baufälligen Zustand, was von der Stadt Carpi nicht verhindert werden konnte, da für das gesamte Gelände noch das Innenministerium zuständig war.

Obwohl in Carpi 1973 im Stadtzentrum das Museum für die Deportierten eingeweiht wurde, hat der italienische Staat das Lagergelände der Stadt erst 1984 kostenlos überlassen.

An diesem Punkt sieht sich die Stadt Carpi einem sehr komplexen Problem gegenüber gestellt, nämlich dem des Wiederaufbaus. Mit der Auslobung eines internationalen Architektenwettbewerbs versucht sie, dieses zu lösen. Die zahlreichen und unterschiedlichen Beiträge hatten alle das gemeinsame Ziel, das Gebiet durch die Veränderung in einen lebendigen, zugänglichen Ort wieder nutzbar zu machen. Gewinner wird das Projekt des Architekten Roberto Maestro, der eine poetische und symbolische Lösung vorgeschlagen hatte. Für lange Zeit sind es nur ökonomische Gründe, die die Realisierung des Maestro-Projekts sehr schwierig gestalten. Die Gründung der Stiftung Fossoli im Jahr 1996 liefert neue Impulse für den Wiederaufbau und die Auswertung des Andenkens an das Lager. Tatsächlich stellt der wissenschaftliche Beirat der Stiftung fest, dass das Maestro-Projekt aufgrund der starken symbolischen Ausrichtung, so viele Jahre nach seiner Erarbeitung, nicht mehr den auch heute in Europa geltenden Kriterien für die Einrichtung von Gedenkstätten entspricht. In den vergangenen Jahren tendierte man mehr zur Vereinfachung jeglicher zusätzlicher architektonischer Ergänzung, da diese als ein Element bewertet wurde, das die Deutung des Ortes selbst erschwert: Diese Feststellung trifft um so mehr auf Fossoli zu, da hier aufgrund verschiedener Verwendungen innerhalb relativ kurzer Zeit mehrere Schichten vorhanden sind.

Ausgehend von diesen Hinweisen wurde ein einfaches Projekt ausgearbeitet, welches nicht den Bau neuer Gebäude vorsieht und das mittels eines Informationssystems, das keinen Gegensatz zu den vorhandenen Elementen bildet, versucht, das Verstehen zu erleichtern.

Deshalb haben die vorgeschlagenen Eingriffe einerseits das Ziel, die Nutzung des Geländes durch das Publikum zu verbessern und andererseits die Besucher über alle Phasen der Verwendung hinreichend und verständlich zu informieren.

Die Arbeit in der Gedenkstätte heute

Im Moment ist die Lagergedenkstätte viel besucht, und der empfohlene Rundgang findet eine natürliche Fortsetzung im Besuch des Museums für die Deportierten, das sich im historischen Zentrum von Carpi befindet und errichtet wurde in Erinnerung an den Horror der Deportation, der in den Ruinen von Fossoli noch sichtbar ist.

Das Museumsprojekt ist eindeutig das Ergebnis einer antirhetorischen Auswahl, die eine präzise Sprache verwendet, obwohl ein Thema behandelt wird, das sehr leicht zur Verwendung von Symbolen veranlasst.

Das Museum für die Deportierten zeigt, wie Worte und Ideen ein bewegendes und dauerhaftes Mittel voller emotionaler Kraft und großer ästhetischer Wirkung sein können, um den Horror der Grausamkeiten zu vermitteln.

Im Laufe der Neunziger Jahre hat die didaktische Arbeit des Museums für die Deportierten und des Lagers Fossoli nationale und internationale Bedeutung erlangt.

Die Zahl der jährlichen Besucher ist auf etwa 30.000 gestiegen, hierbei handelt es sich insbesondere um Schulklassen und Gruppen aus ganz Italien und aus dem Ausland.

Die didaktische und kulturelle Arbeit sieht die Organisation von Veranstaltungen für ein ausgewähltes Publikum vor und bietet vor allem aber verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrer und Erzieher und versucht, Jugendlichen und Studenten neue, wirksamere Ausdrucksformen bei der Vermittlung von Geschichtsbewusstsein anzubieten.

Es werden Weiterbildungskurse, Kongresse, Ausstellungen, Theateraufführungen und von Überlebenden und Experten begleitete Bildungsreisen in Gedenkstätten organisiert (z.B. Auschwitz und Theresienstadt).

In den vergangenen Jahren sind die Beziehungen zu ausländischen Institutionen verstärkt worden, und mit dem Ziel, die unterschiedlichen Aufarbeitungsweisen von Geschichte und Erinnerung zu vergleichen, wurden gemeinsam interessante Projekte durchgeführt.

Zu den Institutionen, mit denen die wichtigsten Projekte ausgearbeitet wurden, gehören zum Beispiel die Topografie des Terrors in Berlin, die Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste aus Berlin und verschiedene amerikanische Universitäten, denen Reisen zu spezifischen geschichtlichen Themen angeboten wurden.

Die Zusammenarbeit mit den ausländischen Institutionen hat uns deutlich gezeigt, dass eine Koordinierung zwischen den italienischen Gedenkstätten nahezu fehlt.

Viele Gedenkstättenmitarbeiter haben in den letzten Jahren versucht, ein Netzwerk einzurichten, aber bis heute ohne Erfolg.

Ich denke, dass es das Ziel sein sollte, dieses Netzwerk einzurichten und zu unterstützen, um alle Kräfte zusammenzufassen. Eine nationale Koordinierung könnte in unserem Land der Auseinandersetzung mit dem Thema "Erinnerung" sicher eine größere Bedeutung verleihen.


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