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Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. ,
10.04.2000 :
Offener Brief an Ministerin Bruns und Bürgermeister Runge zur Mahnmalseröffnung in Wewelsburg
An die
Ministerin für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung
Frau Ilse Bruns
40190 Düsseldorf
An den
Bürgermeister der Stadt Büren
Herr Wolfgang Runge
Königstraße
33142 Büren
Betreff: Ihre Reden anläßlich des Gedenktages am 2.
April "Erinnern statt Verdrängen" in Wewelsburg
Sehr geehrte Frau Brusis, sehr geehrter Herr Runge,
Geschichte wiederholt sich nicht. Aber es gibt immer wieder Menschen, die anderen Menschen großes Leid zufügen. Deswegen ist es wichtig, wie Sie, Frau Brusis, gesagt haben, „wachsam gegenüber Demagogie und Ausgrenzung anderer“ zu sein.
Weil Sie sich mit der Geschichte des KZ Niederhagen in Wewelsburg auseinandergesetzt haben, stellten Sie, Herr Runge, die "Unverletzbarkeit der Menschenwürde" und Sie, Frau Brusis, "den Wert eines demokratischen Rechtsstaates" besonderes heraus.
Sehen Sie Parallelen zwischen gestern und heute?
An einem Montagmorgen um 6.00 Uhr stand die Polizei vor der Tür von Herrn B. Sie ließ ihm keine Zeit, seine Sachen zu packen. Der zuständige Richter war überlastet. Er brauchte drei Minuten um Haft anzuordnen. Herr B. wußte nicht warum. Keiner sah eine Notwendigkeit, ihm etwas zu erklären. Er hatte in seinem ganzen Leben keine Straftat begangen. Lag es daran, dass sein Pass, wie bei so vielen anderen, die schon verschwunden waren, ihn nicht als Deutschen ausgab? Er durfte deswegen auch nicht arbeiten oder seinen Kreis verlassen. Von großen Teilen der Bevölkerung fühlte er sich diskriminiert. Nun kam er ins Lager. Hier musste er sich komplett entkleiden. Er erhielt Häftlingskleidung und seine Häftlingsnummer. Ohne diese Nummer war er ab sofort ein Niemand. Er wurde mit fünf weiteren Häftlingen in eine Zelle eingesperrt. Als er und einige andere Häftlinge in ein anderes Lager gebracht werden sollten, wurden sie während des ganzen Transportes von den Polizisten gefesselt und misshandelt. Ihm selber drückte man ein Kissen ins Gesicht, so dass er beinahe erstickt wäre. Schlimmste Beleidigungen musste er über sich ergehen lassen. Der Transport scheiterte, da das neue Lager sich weigerte, sie aufzunehmen. Sie wurden in das erste Lager zurückgebracht. Bei einem erneuten Transport erhielt er von einem deutschen Arzt eine Spritze. Er wurde in sein Herkunftsland zwangsweise zurückgebracht. Dort wurden ihm mit Kautschukpeitschen Muskeln aus seinem Gesäß geschlagen. Ob er an den Folgen der Spritze oder der Auspeitschung verstorben ist, konnte bis heute nicht geklärt werden.
Auf ihre Frage, Herrn Runge, wie Sie sich damals verhalten hätten, kann ich Ihnen keine Antwort geben. Ich sehe aber, wie Sie, Frau Brusis und Herr Runge, sich heute verhalten: Sie haben nicht dafür gesorgt, dass Herr B. eine Arbeit bekommt. Sie haben bei der Verhaftung von Herrn B. weggesehen. Sie haben nicht gegen den Haftbeschluß protestiert. Sie haben Herrn B. nicht im Abschiebelager besucht. Sie haben nichts unternommen, als Herr B. vom BGS misshandelt wurde. Sie haben keine Anzeige gegen den Arzt erstattet, der Herrn B. die Spritze gegeben hat. Sie haben keinen Protestbrief an die Regierung von Guinea geschrieben, in dessen Lager Herr B. verstarb.
Wie gesagt, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber noch immer fügen Menschen anderen Menschen großes Leid zu. Damals wie heute machen wir uns durch unser Wegsehen mitschuldig. Wo bleiben die von Ihnen geforderte Zivilcourage und wo Ihr persönliches Engagement?
gockel@gegenabschiebehaft.de
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