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Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. , 12.02.2001 :

Offener Brief an Dr. Schily, Dr. Behrens und Frau Deligöz zur Vorbehaltserklärung bei der UN-Kinderrechtskonvention

An den Bundesminister des Inneren
Herrn Dr. Schily
Alt Moabit 101
10559 Berlin

An den Minister für Inneres des Landes NRW
Herrn Dr. Behrens
40190 Düsseldorf

An die Vorsitzende der Kinderkommission des deutschen Bundestages
Frau Deligöz
11011 Berlin

An die Medienvertreter

Sehr geehrter Herr Dr. Schily, sehr geehrter Herr Dr. Behrens, sehr geehrte Frau Deligöz, sehr geehrte Damen und Herren,

der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. betreut seit 1994 Abschiebegefangene in der Abschiebehaftanstalt Büren. Unter den Inhaftierten befinden sich immer wieder Kinder und Jugendliche. Wir haben seit der Gründung unseres Vereins fast 100 Jugendliche unter 18 Jahren, ja sogar fünf Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren gesprochen. Dabei dürfte die "Dunkelziffer" der inhaftierten Jugendlichen weitaus höher liegen, da wir nur Kontakt zu ca. 30 Prozent der Häftlinge haben. Momentan sind, nach Angaben des Anstaltsleiters, Herr Peter Möller, sechs Jugendliche unter 18 Jahren inhaftiert (Stand 07.02.2001).

Wir fordern sie auf, sich dafür einzusetzen, dass die Bundesregierung vorbehaltlos die UN-Kinderrechtskonvention annimmt. Wie sie wissen, hat die Bundesregierung am 05.04.1992 zwar die Kinderrechtskonvention ratifiziert, allerdings gab sie auch gleichzeitig eine Vorbehaltserklärung ab, die in der Praxis dafür sorgte, dass eine Sperr- und Blockadewirkung auf rechtlicher Ebene eintrat. Hiervon sind insbesondere auch minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge betroffen, die unseren besonderen Schutz benötigen.

In der Kinderschutzkonvention steht, dass Freiheitsentziehung bei Minderjährigen "nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden" darf. Abschiebehaft soll den Ausländerbehörden den Verwaltungsakt der Abschiebung erleichtern und verstößt daher gegen die Kinderrechtskonvention. Der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. fordert, dass minderjährige Flüchtlinge nicht mehr in Abschiebehaft genommen werden dürfen.

Im Strafrecht unterliegen Jugendliche einem besonderen Schutz. Sie erhalten einen Rechtsbeistand, eine Inhaftierung erfolgt i. d. R. nur in Ausnahmenfällen. Sollte eine Haft nicht vermeidbar sein, werden diese Jugendlichen und Heranwachsenden in Jugendgefängnissen untergebracht. Ihnen werden dort PädagogInnen zur Seite gestellt, es wird ihnen die Möglichkeiten einer Weiterbildung (Schul- oder Berufsausbildung) eingeräumt.

All dieses ist bei Abschiebehaft nicht der Fall. Schon bei der Inhaftierung steht dem Jugendlichen in der Regel kein Rechtsbeistand zur Seite. Die Amtsgerichte nehmen so gut wie nie Rücksicht auf das Alter des Jugendlichen. Eine Prüfung, ob Jugendliche in anderen, geeigneteren Unterkünften (z. B. Kinder- und Jugendheime) untergebracht werden können, wird nach unseren Beobachtungen nicht vorgenommen. In der JVA Büren werden die Jugendlichen wie "ganz normale" Abschiebegefangene behandelt. Dort ist man nicht in der Lage, auf die besonderen Bedürfnisse der Jugendlichen einzugehen. Es fehlt an PädagogInnen, Sozialarbei­terInnen und an PsychologInnen. Die Anstaltsleitung meldet, nach eigenen Angaben und nach unserer Beobachtung auch erst seit kurzer Zeit, lediglich Jugendlichen dem zuständigen Jugendamt. So verbringen die Jugendlichen, total verängstigt, einen wichtigen Teil ihres Lebens unschuldig hinter Gittern. Ihr psychischer Zustand ist meistens desolat. Das tägliche Warten auf die Abschiebung, die ständige Unsicherheit zermürben die Nerven. Dieses Martyrium kann bis zu 18 Monaten andauern.

Zwei aktuelle Beispiele aus unserer Vereinsarbeit:

Herr H. aus Marokko wurde von seinem Bruder großgezogen. Da der Bruder ihn immer schlug, rannte er mit 12 Jahren von zu Hause weg. Er lebte auf der Straße. Auf abenteuerliche Weise gelangte er nach Frankreich. Er erlitt dabei ein schweres Trauma und konnte seit der Zeit nicht mehr mit Gefühlen wie Wut, Trauer, Angst umgehen. Immer dann, wenn solch Ge­fühle ihm überkommen, verletzte er sich selbst (Schnittwunden, Kopfverletzungen). In Frankreich lebte er eine Zeit in einem Kinderheim. Da er im Heim immer wieder Probleme hatte, rannte er auch hier wieder weg. Er bestieg einen LKW, in der Hoffnung, dieser würde ihn nach Belgien bringen. Der LKW fuhr aber nach Deutschland. Beim Verlassen des LKW's wurde er von der Polizei erwischt. Er wurde dem Amtsrichter vorgestellt, der die Abschiebe­haft beschloss. Die Ausländerbehörde brachte ihn nach Büren. Vor ca. 14 Tagen wurde er durch Intervention eines von uns eingeschalteten Jugendgerichtshelfers aus Büren entlassen. Er verbrachte sechs Monate in Abschiebehaft. Das zuständige Ausländeramt hatte eine Verlängerung um weitere drei Monate beantragt.

Herr S. aus Sri Lanka ist schon mit 15 Jahren in Abschiebehaft gekommen, obwohl dieses in NRW unzulässig ist (eine Inhaftierung ist erst mit 16 Jahren erlaubt). In der Akte des Auslän­deramtes und auch im Computer der JVA wird er mit seinem richtigen Alter geführt. Als "juristische Grundlage" dient das Gutachten eines Mediziners, der ihn 10 Monate älter ein­schätzt. (Diese "Gutachten“" welche die Aufgabe haben, das Alter der Jugendlichen zu schätzen, werden aufgrund einer "Inaugenscheinnahme" durchgeführt, dass Ergebnis ist daher in der Regel sehr zweifelhaft, insbesondere bei so kurzen Zeitabständen wie in diesem Fall.) S. befindet sich nun schon seit 12 Monaten im Gefängnis. Das Amtsgericht Paderborn hat vor kurzem dem Verlängerungsantrag des Ausländeramtes stattgegeben. Einer weiteren Inhaftierung von drei Monaten steht demnach nichts mehr im Wege.

Wir fordern Sie auf, sich dafür einzusetzen, dass die Vorbehaltserklärung zur Kinderrechtskonvention offiziell und durch eine verbindliche Erklärung zurückgenommen wird und dass per Gesetz beschlossen wird, dass keine min­derjährigen Flüchtlinge mehr inhaftiert werden dürfen.


gockel@gegenabschiebehaft.de

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